Dr. med. Klaus Weiers-Croissant

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant, geboren 1954, studierte in Freiburg i.Br. Medizin und bildete sich zum Internisten mit den Schwerpunkten Lungenheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin, Suchtmedizin und Diabetologie weiter. Seit 2006 betreibt er in Löffingen im Schwarzwald eine hausärztlich-internistische Praxis und berät dort Raucherinnen und Raucher, die zum Nichtrauchen angestiftet werden wollen. In seinem Buch „Anstiftung zum Nichtrauchen“ (ISBN 978-3-00-022662-5) zeigt er auf, was Raucherinnen und Raucher tun können, um die Tabakabhängigkeit in den Griff zu bekommen. Im Interview mit Christian Dueblin spricht Dr. med. Klaus Weiers-Croissant über die physiologischen Zusammenhänge der Suchterkrankung, zeigt die Folgen des Rauchens auf und beleuchtet die durch das Rauchen ausgelösten psychologischen und physiologischen Vorgänge im menschlichen Körper. Schliesslich nimmt er dezidiert Stellung zum Verhalten der nach wie vor weltweit agierenden Tabak-Lobby.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Weiers-Croissant, mit Ihrem Buch „Anstiftung zum Nichtrauchen“ gehen Sie ein Thema an, das viele Menschen beschäftigt und plagt. Gerne möchte ich Sie als Arzt und Experte für Rauchentwöhnung fragen, was eigentlich die physiologischen Gründe für die „Tabakabhängigkeit“ sind. Viele Menschen rauchen, wissen aber selber gar nicht genau, was es ist, das ihren Körper abhängig macht. Könnten Sie uns kurz die medizinischen und biologischen Zusammenhänge aufzeigen, die zur Sucht führen?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Der rein physikalisch-chemische Vorgang nach dem Anzünden einer Zigarette ist folgender: Es entsteht in der Glutzone der Zigarette eine Temperatur um 900 Grad Celsius. Dadurch werden die im Tabak enthaltenen Stoffe chemisch verändert, so dass zahlreiche neue Substanzen entstehen. Der eingeatmete Tabakrauch enthält ungefähr viertausend verschiedene giftige Inhaltsstoffe. Unter diesen spielt das Nikotin eine besondere Rolle. Nikotin macht abhängig, indem es auf das Gehirn und das autonome Nervensystem wirkt. Das autonome Nervensystem reguliert die Funktionen der inneren Organe, wie beispielsweise den Pulsschlag und die Magen-Darm-Bewegungen.

Die Tabakabhängigkeit ist in vielen Aspekten mit der Heroinsucht vergleichbar. Aber die Droge Nikotin wirkt deutlich schneller als Heroin. Wenn das Nikotin schon wenige Sekunden nach der Inhalation das Gehirn erreicht, wirkt es dort auf das mesolimbische System. Das ist ein Bereich im Mittelhirn, in dem die Stoffe Dopamin, Noradrenalin und Serotonin besondere Aufgaben bei der Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen übernehmen. Suchtgifte wie beispielsweise Opiate, Kokain, Cannabis (Marihuana) und Nikotin stimulieren dort einen Anstieg des Botenstoffes Dopamin. Er ist wesentlich verantwortlich für die Gefühlswelt des Menschen: Der Dopaminanstieg führt auch zum besonderen Glücksgefühl, das beim Rauchen empfunden wird.

Dueblin: Ihr Berufskollege Dr. med. Marco Caimi, Mitbegründer des Swiss Economic Health Forums in der Schweiz und ebenfalls Interviewpartner von Xecutives.net (Publikation Mitte März 2010), hat dezidierte Aussagen über die mangelnde Prävention und mangelnde ökonomische Betrachtungsweise in der Medizin gemacht. Das Gesundheitssystem und die Industrie würden sich nach wie vor vorwiegend mit Krankheiten auseinandersetzen, aber leider zuwenig mit der Prävention. Das heisst, sie würden zuwenig darauf hinwirken, dass Menschen gar nicht krank würden. Unser Gesundheitssystem scheint diesbezüglich falsch gepolt zu sein. Was ist Ihre Meinung dazu insbesondere im Hinblick auf das Rauchen?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Wir wissen, dass Übergewicht, Bewegungsmangel, falsche Ernährung und auch Suchtgifte wie Nikotin, Alkohol und andere Drogen schwerwiegende Risikofaktoren für die Volksgesundheit darstellen. In Sachen „Prävention“ könnte man sicherlich noch einiges bewirken und damit auch die Kosten im Gesundheitswesen senken. In Deutschland, wie in manchen anderen Ländern auch, wird der Verzicht auf Tabakgebrauch im Allgemeinen als „Prävention“ bezeichnet. Beim Tabakrauchen handelt es sich aber überwiegend nicht um eine schlechte Angewohnheit, sondern gemäss WHO um eine Suchtkrankheit, für die es einen international gültigen Krankheitsschlüssel gibt. Das Rauchen ist der stolze Spitzenreiter im Töten weltweit – auch in der Schweiz und in Deutschland. Täglich sterben allein in Deutschland fast 400 Menschen an den Folgen des Tabakrauches. Das sind 140’000 Menschen im Jahr! Dazu kommen noch diejenigen Menschen, die durch das Passivrauchen krank werden und sterben.

Dueblin: Viele Menschen rauchen gerade dann vermehrt, wenn sie Alkohol trinken. Was sind die physiologischen Gründe für das verstärkte Verlangen nach einer Zigarette bei Alkoholkonsum?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Alkohol senkt die Hemmschwelle und kann dazu führen, dass der Raucher, der mit dem Tabakkonsum aufhören will, dem Verlangen nach einer Zigarette nach einem Glas Bier oder Wein leichter nachgibt, als wenn er keinen Alkohol konsumieren würde. Deshalb sollte er unbedingt in den sechs bis zwölf Wochen nach dem Rauchstopp auf Alkohol verzichten. Falls der Alkoholverzicht ein Problem für ihn darstellt, sollte er mit seinem Arzt sprechen. Es könnte auch eine Doppelabhängigkeit vorliegen.

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: „Anstiftung zum Nichtrauchen“. ISBN 978-3-00-022662-5

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: „Anstiftung zum Nichtrauchen“. ISBN 978-3-00-022662-5

Dueblin: Die gesundheitlichen Schäden, die durch das Rauchen verursacht werden, sind immens. Das Rauchen stellt nebst dem Alkoholkonsum eine der grössten gesundheitlichen Herausforderungen überhaupt dar. Warum hat es Ihres Erachtens so lange gedauert, bis die Zusammenhänge zwischen Rauchen und Gesundheitsschädigung, beispielsweise Lungenkrebs, wirklich anerkannt worden sind?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Die ersten Hinweise auf die Auswirkungen des Tabakrauchens auf die Erkrankungen der Herzkranzgefässe erhielt die medizinische Wissenschaft durch die im Jahre 1948 in den USA begonnene Framingham-Herz-Studie.

Die WHO hat in einer neuen globalen Todesursachen- und Krankheitsstatistik die weltweit häufigsten Todesursachen zusammengestellt. Datenbasis ist das Jahr 2004. Dabei finden sich auf den Plätzen eins bis vier: Herzinfarkt und andere Herzkrankheiten, die mit einer Minderdurchblutung einhergehen, Schlaganfall und andere Leiden, die auf eine verminderte Blutversorgung des Gehirns zurückzuführen sind, Lungenentzündungen und andere Infekte der unteren Atemwege sowie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Auf Platz acht finden sich Lungen-, Bronchien- und Luftröhrenkrebs. Bei allen diese Krankheiten spielt das Rauchen als Teilursache, bei Lungenkrebs und COPD sogar meistens als alleinige Ursache, eine wesentliche Rolle. Auf Platz zehn finden wir die Frühgeburt oder zu geringes Geburtsgewicht. Auch hier tragen das Rauchen und im Übrigen auch der Alkohol in der Schwangerschaft häufig die Schuld daran.

Als wesentliche Hindernisse für die Verbreitung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bezüglich der Gefahren des Tabakrauchens in der breiten Öffentlichkeit sind die vielfältigen Aktivitäten der international agierenden Tabak-Lobby anzusehen. Professor Dr. Knut-Olaf Haustein legte am 2. Juni 2000 im Deutschen Ärzteblatt (Dtsch.Ärztebl. 2000;97(22) A-1520) in einem Artikel schonungslos die multiplen Manipulationen der Tabakindustrie offen. Werbung für Kunden ab dem Kindesalter und Veränderungen in der Zusammensetzung des Tabaks gehören zu den vielen Methoden, wie die Tabakindustrie Menschen zum Rauchen anstiftet.

Dueblin: Tatsächlich ist es so, dass Menschen oft schon in jungen Jahren zum Rauchen angestiftet werden. Sie möchten Raucher, aber auch Nichtraucher anstiften, mit dem Rauchen aufzuhören oder erst gar nicht damit anzufangen. Es gibt eine ganze Reihe von Angeboten zum Thema Nichtrauchen auf dem Markt. Was unterscheidet Ihr Buch „Anstiftung zum Nichtrauchen“ von den anderen Angeboten?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Zum Thema Anstiftung schon in jungen Jahren lohnt es sich im Übrigen, die Veröffentlichungen von Professor Knut-Olaf Haustein eingehend zu lesen. Unter seinem Namen findet man im Internet einiges. Mein Buch richtet sich in erster Linie an den abhängigen Raucher. Aber es soll auch helfen, ein allgemeines Bewusstsein zu bilden. Mein Buch spricht auch junge Familien an und kann Hilfe bieten, damit die Kinder erst gar nicht mit dem Rauchen anfangen.

Mir ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass der Raucher, der mit dem Tabakkonsum aufhören will, auch ein Stückchen Widerstand gegen die Manipulation durch die Tabakkonzerne leisten muss. Er ist sich dessen meist nicht bewusst und auch primär daran nicht interessiert, Widerstand zu leisten. Das Beste wäre es natürlich, wenn der Tabakindustrie endgültig die Kunden wegliefen. Davon sind wir aber (noch) weit entfernt.

Dueblin: Es wird versucht, Menschen durch Angstmachen vom Rauchen abzuhalten. Man schreibt auf die Verpackung von Tabakwaren, sie könnten zum Tode führen oder bildet Bilder ab von kranken Organen und Menschen. Ist die Angst ein genügend überzeugender Grund dafür, mit dem Rauchen aufzuhören oder gar nicht erst damit zu beginnen?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Mit der Einführung der warnenden Hinweise auf den Zigarettenschachteln, unterstützt von anderen Projekten wie der drastischen Erhöhung der Tabaksteuern sowie der Verstärkung des Nichtraucherschutzes, begann immerhin langsam eine Wende im Verhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Abschreckung auch in Form von durchaus realistischen Bildern wie Raucherlungen ist in Zusammenhang mit anderen Massnahmen als durchaus wirksam anzusehen.

2008 veröffentlichte das deutsche Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Internet, dass die Raucherquote bei Jugendlichen in Deutschland weiter sinke. Nach den Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) ist der Raucheranteil bei den Minderjährigen im Jahr 2008 auf den niedrigsten Stand seit 1979 gesunken. Aus den Veröffentlichungen des BMG geht auch hervor, dass die Warnhinweise von den Rauchern tatsächlich gelesen werden.

Dueblin: Muss man ältere und jüngere Menschen anders anstiften, damit sie mit dem Rauchen aufhören oder gelten bei allen Altersgruppen dieselben Regeln?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Die Programme, die ich anwende („Rauchfrei in 6 Schritten“ vom Arbeitskreis um Anil Batra sowie die „Strukturierte Raucherberatung und Tabakentwöhnung“ des Bundesverbandes der Pneumologen, BdP, in Deutschland) sind für Erwachsene vorgesehen. Für Kinder und Jugendliche gibt es besser geeignete Verfahren. Auch darüber gibt es im Internet interessante und sehr lesenswerte Veröffentlichungen des BMG.

Dueblin: Offenbar scheint es im Rauchverhalten auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu geben. Was stellen Sie diesbezüglich fest?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: In einer Veröffentlichung auf der aktuellen Internetseite der Deutschen Krebsgesellschaft ist zu lesen, dass in Deutschland 25 Prozent aller Erwachsenen regelmässig rauchen und sich weitere 4 Prozent als Gelegenheitsraucher bezeichnen. Bei den Männern liegt die Zahl der Raucher nach dieser Statistik bei 35 Prozent, bei den Frauen bei 22 Prozent. Die Raucherquote ist auch abhängig von der Berufsgruppe: Bauarbeiter, Fernfahrer und Busfahrer beispielsweise gehören zu den Spitzenreitern. 52 Prozent dieser Personengruppen greifen regelmässig zur Zigarette. Unter Ärzten, Apothekern und Lehrern rauchen dagegen nur 18 Prozent.

In den letzten Jahren war das Rauchverhalten von männlichen und weiblichen Jugendlichen uneinheitlich: Einmal überwogen die jungen Männer, das andere Mal die Mädchen. Die Zahl der jungen Raucher-Frauen ist aber im Verhältnis zu den jungen Raucher-Männern in den letzten 20 Jahren deutlich gewachsen. Im September 2004 erstaunte mich bei der Arbeit auf der Lungenstation in der Hufeland-Klinik in Bad Ems, dass die Frauen mit Lungenkrebs zum damaligen Zeitpunkt in der Mehrzahl waren. Die Tabakwerbung hat es mit jahrzehntelanger gezielter Raucher-Werbung für Frauen so weit gebracht, dass sie die gleichen Fehler wie die Männer begingen und immer noch begehen.

Dueblin: Sie bieten Seminare an, um Menschen zum Nichtrauchen anzustiften. Wie muss man sich diese Seminare vorstellen?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Der Kurs heisst „Rauchfrei in 6 Schritten“. Die Tabakentwöhnung findet nach dem Programm der Tübinger Gruppe um Professor Anil Batra statt. Die Kursgebühr wird bis zu 80% durch die Krankenkassen zurückerstattet. Der Ablauf der Tabakentwöhnung besteht in der Abstinenzvorbereitung innerhalb der 1. Kurswoche, der Beendigung des Tabakgebrauches zwischen der 2. und 3. Kurswoche und der Stabilisierungsphase in der 3. bis 6. Kurswoche. Derzeit, im Januar/Februar 2010, findet wieder ein solcher Kurs statt. Ich bin als Therapeut zunehmend begeistert über die hervorragende Mitarbeit der Teilnehmer. Die Gruppe leistet viel im Sinne von gegenseitiger Motivation.

Dueblin: Wo sehen Sie die grössten Probleme beim Aufhören mit dem Rauchen?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Die Überschätzung der Schwierigkeiten beim Aufhören führt dazu, dass manch einer so lange wartet, bis es zu spät ist. Junge Menschen nehmen im Übrigen oftmals an, dass sie jederzeit aufhören könnten. Das ist natürlich ein Wunsch und entspricht nicht der Realität.

Dueblin: Was wünschen Sie sich als Arzt und was wünschen Sie Menschen, die mit dem Rauchen aufhören möchten?

Dr. med. Klaus Weiers-Croissant: Als Arzt wünsche ich mir, dass es dieses Suchtproblem gar nicht gäbe. Den Menschen, die aufhören wollen, wünsche ich, dass sie damit so bald wie möglich anfangen. „Zu spät“ kommt früher, als der Mensch glaubt.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Weiers-Croissant, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen und Ihren Rauchentwöhnungs-Projekten weiterhin viel Erfolg!

(C) 2010 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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Links
MedizInfo: Rauchen und Rauchentwöhnung
Wikipedia: Schadstoffe
Selbsthilfe Forum Alkoholiker
Weltgesundheitsorganisation WHO: Regional Büro für Europa
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Rauchen
Deutsche Krebsgesellschaft: Zahlen und Fakten zum Rauchen