Dr. Jean-Paul Aeschlimann, geboren 1941 in Neuchâtel, studierte an der ETH in Zürich Agronomie und promovierte dort 1968 über das Thema „Biologische Schädlingsbekämpfung“. Nach Forschungsarbeiten für die ETH und beruflichen Stationen in Australien, Frankreich und weiteren Ländern aller Kontinente gründete er ein Forschungszentrum in Montpellier (F), das heute rund 800 Forscher beschäftigt. Dr. Aeschlimann hat sich schon früh um die Belange der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland gekümmert. 1995-2002 war er Präsident des Dachverbandes der Frankreichschweizer, 1997 wurde er ins Komitee der Auslandschweizerorganisation (ASO) gewählt, welche die rund 700’000 im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer, die sogenannte fünfte Schweiz, vertritt. Seit 2003 ist er einer der zwei Vize-Präsidenten der ASO. 1998 wurde er vom Bundesrat zum Honorarkonsul in Montpellier (Südfrankreich) ernannt. 2006 verlieh ihm der Conseil Général von Montpellier den Prix du Patrimoine für seine Verdienste für die Stadt. Im Gespräch mit Christian Dueblin erzählt Dr. Aeschlimann von seinen Erfahrungen im Ausland, der Schweiz aus Sicht der Auslandschweizer, der Bedeutung der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland für die Schweiz, der ASO sowie den Herausforderungen der Auslandschweizer-Politik und zeigt auf, warum die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland irgendwie „bessere“ Schweizer sind.
Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Aeschlimann, Sie sind seit vielen Jahren in Frankreich zu Hause. Sie waren als Forscher auch einige Jahre beruflich in Australien tätig. Schon seit Jahrzehnten kümmern Sie sich um die Belange von Schweizerinnen und Schweizern im Ausland. Was hat Sie damals vor vielen Jahren bewogen, ins Ausland, insbesondere nach Frankreich, zu ziehen, wo Sie noch heute wohnen?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Ich bin aus dem Neuenburgischen und habe an der ETH in Zürich Agronomie studiert und eine Dissertation geschrieben. Ich war einige Jahre an der ETH Zürich als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und spezialisierte mich in biologischer Schädlingsbekämpfung, einem Thema, das mich mein ganzes berufliches Leben lang begeistert und beschäftigt hat. Es geht dabei um den Versuch, wichtige Schadinsekten, Unkräuter und Pflanzenkrankheiten mit natürlichen statt chemischen Mitteln in Schach zu halten. Die Forschung auf diesem Gebiet, also die Entwicklung neuer Möglichkeiten, die für Landwirte, Förster, Gärtner usw. auf der ganzen Welt effizient und nachhaltig sein sollte, hat mich in viele Länder geführt. 1973 verliess ich die Schweiz und ging aufgrund eines Forschungs-Auftrages der australischen Regierung vorerst nach Südfrankreich und später nach Australien selber. Es handelte sich um ein wissenschaftliches Projekt für die CSIRO, die offizielle australische Forschungsorganisation. Danach wurde ich von dieser Organisation als australischer Wissenschafter nach Frankreich zurückgeschickt, wo ich für eine ganze Reihe von Forschungsprojekten verantwortlich war.
Es entwickelte sich in der Folge in Südfrankreich eine kleine australische Versuchsstation, welche bis zu 40 Forschern zählte. Um diese Mitarbeiter unterzubringen, wurde ich von den australischen Behörden damit beauftragt, geeignetes Land zu erwerben und ein regelrechtes „australisches“ Laboratorium einzurichten. Das Konzept weckte das Interesse von amerikanischen, französischen und anderen Kollegen, so dass ich ein größeres Forschungszentrum auf etwa 25 Hektaren in unmittelbarer Nähe von Montpellier gründen durfte, das heute insgesamt etwa 800 Forscher vereinigt. Es war eine intensive und sehr schöne Zeit. Im Jahr 1996 machte ich mich aber ganz selbständig. Seither bin ich als freier Berater und Mitarbeiter von privaten Firmen und offiziellen Organisationen in Bezug auf länderübergreifende Entwicklungs- und Forschungsprojekte auf dem Gebiet des Umweltschutzes tätig.
Dueblin: Ihrem Lebenslauf entnehme ich, dass Sie sich schon sehr früh für die Belange der Schweizer im Ausland einsetzten. Wie kam es zu diesem Engagement?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Ich bin aufgrund meines Berufes viel gereist und habe auf allen Kontinenten Menschen getroffen, die Schweizer Wurzeln hatten. An mehreren Orten stiess ich sogar auf Schweizer Clubs wie etwa in Nairobi und anderen recht abgelegenen Orten der Welt. In Canberra, der Hauptstadt Australiens, wo ich einige Jahre wohnte, gab es auch einen solchen lebhaften Club, in dem wir regelmässig zusammentrafen.
Als ich 1982 nach Frankreich zurückging und kurz danach den Generalkonsul für Languedoc-Roussillon in Marseille traf, sagte er, es gäbe in dieser Region keinen Schweizer-Club, obwohl dort viele Schweizer lebten. Er fragte, ob ich nicht einen solchen organisieren wolle. Ich war anfänglich etwas skeptisch, weil die Organisation mit grossem Zeitaufwand verbunden ist. Mit seiner Hilfe wurde es aber trotzdem versucht, und nach kurzer Zeit waren viele Personen schweizerischen Ursprunges, die in der Region Montpellier wohnten, verknüpft und organisiert. Heute sind wir zu zwei separaten Vereinen herangewachsen. Die Société Helvétique de Montpellier umfasst weit über 350 Schweizer Familien.
Die Schweizer Gemeinschaft in Frankreich ist mit rund 180’000 registrierten Landsleuten bei Weitem die weltwichtigste. Frankreich weist über 25 % aller emigrierten Schweizer aus. Das ist eine Zahl, welche die Inlandschweizer oft überrascht. Neuerdings müssen sich die Frankreichschweizer aber nebst der Botschaft in Paris mit nur noch drei Schweizer (General-/Berufs-)Konsulaten in Frankreich begnügen. Dafür gibt es heutzutage in mehreren französischen Städten Honorarkonsule. Seit 1998 bin ich einer dieser Honorarkonsule, nämlich derjenige von Montpellier.
Dueblin: Wie muss man sich die Tätigkeit eines Honorarkonsuls vorstellen?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Es handelt sich dabei um eine ehrenamtliche Tätigkeit. Wichtig ist es, dass Honorarkonsule über ein grosses Beziehungsnetz verfügen, das einen einfachen, direkten Zugang zu den verschiedenen lokalen Behördenstufen einschliesst. Der Honorarkonsul ist Ansprechpartner für Schweizer, egal ob sie auf Reisen oder in der Stadt Montpellier und Umgebung wohnhaft sind. Es gibt immer wieder Landsleute, die mit den lokalen Verhältnissen nicht zu Recht kommen, sei es, dass sie die Sprache nicht beherrschen, sei es, dass die hiesigen Verwaltungswege etwas komplizierter sind als im Heimatland. In solchen Fällen versucht man, Ratschläge zu erteilen oder sogar zu intervenieren – wenn es nötig ist direkt bei den zuständigen Stellen. Es melden sich auch Menschen an, die gravierende finanzielle Probleme haben und solche, die mit den Sozialversicherungen nicht zu Recht kommen. Im Sommer handelt es sich mehrheitlich um Touristen, die Unfälle gehabt haben oder ausgeraubt wurden und nun weder Geld noch Pass mehr besitzen. Bei Letzteren wird man zumeist direkt von der Gendarmerie kontaktiert. Dieselbe Vermittlerrolle wird, in umgekehrter Richtung, gegenüber praktisch ebensovielen Franzosen gespielt, die in der Schweiz Geschäftskontakte herstellen, Arbeitsplätze finden wollen oder auf wichtige Auskünfte angewiesen sind.
Dueblin: Bleiben die Auslandschweizer mit der Schweiz verbunden?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Auf ganz Frankreich verteilt, gibt es heute etwa 100 Schweizer Vereine, Clubs und Gesellschaften, die schätzungsweise an die 20’000 Einzelmitglieder aufweisen. Das sind immerhin rund 10% der Frankreichschweizer. Weltweit gibt es zurzeit ungefähr 800 solche Schweizer Vereine, die sich mit den verschiedensten Themen, die das Heimatland betreffen, auseinandersetzen. Die Interessen unserer Diaspora werden durch die Auslandschweizerorganisation (ASO) vertreten, eine Nichtregierungsinstitution mit Sitz in Bern. Sie besteht seit 1916 und hat zur Aufgabe, die Landsleute im Ausland über das Geschehen in der Schweiz zu informieren, ihre Rechte zu wahren und den Exilschweizern eine ganze Reihe von Dienstleistungen anzubieten. Die ASO wird von den Behörden als Sprachrohr der „Fünften Schweiz“ anerkannt und ist die Herausgeberin der „Schweizer Revue“, einer Zeitschrift in fünf Sprachen, die an alle Auslandschweizer 6 Mal im Jahr gratis verschickt wird. Die ASO hat eine Exekutive, den „Auslandschweizerrat“ (ASR), dem 100 Delegierte aus der ganzen Welt angehören. Als wichtigste Auslandgemeinschaft haben die Frankreichschweizer Anrecht auf 12 Sitze im ASR. Der ASR kommt zweimal im Jahr in der Schweiz zusammen, um über wichtige Fragen der Auslandschweizerpolitik zu beraten und zu aktuellen Themen aus der Sicht der „Fünften Schweiz“ Stellung zu nehmen.
Der ASR hat bisher wesentlich dazu beigetragen, die freiwillige AHV/IV zu bewahren, die Auslandschweizer in der Bundesverfassung (Art. 40 BV) zu verankern oder das briefliche Stimm- und Wahlrecht einzuführen. Neben den 100 Auslandschweizern zählt der ASR noch 20 Inlandvertreter, darunter mehrere National- und Ständeräte aller Regierungsparteien, die wesentlich dazu beitragen, wichtige Anliegen der Auslandschweizer im Parlament zu vertreten.
Sie sprechen von 180’000 Schweizern in Frankreich. Das ist eine stattliche Anzahl, die auch mich überrascht. Was hat diese Schweizer nach Frankreich geführt? Ist es die Arbeit oder handelt es sich bei diesen Schweizern um Menschen, die dort ihren Lebensabend verbringen?
Die meisten dieser Schweizerinnen und Schweizer sind berufstätig in Frankreich. Sie sind nach Frankreich gezogen, weil sie dort eine neue Herausforderung fanden. Natürlich gibt es aber auch manche Landsleute, die ausgewandert sind, um eine Familie zu gründen. Wieder andere haben sich aus dem Berufsleben zurückgezogen. Seit einiger Zeit sind es vermehrt Arbeitslose, AHV- oder Frührentner, die insbesondere nach Südfrankreich ziehen, weil sie nur eine bescheidene Pension erhalten und die Lebenkosten hier bedeutend niedriger sind als in der Schweiz.
Seit den Bilateralen Abkommen gibt es bei uns mehr junge Menschen aus der Schweiz, die gut ausgebildet sind und sich aus beruflichen Gründen in der Nähe von Montpellier niederlassen. Als ich 1973 nach Frankreich zog, konnte ich – trotz Unterstützung des Arbeitgebers – nur mit größter Mühe eine Aufenthalts- und eine Arbeitsbewilligung bekommen. Seit die „Bilateralen“ im Jahr 2002 in Kraft getreten sind, ist das ganz anders. Man braucht diese Bewilligungen in Frankreich und im EU-Raum normalerweise nicht mehr, und die Niederlassung ist kein wesentliches Problem mehr, wie das noch vor 7 Jahren der Fall war. Das ist ein unglaublicher Fortschritt. Diesen riesigen Vorteil riskieren die vielen „Nur-Schweizer“ im EU-Raum zu verlieren, sollte am 8. Februar 2009 in der Schweiz bei der Abstimmung über die Erweiterung der Bilateralen ein „Nein“ an der Urne herauskommen.
Dueblin: Was hat sich für die Schweizer, die nach Frankreich ziehen, nach Inkrafttreten der „Bilateralen“ konkret geändert?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Für die australische Forschungsstation in Montpellier wollte ich zwei Mal Mitarbeiter mit Schweizer Pass einstellen. Die Préfecture in Montpellier hat sich damals jedoch geweigert, Arbeitsbewilligungen für diese Schweizer zu erteilen. Wären diese Wissenschaftler aus einem EU-Land gekommen, so wäre das ganz einfach gewesen. Damals musste man zuerst den stimmigen Nachweis erbringen, dass sich der Schweizer Kandidat als der bestgeeignete Forscher aus einem internationalen Rekrutierungsprozess erwiesen hatte. Und trotzdem funktionierte es bei den Schweizern nicht. Sozusagen als Busse für die Auswahl von Schweizern, hatte man noch ein paar Monatslöhne zu entrichten. Ausserdem konnte der betreffende Mitarbeiter nie vom hiesigen Sozialwesen profitieren! Heute gibt es all diese Hürden nicht mehr. Wir Schweizer werden in der Praxis den EU-Bürgern gleichgestellt, und eine Schweizerin oder ein Schweizer kann relativ leicht in Frankreich eine Gesellschaft gründen.
Dueblin: Was haben die Franzosen für ein Bild der Schweizer?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Dazu gibt es viele verschiedene Ansichten. Die meisten Franzosen sehen die Schweiz als das Land, in dem alles sauber ist und funktioniert. Die Schweiz ist für sie ein bisschen Heidiland. Für andere ist die Schweiz etwas mysteriös, und sie sind den Schweizern gegenüber skeptisch eingestellt, insbesondere wegen des Bankgeheimnisses, das sie als eine dubiose Machenschaft betrachten. Das sind Clichés, die oft auch stigmatisierend sind. Generell nimmt man aber die Schweiz mit einem gewissen Abstand wahr. Irgendwie gehört sie nicht richtig dazu.
Viele Franzosen haben allerdings auch Verständnis für die Zurückhaltung der Schweiz der EU gegenüber. Dass sich ein Land gegen die EU sträubt, stösst vielerorts auf Sympathie. Die Schwierigkeiten, welche die EU zu meistern hat, betreffen derart wichtige Themen, dass viele Menschen in Frankreich die Schweizer, die sich dem entziehen wollen, im Grunde genommen verstehen.
Dueblin: Was hat Sie persönlich nebst Ihrer Arbeit bewogen, nach Frankreich zu gehen und dort zu leben? Was bietet Ihnen Frankreich, das die Schweiz nicht bieten kann?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Frankreich ist um einiges größer und bietet viele Freiheiten, die man in der Schweiz nicht kennt. Frankreich offeriert auch für die Forschung und das Geschäft weit grössere Möglichkeiten als die Schweiz. Man stelle sich vor, ein Forschungszentrum auf 25 Hektaren Land zu konzipieren, das heute rund 800 Wissenschaftler beschäftigt. All das ging in Montpellier sehr schnell vor sich! In der Schweiz wäre es schlicht unmöglich, ein ähnliches Projekt in dieser Form und in dieser kurzen Zeit aufzubauen.
Ausserdem hat man den Eindruck, in der Schweiz gehöre jeder an eine gewisse ihm zugewiesene Stelle. Diese Stelle zu verlassen, wird öfters von den Mitbürgern als negativ empfunden. Man stösst auch nicht selten auf Grenzen und Hürden, die schwer zu meistern sind. Ich beobachte und begleite Landsleute, die es nach Frankreich zieht, weil sie sich entwickeln wollen. Den meisten ist das in Frankreich ohne grössere gesellschaftliche Probleme gelungen, weil man hier flexibler ist als in der Schweiz.
Dueblin: Das wird in der Schweiz ganz anders wahrgenommen. Wir haben hier den Eindruck, es sei in Frankreich alles etwas komplizierter, da alles über Paris läuft.
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Diese Wahrnehmung stimmt natürlich auch, wenigstens zum Teil. Frankreich hat ebenfalls Nachteile, derer man sich bewusst sein muss. Es gibt tatsächlich viel Beamtentum, mit dem man zu Recht kommen muss, wenn man vorwärtskommen will. Wenn man aber weiss, wie die Probleme anzugehen sind, dann geht alles zügig voran. Es stimmt, dass viel vom gegenwärtigen politischen System abhängt, das anders funktioniert als in der Schweiz. Man hat in der Schweiz in den letzten zwei Jahren viel von Sarkozy und seiner Politik gelesen. Der Unterschied zur Schweiz besteht darin, dass der Präsident auf nationaler Ebene fast konkurrenzlos mit voller Macht arbeiten und handeln kann. Ist er eher auf der rechten Seite, so tendiert alles etwas nach rechts und umgekehrt (lacht). Es besteht zwar immer die Möglichkeit, dass diejenigen, die keine Macht haben, einen Streik organisieren. Das kann lästig sein. Auf der anderen Seite gibt es immer noch 3-4 zusätzliche politische Ebenen (Region, Département, Agglomération und Gemeinde), die ebenfalls zu berücksichtigen sind und die politisch nicht unbedingt alle in Einklang stehen.
Dueblin: Viele Menschen kehren nach einigen Jahren wieder in die Schweiz zurück. Sie bringen Erfahrungen aus einem anderen Land mit. Ich habe in der Industrie schon öfters bemängelt, dass man Kontakte zu solchen Leuten ebenso wie Kontakte zu Schweizern, die nach wie vor im Ausland leben, zuwenig nutzt. Warum tun wir uns diesbezüglich so schwer?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Sie sprechen hier einen wunden Punkt an. Wir Auslandschweizer stellen fest, dass in unseren staatlichen Organisationen und Behörden wenig Menschen zu finden sind, die längere Zeit im Ausland gewirkt haben, obwohl dies gerade im Zusammenhang mit Problemen, die Berührungspunkte zu anderen Ländern aufweisen, wichtig wäre. Es gibt viele Personen, die mit einem grossen Rucksack voller nützlichem Wissen aus den USA, Frankreich, Deutschland usw. in die Schweiz zurückkehren und deren Erfahrungen brachliegen. In der Privatindustrie verhält sich das anders. Personen mit Auslandskenntnissen sind in grösseren Firmen und in KMU gefragt. Auf Bundesebene ist die Nachfrage hingegen gering. Schauen Sie, was die öffentlichen Debatten in den Medien um die Abstimmung am 8. Februar 2009 oder die vielen offiziellen Vernehmlassungsverfahren anbelangt. Höchst selten werden Schweizer-Spezialisten aus dem Ausland herangezogen. Dabei wären wir im Falle eines Neins die Erstbetroffenen.
Ich stelle deshalb fest, dass man uns, ich spreche jetzt auch von der ASO in der Schweiz, recht wenig einbezieht. Dabei gibt es viele Landsleute, die im Ausland wichtige Stellen innehaben. In Frankreich, aber auch in anderen Ländern, gab und gibt es sogar Minister, die Doppelbürger waren. Es gibt aber auch eine Vielzahl von erstklassigen Forschern und Professoren, die weit mehr für die Schweiz tun könnten, als das zurzeit der Fall ist. Wie Sie angedeutet haben, wäre es möglich, die Schweizer im Ausland und deren Vereine vermehrt anzugehen und für gewisse Projekte zu gewinnen. Ich selber werde regelmässig von Schweizer Privatpersonen um Unterstützung angegangen. Etwa die Hälfte der Schweizer, die hier Fuss fassen will, kontaktiert uns vor dem Umzug, und das wirkt sich für sie sehr positiv aus. In Montpellier haben wir sogar deutsch-französische Treffen mit verschiedenen Experten, darunter Juristen, die Unternehmen deutscher Sprache – also auch Schweizer Unternehmen – mit Hilfe und Rat beistehen. Ohne eine solche erste Hilfe ist man in Frankreich oft etwas verloren.
Dueblin: Was wünschen Sie als Auslandschweizer der Schweiz für die Zukunft?
Dr. Jean-Paul Aeschlimann: Zuerst möchte ich meinem Land zum 8. Februar 2009 eine dezente und weise Abstimmungskampagne wünschen, bei der man auf dunkle Gespenster früherer Zeiten zu verzichten weiss. Ausserdem müsste das E-Voting und das E-Governement vorangetrieben werden. Wir reden von rund 700’000 Schweizern im Ausland, von denen über 120’000 in Wahlregistern in der Schweiz eingetragen sind und aktiv an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen möchten. Das Abstimmen per Post ist zwar in Nachbarländern wie Frankreich und Deutschland möglich, aber es gibt sehr viele Länder, in denen die Post einfach nicht oder viel zu langsam funktioniert. Zurzeit ist Neuchâtel der einzige Kanton, der es geschafft hat, das E-Voting begrenzt einzuführen. Der Bund und die anderen Kantone hinken hinterher. Das ist sehr bedauerlich und beschäftigt die Schweizer im Ausland sehr.
Was die Schweizer Bevölkerung zu hören und in den Medien zu lesen bekommt, gibt oft ein verzerrtes Bild der Schweizer im Ausland. Im Inland bekommt man den Eindruck vermittelt, alle Auslandschweizer würden in der Sonne sitzen und bequem ihren Lebensabend verbringen. Anlässlich der fakultativen AHV-Frage hat man dies deutlich beobachten können. Dabei arbeiten die meisten Auslandschweizer, haben eine Familie und sind oft eng mit der Schweiz verbunden, häufig mehr als im Inland selbst. Oft findet im Ausland die Auseinandersetzung mit politischen Themen auf höherem Niveau statt als in der Schweiz, da grenzübergreifende Zusammenhänge und Lösungen viel mehr besprochen werden als Clichés und Angstszenarien. Meines Erachtens sind die Auslandschweizer deshalb oft bessere Schweizer (lacht). Ich erachte es als wichtig, die ASO und den ASR als Vertreter der Schweizer Diaspora mehr ins politische Leben einzubeziehen. Es gilt auch, das grosse Potential an Fachwissen der Auslandschweizer für die Wirtschaft und auch im Zusammenhang mit der Lösung von politischen Problemen zu nutzen. Hier sehe ich, dass die Diaspora der Schweiz sehr dienlich sein könnte.
Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Aeschlimann, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen und den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern weiterhin alles Gute und viel Erfolg!
(C) 2009 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.
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Links
– Homepage Auslandschweizerorganisation ASO