Dr. sc. nat. Jürg Wiedler

Dr. sc. nat. Jürg Wiedler

Dr. sc. nat. Jürg Wiedler ist seit 2008 als CEO der wez Kunststoffwerk AG tätig, einem mittelständischen High Tech-Unternehmen, das sich seit rund 5 Jahrzehnten der Herstellung von anspruchsvollen Kunststoffteilen und der Kunststoffspritzgusstechnik widmet. Der promovierte Chemiker und Wirtschaftsingenieur schaut auf eine interessante Karriere als Kunststoffexperte zurück und hat sich intensiv mit Innovation auseinandergesetzt, einem Thema, zu dem er aufgrund der Bedeutung für die Schweizer Industrie auch immer wieder öffentlich Stellung bezieht. Sein Credo: Innovation kommt nicht von alleine. Deshalb muss sie ermöglicht und gefördert werden. Im Gespräch mit Christian Dueblin spricht Dr. Wiedler über wichtige Entwicklungsschritte des Kunststoffs, seine Bedeutung in der Industrie, die ökologischen Herausforderungen bei der Produktion von Kunststoffen und zeigt auf, wie in einem Unternehmen innovative Prozesse entstehen können. Gerade die kunststoffverarbeitende Industrie stehe vor grossen Herausforderungen und Veränderungen – hin zu ökologischen Prozessen, rezyklierbaren und biologisch basierten Kunststoff-Lösungen.

Dueblin: Charles Goodyear hat vor rund 150 Jahren Gummi produziert und kurz Zeit danach gab es auch schon Linoleum-Böden. Schliesslich dürfte einigen Menschen noch der Einzug von Nylon kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in Erinnerung geblieben sein, ein Stoff, der die Welt verändert hat. Was aber waren die wirklich wesentlichen Schritte auf dem Weg zu den Kunststoffen, wie sie heute im Umlauf sind?

Dr. Jürg Wiedler: Die ersten Kunststoffe waren chemische Modifikationen von natürlichen Ausgangsstoffen (Kautschuk, Baumwolle etc.). Ein grosser Schritt in Richtung der breiten Kommerzialisierung war sicher die Erfindung der vollsynthetischen Thermoplaste. Im Gegensatz zu Kautschuk oder Linoleum können Thermoplaste durch Wärmezufuhr immer wieder verformt und somit rezykliert werden. Mengenmässig die grösste Bedeutung haben die Polyolefine, die Polyethylene und das Polypropylen erlangt. Bei den technischen Kunststoffen sind die Polyamide und die Polyester erwähnenswert und bei den Hochleistungsthermoplasten sind es die Fluorkunststoffe, die Sulfone und das PEEK. In den letzten 10 Jahren wurde die Entwicklung sogenannter Verbundmaterialien, Organoblechen, vorangetrieben. Diesen „Kunststoff-Hybriden“ liegt eine Matrix aus beispielsweise Polypropylen oder Polyamid zugrunde, in der man etwa durch das Einbringen von Karbon- oder Glasfasern das Eigenschaftenprofil massschneidern kann. So kann ein Kunststoff funktionalisiert werden. Mit Hilfe von Additiven kann ein Kunststoff beispielsweise antimikrobiell eingestellt werden. Neben dem Vorteil des geringen spezifischen Gewichts bieten Kunststoffe eine ganze Reihe von weiteren Vorzügen, die einen massgeblichen Einfluss bei der Substitution von Metallen hatten: Korrosionsschutz und chemische Beständigkeit, einfache und günstige Verarbeitbarkeit und eine hohe Designfreiheit.

Dueblin: Den Produkten der Firma wez Kunststoffwerk AG sind die meisten Menschen in der Schweiz bereits begegnet, wenngleich nur wenige Menschen wissen dürften, dass sie von Ihnen stammen. So finden sich Ihre Kunststoffprodukte in Autos der Automarke Audi, in Kaffeemaschinen von Nespresso und Jura, aber auch in speziell umweltschonenden wasser- und somit spülfreien Urinalen, um nur einige Beispiele zu nennen. Was waren die massgeblichen Innovationsschritte resp. die Beiträge Ihres Unternehmens für die Entwicklung von Kunststoff-Innovationen in den letzten Jahrzehnten?

Dr. Jürg Wiedler: Die wez Kunststoffwerk AG war anfänglich nur ein Zulieferbetrieb der drei Firmen: Walter Bürsten, Ebnat (heute Trisa) und Metall Zug. Erst in den Sechzigerjahren hat das Unternehmen angefangen, ein eigenes Sortiment von Kunststoffprodukten zu entwickeln – die heutigen LOGILINE- und BLACKLINE-Produkte. Grosse Pionierarbeit hat das Unternehmen in den Siebzigerjahren in Bezug auf die Entwicklung von leitfähigen und antistatischen, dissipativen Kunststoffbehältern geleistet. Aber auch auf dem Gebiet der Biokunststoffe haben wir wichtige Akzente gesetzt. Denken sie beispielsweise an die heutige Produktefamilie wezGREENLINE, die CO2-neutral sind.

Dueblin: Anlässlich eines Anlasses der Erfa-Gruppe PIM der ETHZ zum Thema „Erfolgreich aus der Wirtschaftskrise“ im Januar 2010 haben Sie dezidiert auf die Bedeutung von Innovation für Schweizer Unternehmen hingewiesen. Was braucht es in einem Unternehmen Ihres Erachtens, damit innovative Ideen gedeihen können?

Dr. Jürg Wiedler: Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, aktive Innovationsentwicklung zu betreiben: die eine besteht darin, Trends aus dem Markt zu erkennen und diese in Form eines Produktes oder einer Dienstleistung dem Markt zur Verfügung zu stellen. Die andere, die technologiegetriebene Entwicklung, hat zum Ziel, neue Verfahren, neue Rohmaterialien und Produkte etc., die einen Vorteil gegenüber einer bereits etablierten Lösung aufweisen, in einem Fertigprodukt einzusetzen. Diese Innovationen entstehen in der Regel in Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Lieferanten, für die wir massgeschneiderte Produkte mit bestimmten gewünschten Eigenschaften produzieren. Oft wäre ein Unternehmen von unserer Grösse rein aufgrund des Finanzbedarfs gar nicht in der Lage, grosse Entwicklungen aus eigener Kraft hervorzubringen. Ich sehe in dieser bewährten Zusammenarbeit mit ausgewählten Kunden für viele Schweizer Zulieferer eine grosse Chance und setze mich, wo ich kann, dafür ein, dass solche Zusammenarbeiten gefördert werden – so auch am von Ihnen erwähnten Anlass der Erfa-Gruppe PIM.

Innovationen haben oft mit Trends und der Bewältigung von grossen Problemen zu tun. Wenn wir heute sehen, dass 200 Millionen Tonnen Kunststoff aus Erdöl hergestellt werden, wird klar, dass weitere grosse Innovationen nötig sind. Erdöl ist nicht nachwachsend. Sein Entstehungsprozess dauert 500 bis 800 Millionen Jahre. Innovationen rund um Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen sind für uns deshalb ein grosses Thema, das uns seit Jahren beschäftigt. Durch Fermentation von Polysacchariden (Stärke) oder Lignin, der am häufigsten vorkommende natürliche Stoff, die beide durch Photosynthese entstehen, kann man heute auf nachhaltige Art und Weise qualitativ hochwertige Kunststoffe herstellen. Diese Kunststoffe sind, wenn man vom Verarbeitungsprozess und dem Transport einmal absieht, CO2-neutral.

Dueblin: Vielen Kunden sind beispielsweise natürliche und biologische Verpackungsmaterialien ein grosses Anliegen. Wie wird sich dieser Öko-Trend und dieses Umweltbewusstsein Ihrer Ansicht nach weiterentwickeln und wo liegen die Chancen für die Schweizer Wirtschaft?

Dr. Jürg Wiedler: In den letzten 5 Jahren hat ein ganz klarer Paradigmenwechsel stattgefunden, hin zu mehr nachhaltigem Verhalten. Gerade jüngere Menschen sind für nachhaltige und ökologische Produkte sehr sensibel und offen. Schon vor 20 Jahren wurden biobasierte Kunststoffe entwickelt. Als Konsument ist Ihnen der biologisch abbaubare Kunststoff sicher ein Begriff. Mittlerweile gehen wir aber noch einen Schritt weiter. Die Bioabbaubarkeit ist in den Hintergrund getreten, wichtig ist die Erneuerbarkeit. Die Detailhändler COOP und Migros beispielsweise haben vor, die ganze Distribution und ihre Wertschöpfungskette CO2-neutral zu machen. Das ist ein grosser Beitrag zu nachhaltigem Wirtschaften und entspricht dem Wunsch vieler Kundinnen und Kunden. Dazu brauchen solche Firmen aber auch innovative Zulieferunternehmen, denn viele technische Probleme sind noch nicht gelöst.

Den biobasierten Kunststoff kann man verbrennen. Dabei wird genau so viel CO2 frei, wie beim Herstellprozess gebunden worden ist. Er kann auch rezykliert werden oder man kann ihn schlicht verrotten lassen. In Italien dürfen, um nur ein Beispiel zu nennen, seit diesem Jahr keine Tragtaschen mehr aus Polyethylen in den Umlauf gebracht werden. Sie müssen aus nachwachsenden Rohstoffen oder Textilien bestehen. Das zeigt uns Herstellern von Kunststoffen und auch unseren Kunden klar auf, wohin wir uns bewegen werden.

Dueblin: Man hört in dieser Beziehung aber auch viel Kritik, vor allem dann, wenn es um die Frage geht, ob etwa aus Mais Benzin gewonnen werden soll, ein Thema das eng mit unseren Wasserreserven zu tun hat und auch Menschen wie Peter Brabeck, den Präsidenten von Nestlé, bewegt (so beispielsweise im Interview anlässlich des WEF in der BaslerZeitung vom 28. Januar 2011, Seite 14).

Dr. Jürg Wiedler: Wir sind ein Kunststoffwerk und Kompetenzzentrum für unsere Kunden, das Granulat zur Herstellung von Kunststoff auswählt, einkauft und dieses in eine vom Kunden gewünschte Form bringt, verbunden mit spezifischen Eigenschaften, die der Kunststoff aufweisen muss. Dazu braucht ein Unternehmen wie die wez Kunststoffwerk AG Hightech-Maschinen, grosses Know-how im Bau von Werkzeugen und bestens ausgebildete Mitarbeitende. Wir haben, wie auch viele unserer Kunden, früh erkannt, dass viele Kunststoffe aus dem Nahrungsmittelstrom erzeugt werden und sind auch der Meinung, dass das nicht unbedenklich ist. Deshalb arbeiten wir schon seit einigen Jahren mit den Biokunststoffen, die auf dem Grundstoff Lignin basieren, einem „Beiprodukt“ der Zellulose, dem Grundmaterial der Papierherstellung. Die Ausgangsstoffe, die wir nutzen, heissen übrigens ARBOBLEND und ARBOFILL. Die Herstellerfirma dieser innovativen Grundstoffe zur Kunststoffverarbeitung, die Tecnaro GmbH in Ilsfeld in Deutschland, wurde 2010 für ihr Schaffen mit dem European Inventor Award und 2009 mit dem Deutschen Industriepreis ausgezeichnet, was uns natürlich sehr freut und uns darin bestätigt, dass wir strategisch richtig liegen und unsere Partner richtig auswählen.

Dueblin: Wie sieht es in Sachen Innovation im eigenen Unternehmen aus? Wo erkennen Sie in Ihrem Unternehmen die Keimzellen innovativer Ideen? Handelt es sich um geniale Erfinder, Menschen, die sich mit Hochschulen an einen Tisch setzen, oder werden innovative Ideen gar während der Arbeit eher zufällig geboren?

Dr. Jürg Wiedler: Hochschulen und Fachhochschulen sowie Institute und andere Organisationen, die sich mit Forschung auseinandersetzen, waren schon immer wichtige Impulsgeber und Innovatoren der Industrie. Die Innovationen in einem Unternehmen können mit Funken verglichen werden. Diese entstehen immer dann, wenn auf der Welt und damit auch auf dem Markt grosse Verschiebungen stattfinden. Wir sehen das heute bei den Themen Gesundheitswesen und Energie im ganz besonderen Masse. Solch schwierige Themen resultieren oft auch in „Zerwürfnissen“ in unserer Gesellschaft. Aus dieser Situation des Leidensdruckes heraus – es müssen bestimmte Probleme gelöst werden – werden vermehrt innovative Ideen geboren.

In unserem Unternehmen sind sicher die Verkäufer, die ganz vorne am Markt zusammen mit unseren Kunden arbeiten, diejenigen, die als erste Trends erkennen oder neue Ideen, aber auch Problemstellungen nach Hause bringen – meist aufgrund einer intensiven Zusammenarbeit mit den Kunden. Meine Aufgabe als CEO ist es, ihnen zuzuhören, Menschen im Unternehmen zusammenzuführen und schliesslich zu entscheiden, welche Ideen wir umsetzen. Sehr wichtig ist es, eine offene Kommunikation im Unternehmen zu pflegen. Es sollen Ideen, die Mitarbeitende haben, eingebracht werden können, auch wenn sie vielleicht anfänglich nicht als umsetzbar oder gar als ungeeignet erscheinen. Nicht selten ergeben sich dann aus Diskussionsprozessen neue Ideen, die durchaus Sinn machen und angegangen werden.

Dueblin: Was sind Ihres Erachtens Innovationskiller in einem Unternehmen?

Dr. Jürg Wiedler: Ein externer Killer, wenn man ihm so sagen will, ist das falsche Timing. Denken Sie an die Erfindung des PCs, den noch niemand wirklich haben wollte. Ein interner Killer und häufig anzutreffendes Syndrom ist die Einstellung, dass alles was nicht im eigenen Unternehmen entwickelt worden ist, nicht weiterverfolgt werden soll und man mit inneren Widerständen gegen Neues viel wertvolle Energie verpufft. Die Erklärungen, warum man etwas nicht tun könne, nehmen oft Dimensionen an, die erschreckend sind. Das sind natürlich keine guten Voraussetzungen für Innovation und man sollte diese Energien anders nutzen und „polen“. Erkennt man als Chef solche Umstände, muss man tätig werden und ein Umdenken herbeiführen.

Dueblin: Wie wird die Zukunft in Sachen Kunststoffe aussehen? Wo könnten neue Innovationen hilfreich sein, in der Schweiz Arbeitsplätze zu schaffen und zu halten?

Dr. Jürg Wiedler: Ich denke, dass in Bezug auf Verbundmaterialien viele Innovationen bevorstehen. Daran arbeiten auch wir intensiv. Es werden in Zukunft immer mehr metallische Lösungen verdrängt. Der heutige Kunststoffanteil bei Autos – er macht heute rund 25% bis 30% des Gewichtes eines Autos aus – wird deutlich ansteigen, womit Autos weiter Benzin einsparen und ökologischer werden. Bei den Flugzeugen macht der Kunststoff teilweise bereits über 40% des Gewichts aus.

Dueblin: Wie steht es mit „intelligentem“ Kunststoff?

Dr. Jürg Wiedler: Das ist ein sehr interessantes Gebiet, auf dem grosse Entwicklungen zu erwarten sind. Schon heute gibt es Kunststoffe, die sich bei Deformationen wieder zurück in die alte Form versetzen können und somit eine Art Gedächtnis aufweisen. Ich denke aber auch an medizinische Kunststoffimplantate, die im Körper sehr zielgerichtet Wirkstoffe abgeben können. Grosse Innovationen erwarte ich auch in der Nanotechnologie. Oberflächen von Kunststoffen werden „intelligenter“. Schon heute existieren Kunststoffprodukte, die wasser- und schmutzabweisend sind (Lotoseffekt) oder durch Nanosilber bakterizide Wirkung entfalten.

Dueblin: Herr Dr. Wiedler, was wünschen Sie sich in Sachen Innovation für Ihre Firma und die Schweizer Industrie ganz generell?

Dr. Jürg Wiedler: Ich wünsche mir, dass wir und andere Firmen es weiterhin schaffen, den Schwung aus der Zusammenarbeit mit guten Kunden so einzusetzen, dass weitere innovative Ideen entstehen können. Mit Innovation können wir vorsorgen, so dass wir den Anschluss der produzierenden Industrie in der Schweiz an den Weltmarkt nicht verlieren.

Ich persönlich möchte mit meinem Unternehmen auch weiterhin ein Kompetenzzentrum für Kunden darstellen, das sehr schwierige und komplexe Herausforderungen meistern kann – mit motivierten MitarbeiterInnen und notabene viel Innovation.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Wiedler, ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen und Ihrem Unternehmen weiterhin alles Gute!

(C) 2011 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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