Portrait von Hansjörg Eberle im Interview mit Xecutives.net über die humanitären Minenräumungen der Stiftung Fondation suisse de déminage (FSD)
Hansjörg Eberle im Interview mit Xecutives.net

Hansjörg Eberle gründete 1997 mit Kollegen die Fédération suisse de déminage (FSD), die 2003 in eine Stiftung, die Fondation suisse de déminage (FSD), umgewandelt wurde. Die FSD ist eine schweizerische Nichtregierungsorganisation, die sich zum Hauptziel gesetzt hat, zur humanitären Minenräumung beizutragen. Sie tut das, indem sie Menschen in von Kriegen gezeichneten Ländern zu Spezialisten ausbildet, die mit gezielter Methodik und der nötigen Technik Minen räumen, aber auch Blindgänger entsorgen. In den letzten 25 Jahren hat die FSD dazu beigetragen, dass Tausende von Menschen von Minenexplosionen und explodierenden Minen verschont geblieben sind. Der Schrecken und das Leid, das gerade Antipersonenminen mit sich bringen, darf als vollkommen pervers und menschenunwürdig betrachtet werden. Mit der Ottawa-Konvention haben sich die meisten Länder auf der Welt gegen den Einsatz von Personenminen bekannt. Leider nimmt die Zahl der eingesetzten Minen heute wieder zu, vor allem auch aufgrund des Ukraine-Krieges.

Hansjörg Eberle hat sich als ehemaliger IKRK-Mitarbeitender sowie als Gründungsmitglied und Direktor der FSD drei Jahrzehnte mit der Räumung von Minen und der Opferhilfe auseinandergesetzt. Im Interview nimmt er Stellung zu Fragen der humanitären Minenräumung. Er zeigt auf, was die FSD zur Besserung beitragen kann, was es besonders bei der Minenräumung zu beachten gilt und er zeigt auf, dass viele Gebiete auf der Welt, in denen Krieg herrscht oder herrschte, von den eigentlichen Bewohnern nicht mehr betreten werden können, weil grosse Angst vor Minen herrscht, was nur verständlich ist. Wer will in ein Dorf zurückkehren, das vermint ist! Millionen von Menschen können bis heute in verschiedenen Ländern nicht in ihre Dörfer und auf ihr Feld zurück, da die Gefahr besteht, von einer Mine geschädigt oder getötet zu werden.
Hansjörg Eberle und den mittlerweile rund 800 Beschäftigten weltweit ist es in den letzten Jahren gelungen, eine Fläche so gross wie 12’000 Fussballfelder von Minen und Blindgängern zu säubern. Unlängst hat die offizielle Schweiz für die nächsten drei Jahre einen Betrag von 100 Mio. Franken gesprochen, um in der Ukraine die humanitäre Minenräumung zu verbessern.

Xecutives.net: Herr Eberle, ich interessiere mich nicht nur aus Berufsgründen für die Industrie und neue Techniken, so auch für Roboter und Minenräumgeräte. Ich habe unlängst auch einen Podcast auf Bayern 2 zum Thema „Minenräumung made in Switzerland“ gehört, der mich begeistert hat. Es geht dabei hauptsächlich um das Projekt DIGGER von Frédéric Guerne in Tavannes im bernischen Jura, der seit vielen Jahren schon Geräte erfindet und entwickelt, mit denen Personenminen deaktiviert resp. zur Explosion gebracht werden können, ohne dass Menschen gefährdet werden, und es ging auch um Sie und die FSD. Können Sie uns etwas über die Gründerjahre von DIGGER und der FSD erzählen?

Hansjörg Eberle: Zu der Zeit, als Frédéric Guerne die DIGGER-Sache angedacht und aufgegleist hat, haben ich und ein paar Kollegen zusammen die FSD gegründet, die Fédération suisse de déminage. Das war im Jahr 1997. Schon wenig später kamen wir mit Frédéric Guerne in Kontakt, der, wenn ich mich noch richtig erinnere, damals als Forscher und Ingenieur am EPFL in Lausanne arbeitete. Zuvor war es Michel Diot, der sich Gedanken gemacht hatte zum Thema Minenräumung. Er war denn auch Gründungsmitglied der FSD zusammen mit mir und Henri Leu sowie weiteren Personen und er war es auch, der Frédéric Guerne um technischen Support anging. Frédéric Guerne, ein genialer Tüftler, hatte in der Folge mit dem EPFL, wo beide Herren arbeiteten, angefangen, erste Zeichnungen auszufertigen. Das führte zu einer Art «Blueprint», zu einer ersten Minenräummaschine. Das war die Startidee. Damals dachte Frédéric Guerne wohl, er sei der Einzige, der auf dem Gebiet der Minenräumung und der Entwicklung entsprechender Geräte arbeiten würde. Wir vom FSD dachten das auch. Heute, rund 25 Jahre später, stellen wir alle zusammen fest, dass fast alle Minenräumorganisationen auf der ganzen Welt auf diese Zeit rund um 1997 zurückzuführen sind.

Sehr ausschlaggebend war damals Ende der Neunzigerjahre Lady Di, die sich vehement gegen Minen eingesetzt hatte. Es gab damals Bilder in den Medien mit ihr und Minenräumern und Opfern von Minen in Angola. Zu der Zeit arbeitete ich für das IKRK und der damalige Präsident des IKRK, Cornelio Sommaruga, war federführend im Kampf gegen die Minen. Es gab damals einen sehr grossen Zuspruch der Bevölkerung. Man könnte sagen, dass damit das Problem der Minen neu entdeckt wurde und die Bekämpfung der Minen von der Zivilbevölkerung auf der ganzen Welt mitgetragen worden ist. Das waren allerbeste Voraussetzungen, um Organisationen wie DIGGER oder die FSD zu gründen. Dieses neue Bewusstsein hat dazu geführt, dass weltweit Organisationen und Institutionen anfingen, sich um das Problem der Minen zu kümmern.

FSD-Ukraine-Minenräumer führen Minenräumung in der Provinz Tschernihiw durch (April 2024), Bild zu Interview mit Hansjörg Eberle auf Xecutives.net
FSD-Ukraine-Minenräumer bei der Arbeit in der Provinz Tschernihiw, April 2024. (Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Herrn Hansjörg Eberle)

Xecutives.net: Sie hatten damals die FSD gegründet, sie hiess da noch Fédération suisse de déminage und wurde 2003 zur Fondation suisse de déminage. Sie sind nun seit über 25 Jahren mit der Aufgabe der Räumung von explosiven Kriegsüberresten beschäftigt. Nebst Michel Diot war damals auch Henri Leu an der Gründung des Vereins und der späteren Fondation beteiligt. Wer ist Herr Henri Leu?

Hansjörg Eberle: Michel Diot und ich kannten uns vom IKRK, für das wir beide lange Jahre gearbeitet hatten. Er hat damals am Radio geredet. Es ging um die kosovarischen Flüchtlinge, die zurück in ihre Heimat hätten geführt werden sollen. Viele dieser Kosovaren wollten jedoch nicht zurück, was zu Diskussionen in der Schweiz geführt hatte. Sie wollten nicht zurück, weil grosse Gebiete im Kosovo vermint waren. Die Menschen wussten, dass wenn sie in ihre Dörfer zurückgehen würden, dort ein grosses Risiko bestand, dass sie durch Minen getötet oder verletzt würden. Das ist auch heute ein grosses Thema, über das sich viele Menschen oft zu wenig Gedanken machen. Die Angst vor Minen ist absolut verständlich. Michel Diot schlug vor, dass man den Kosovaren aufzeigen könnte, wie sie selber Minen deaktivieren können. Diese Idee fand in der Schweiz grossen Anklang. Aufgrund dieses Interviews am Radio wurde der Genfer Advokat Henri Leu auf das Thema aufmerksam und er bot seine Hilfe an. Da gab es nun jemanden, der eine gute Idee hatte und technisch versiert war und eine Person, die wusste, wie man eine solche Organisation gründet. Dazu gesellte ich mich. Ich war damals beim IKRK für die Finanzen zuständig. Da waren nun also drei Personen, die in Fribourg einen Verein gründeten, und wir machten uns Gedanken, wie man das Problem der Minen angehen und der Ausbildung von Menschen zur Räumung von Minen gerecht werden könnte.

2003 begann eine neue Phase. Die FSD war damals schon operativ tätig. Wir machten erste Berichte. In diesem Jahr wurde uns aber klar, dass wir als Verein nicht weiterkommen. Dem Verein mangelte es in Bezug auf die Finanzierung durch UNO-Organisationen oder durch Regierungen an Glaubwürdigkeit. Diese Geldgeber wollen nicht mit Vereinen arbeiten, die ihren Zweck von einem auf den anderen Tag ändern können, sondern mit Stiftungen, deren Zweck festgeschrieben ist und nicht geändert werden kann. Um diese Glaubwürdigkeit herbeizuführen, beschlossen wir, eine Fondation zu gründen, eben die FSD, wie sie sich heute präsentiert. Man ist zudem mit einer Stiftung auch unter der Aufsicht der Bundesbehörden und ist im Auftritt gegenüber den Geldgebern tatsächlich glaubwürdiger.

Xecutives.net: Sie haben sich über 25 Jahre für die humanitäre Minenräumung eingesetzt und dabei viele Rückschläge mit der FSD erleiden müssen. Ich vermute, dass das auch mit viel Frust verbunden war. Es ist ihnen trotzdem gelungen, in dieser Zeit Tausende Menschen vor Verletzung und dem Tod zu bewahren. Die Gebiete, auf denen Sie mit der FSD weltweit tätig waren und sind, auf denen Sie Minen und Blindgänger entfernt haben, entsprechen rund 12’000 Fussballfeldern. Es sind Gebiete, die heute wieder von Menschen bewohnt werden können, ohne dass man ständig Angst haben muss. Diese lange Zeit bis sich der Erfolg einstellt, hat mich an andere Interviewpartner und -partnerinnen erinnert, denen es bei ihren Projekten ganz ähnlich erging, darunter finden sich Persönlichkeiten wie Emil Steinberger, dessen Anfangszeit in Luzern sehr beschwerlich war, Dr. h.c. Marthe Gosteli, die Frauenrechtlerin, die viel für das Stimmrecht der Frauen beigetragen und ein Frauen-Archiv gegründet hatte, der Chirurg und das Rotary-Mitglied PD Dr. med. Urs Herzog, der sich seit Jahrzehnten für die Ausrottung von Polio einsetzt, sein Kollege Prof. Dr. Marcel Tanner, der sich sein Leben lang für die Bekämpfung von Tropenkrankheiten eingesetzt hat und Frau Elisabeth Neuenschwander, die eben ihren 95. Geburtstag hat feiern können, die im Alleingang Tausenden von Frauen, Kindern und Männern in Afghanistan eine Lebensgrundlage ermöglich hat. Schliesslich ist auch Dr. iur. Marco Mona zu nennen, der sich als Präsident der Association for the Prevention of Torture (ATP) für die Abschaffung der Folter eingesetzt hat, ein Projekt, für das zuvor schon der Banker und Pictet-Teilhaber Jean-Jacques Gautier während Jahrzehnten und mit Einsatz seines Vermögens kämpfte. Das sind alles unglaubliche Geschichten von Menschen, die über ein unerhörtes Durchhaltevermögen verfügt haben, von einer Idee überzeugt waren und es schliesslich geschafft haben, Grosses zu vollbringen. Wie ergeht es Ihnen nach 25 Jahren Arbeit in Sachen Minenräumung? Und woher schöpfen Sie ihre Energie, um trotz der vielen Widrigkeiten weiterzumachen, wenn man bedenkt, dass diese Minen weiterhin an vielen Orten fürchterliches Elend erzeugen?

Hansjörg Eberle: Ich weiss nicht, ob ich mich hier auf die gleiche Stufe stellen darf, wie die Persönlichkeiten, die sie eben genannt haben und von denen ich einige persönlich sehr gut kenne. Ich bewundere diese Menschen und ihren Einsatz auch. Bei mir ist das vielleicht etwas anders gelaufen. Ich bin in Bezug auf das Thema Minenräumung bei meiner Arbeit für das IKRK sensibilisiert worden. Ich habe während dieser Zeit rund sechs Jahre im Ausland gearbeitet, so auch in Afghanistan, und ich war vor allem in Kriegsspitälern tätig. Dort habe ich sehr klar mitbekommen, was Minen und Krieg überhaupt an Elend verursachen. Ich sah verstümmelte Menschen, blutende Frauen und Kinder und bekam das ganze Elend der Familien, die betroffen waren, an vorderster Front brutal mit. Es gab Situationen, bei denen der Chirurg kurz und sec meinte, dass man eine Person nur noch mit einer Amputation retten könne oder dass auch gar nichts mehr zu machen wäre, weil der Aufwand zu gross war. Das war schrecklich und das waren richtiggehende Horrorerlebnisse. Das IKRK vertrat damals die Ansicht, dass man die von Minen versehrten Menschen unterstützen sollte. Es war aber auch der Ansicht, dass das Räumen der Minen eine militärische Angelegenheit sei, da es hierfür die richtigen Spezialisten bedurfte. Das IKRK sah es nicht als seine Aufgabe an, sich um das Räumen der Minen zu kümmern, sondern fokussierte sich auf die Behandlung und Unterstützung von durch Minen und Blindgänger verletzter Menschen. Heute argumentiert das IKRK nicht mehr so. Damals aber kam das der einen oder anderen Person schon sehr legalistisch argumentiert vor.

FSD-Afghanistan Minenräumer bei manuellen Räumungsarbeiten in einem Berggebiet im Bezirk Khan Abad (Juli 2024), ), Bild zu Xecutives.net-Interview mit Hansjörg Eberle
FSD-Afghanistan Minenräumer bei manuellen Räumungsarbeiten in einem Berggebiet im Bezirk Khan Abad (Juli 2024)

Uns Mitarbeitenden, die diesen Horror täglich erlebten, war klar, dass man in Sachen Prävention sehr viel mehr machen müsste. Es kam dann zu Aufklärungskampagnen in Schulen, wo man den Kindern zeigte, wie sie sich in Sachen Minen und Blindgängern verhalten mussten. Als ich das IKRK 1997 verliess, wollte ich einen Beitrag leisten und ich setzte mich mit vielen interessierten Menschen an einen Tisch. Wir sprachen dann auch beim schweizerischen Militär vor und berichteten über unsere Erfahrungen. Wir wurden angehört, jedoch sah sich das Militär nicht in der Lage, Minen räumen zu können. Die Militärexperten meinten, dass, wenn sie Minen auslegen würden, sie einen Plan hätten, so dass sie sie auch wieder entfernen könnten. Das Militär sah sich aber ausserstande, Minen zu räumen ohne einen solchen Plan. Das Militär, nicht nur in der Schweiz, konnte damals keine Minen methodologisch räumen. Die Ziele des Militärs waren auch andere. Man sah das Räumen von Minen nicht als Aufgabe des Militärs an. Natürlich waren die Experten dafür ausgebildet, mit brachialer Gewalt eine Mine zur Explosion zu bringen, indem man etwa mit einem Panzer über die Minen fuhr. Heute ist das alles anders, auch das Militär verfügt nun über humanitäre Minenräumer und hat somit entsprechendes Expertenwissen. Das war aber vor 25 Jahren nicht der Fall.

Es geht beim Minenräumen nicht nur darum, dass man einfach so ein oder zwei Minen auf einem Feld findet und diese dann entschärft. Humanitäres Minenräumen bedeutet, dass die Menschen dort absolute Sicherheit haben müssen. Es müssen somit ALLE Minen und Blindgänger auf einem gewissen Gebiet gefunden werden und dafür braucht es sehr viel Planung, Fachkompetenz und ganz spezielle Methodologien. Uns wurde somit klar, dass für die Minenräumung sich niemand richtig zuständig fühlte. Darum beschlossen wir, dem entgegenzuwirken und fingen an, neue Methodologien zu erarbeiten. Wir standen ganz am Anfang und wussten selber auch nicht, wie man das alles macht. So mussten wir auf Drittpersonen zugehen und wir fanden einen britischen Ex-Militär, der uns mit seinem technischen Fachwissen unterstützte. Zudem mussten wir die finanziellen Mittel beschaffen, um das Projekt stemmen zu können. Das erste Projekt fand damals mit einem Budget von 30’000 Franken in Sarajewo statt.

Xecutives.net: Was hat sich in den letzten 27 Jahren seither verändert?

Hansjörg Eberle: Die FSD ist nicht mehr alleine. Wir haben in der humanitären Minenräumung rund fünf oder sechs international tätige NGOs, die weltweit anerkannt sind und die man in den bekannten Konfliktgebieten antrifft. Die FSD ist klar ein Teil dieser Gruppe von Organisationen. Die FSD ist aber nicht die grösste und auch nicht die schönste oder beste Organisation. Es gibt Organisationen, die um ein Vielfaches grösser sind und denen ganz andere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Den Aussenministerien der Länder, die für solche Projekte Geld sprechen, ist die FSD als eine Spezialisten-Organisation bestens bekannt, die tatsächlich humanitäre Minenräumung machen und der man Geld anvertrauen kann.

Meine Unzufriedenheit in den letzten sagen wir 25 Jahren hatte ihren Grund darin, dass wir zwar Fondation suisse de déminage heissen, aber die offizielle Schweiz uns bis vor kurzem nie anerkannt hatte. Das führte bei mir und allen Beteiligten zu viel Frust. Das erste Mal haben wir, wohl im Jahr 1998, von der offiziellen Schweiz eine Million Franken erhalten, um im Balkan Minenräumung zu betreiben. Das Geld wurde uns damals, als wir noch als Verein tätig waren, nicht mit einem klaren Ziel oder mit viel Motivation gegeben. Es schien, als wäre am Ende des Jahres einfach noch etwas Geld im Budget übriggeblieben, das man nun noch aufbrauchen musste. Später haben wir lange Zeit nichts mehr erhalten. Die Schweiz unterstützte offiziell schon damals das Genfer Zentrum für Minenräumung (GICHD), eine Art Thinktank, der sehr gute Arbeit macht. Diese Organisation macht aber selber keine Minenräumung, sondern sie denkt über die Minenräumung nach, macht Analysen, Ausbildungen und publiziert. Die eigentliche Räumung der Minen war bis vor kurzem für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zu gefährlich. Wenn es plötzlich Tote oder Verletzte gibt, dann kann das ein schlechtes Licht auf solche Organisationen werfen und das möchte man nicht haben. Darum war es immer mein Traum, dass die FSD von der offiziellen Schweiz unterstützt wird, um eben diese Löcher zu stopfen, für die der Staat selber nicht verantwortlich zeichnet, so wie das bei HALO Trust oder der Mines Advisory Group in England der Fall ist. HALO Trust macht genau das, was wir hier in der Schweiz und aus der Schweiz heraus ebenfalls tun. Ähnliche Projekte gibt es auch in Italien oder in Norwegen, um weitere Länder zu nennen, die sich in Sachen Minenräumung engagieren. Dort ist die staatliche Unterstützung aber schon seit vielen Jahren geregelt.

Xecutives.net: Diese Situation, was die offizielle Schweiz anbelangt, hat sich aber im Jahr 2023 geändert. Die offizielle Schweiz scheint sich plötzlich zu bewegen, zuerst etwas unfreiwillig, nun aber offenbar fast schon mit Enthusiasmus…

Hansjörg Eberle: Ja, das ist korrekt. Die Schweiz kam 2023 massiv mit ihrer Neutralität unter Druck. Es gab grosse Kritik daran, dass bspw. die Deutschen gewisse Waffen nicht an die Ukraine weitergeben durften, weil die Schweiz die Lieferung, sich immer auf die Neutralität beziehend, nicht erlaubte. Das verstand nicht jeder und die Schweiz musste sich überlegen, wie sie wieder aus den Schlagzeilen rauskommt. Der offiziellen Schweiz wurde klar, dass sie etwas machen musste und jemand hatte die Idee, dass man die Ukraine, die besonders unter Anti-Personenminen und nicht-explodierter Munition leidet, tatkräftig bei der humanitären Minenräumung unterstützen könnte. Kurze Zeit später war die Schweiz Partnerin der FSD. Die FSD wurde offiziell als Partner der Schweiz in der Ukraine betrachtet. So verkündeten die Bundesräte Viola Amherd und Ignazio Cassis, dass die Schweiz bereit sei, rund 100 Millionen Franken für die Minenräumung auszugeben. Ich sass damals zusammen mit dem Direktor des GICHD auch am Tisch mit den beiden Bundesräten, als dieser Entscheid kommuniziert wurde. Ich wusste aber nichts vor dieser Ankündigung. Ich habe mit allen anderen zur Kenntnis genommen, dass die FSD nun plötzlich für die offizielle Schweiz existiert und war im Moment etwas sprachlos. Von diesen 100 Millionen Franken erhält die FSD 40 Millionen über 4 Jahre. Für mich war das natürlich ein erfreuliches Ereignis, denn noch vor meiner Pensionierung und nach 27 Jahren humanitärer Minenräumung auf der ganzen Welt werden wir nun doch von der Schweiz unterstützt und als Partner wahrgenommen. Das hat mich wirklich sehr gefreut und wir geben weiterhin unser Bestes, möglichst viele Minen und Blindgänger beseitigen zu können.

Hansjoerg Eberle from FSD Fondation suisse de déminage, visit to Ukraine April 2024
Hansjörg Eberle’s Besuch in der Ukraine, April 2024

Xecutives.net: Jean-Paul Gautier, der Mann, der sich sein berufliches Leben lang gegen die Folter auf der Welt einsetzte, hätte an ihrer Aussage Freude gehabt. Er hatte offenbar das Gleiche erlebt und nur mit Hilfe von vielen Mitstreitern und Mitstreiterinnen wurde er dann später für seinen Einsatz belohnt. Auch bei diesem Beispiel machte die Schweiz erst sehr spät mit. Ist das ein Charakterzeichen der Schweiz, dass man dem Weltgeschehen oft etwas hinterherhinkt?

Hansjörg Eberle: Man darf dieser ganzen Entwicklung sicher kritisch gegenüberstehen. Ich war auch immer kritisch. Was die Schweiz in Sachen Minenräumung aber über lange Zeit charakterisiert hat, ist eine übergrosse Vorsicht, einen Bereich zu betreten, bei dem es dann schliesslich zu Reputationsrisiken kommen könnte. Wenn bei der Minenräumung etwas schiefläuft, dann könnte es natürlich sein, dass man schnell auch in die mediale Schusslinie gerät und man sich den Vorwurf gefallen lassen muss, etwas getan zu haben, das man nicht im Griff hat. Diese Angst ist sicher ein Grund dafür, warum die Schweiz lange Jahre sehr zögerlich war. Die Diplomaten des EDA, mit denen ich zu tun hatte, waren immer an der Minenräumung interessiert. Sie wussten gut Bescheid und wollten auch mehr machen, als man gemacht hatte und hätte machen können. Sie hatten aber schlicht die Budgets nicht, um etwas bewegen zu können. Es hiess dann, dass man mit dem DEZA sprechen müsse. Beim DEZA hiess es, noch bis vor zwei Jahren, dass Minenräumung schon gut sei, aber man mit Minenräumung nichts zu tun haben wolle, weil das zu gefährlich sei. Das Umdenken hat vor allem eingesetzt, seit Bundesrat Cassis sich mit der ganzen Sache rund um den Ukraine-Krieg befasst und sich zusammen mit Bundesrätin Amherd über das Thema Wiederaufbau Gedanken gemacht hat. Hierzu waren die Lugano-Konferenz und die Konferenz in Lausanne Mitte Oktober 2024 grosse Treiber.

Xecutives.net: Die humanitäre Minenräumung verfolgt nicht nur das Ziel, Minen und Blindgänger zu entfernen. Es geht auch darum, dass die Menschen wieder in ihre Dörfer zurückgehen können, auf ihre Felder, um Landwirtschaft zu betreiben, ohne ständig Angst zu haben, dass man verletzt oder getötet wird. Frédéric Guerne hat das in besagtem Podcast von Bayern 2 sehr gut erklärt. Er sah, dass im Sudan ganze Dörfer nicht mehr besiedelt wurden und die ehemaligen Bewohner nicht mehr zurückgehen konnten und wollten, weil diese Dörfer alle vermint waren. Die Minenräumung führt also auch dazu, dass Menschen wieder zurückgehen können, ohne Angst haben zu müssen.

FSD-Ukraine Mitarbeiter, der mit einem Metalldetektor in der Provinz Charkiw Boden zur Minenräumung untersucht (Februar 2024)
FSD-Ukraine Mitarbeiter bei der Minenräumung mit einem Metalldetektor, Provinz Charkiw (Februar 2024)

Hansjörg Eberle: Das ist genau so und wie Sie einleitend zu diesem Gespräch gesagt haben, ist der Gedanke schrecklich, dass ein Kind draussen Fussballspielen geht und von einer Mine zerfetzt wird. Es geht aber tatsächlich auch darum, dass bspw. heute in der Ukraine sehr grosse Teile des Landes, man geht zurzeit von einem Viertel des Landes aus, also von einer Fläche halb so gross wie Deutschland, von Minen und Blindgängern betroffen sind. Man kann ein Land nach einem Krieg nicht aufbauen, wenn diese Minen und die Blindgänger nicht entsorgt werden. So wurden in vielen Spitälern auf der ganzen Welt zwar Menschen nach Minenunfällen behandelt, aber verständlicherweise wollten diese Personen dann später nicht wieder zurückgehen. Diese Erkenntnis und das daraus resultierende Umdenken erklärt wohl auch, warum die Bundesräte Cassis und Amherd tätig geworden sind und den Wiederaufbau für die Schweiz ins Zentrum rücken, was sehr zu begrüssen ist und vielen Menschen auf der Welt helfen wird. Damit will ich nicht sagen, dass die Schweiz nun weltweit bemüht sein wird, Minenräumungen zu ermöglichen. Wir sprechen, was die FSD anbelangt, nur von der Ukraine, um die sich zurzeit die Diskussion dreht. Ich hoffe, dass ich noch vor meiner Pension erleben werde, dass die Schweiz sich auch weltweit bemüht, die Räumung von Minen zu ermöglichen. Es geht hier auch um wirtschaftliche Punkte, die es zu beachten gilt. Wir haben alle Kompetenzen, die es braucht. Das sind Karten, die die Schweiz pro aktiv spielen könnte. Dies könnte auch zum Vorteil unserer Wirtschaft sein.

Wenn man mal zusammenrechnet, wie viele Menschen Flüchtlinge oder Vertriebene sind und was das alles für wirtschaftliche und sozioökonomische Konsequenzen hat, wird es beinahe unheimlich. Man sieht das bspw. auch im Irak, wo ich eben mit der FSD war. Zehntausende von Menschen leben in vielen Städten in der Nähe der eigenen Dörfer, auch in Flüchtlingslagern, die nur wenige Kilometer von den eigenen Dörfern weg sind, aber diese Menschen denken nicht daran, in ihre Heimatorte zurückzugehen, aus Angst vor den Minen. Es gibt im Irak Tausende von Dörfern, in denen noch keine Minenräumung stattgefunden hat. Es dürften weltweit Millionen von Menschen sein, die aufgrund von Minen nicht nach Hause gehen können, um ihre Häuser wieder aufzubauen, die Felder wieder zu bestellen, weil sie Angst haben, sich und ihre Familien in Gefahr zu bringen. Das ist ein gigantisches Problem, zu dessen Entschärfung die Schweiz viel beitragen könnte. Und Sie haben einleitend die Bauern genannt, die hierfür grosses Verständnis aufbringen. Dem ist so. Ein Bauer macht sich mehr Gedanken darüber, wenn sein Land nicht bearbeitet werden kann, weil möglicherweise Minen im Boden stecken. Das Land ist für die Bauern wie ihr Blut. Bei den Bauern gibt es aber noch eine andere Schnittstelle zur Minenräumung, die ich für äusserst wichtig halte. Bauern arbeiten mit Landmaschinen und sie wissen, wie man den Boden bearbeitet. Die ersten Maschinen, die Frédéric Guerne in Tavannes entwickelt hat, gab es, weil die Bauern in Sachen Mechanik grosse Hilfe leisten konnten. Sie wussten, was es braucht, um den Boden zu bewegen, in den Boden zu graben. Dieses Know-how aus dem Bereich Landwirtschaft stammt zu einem grossen Teil von den Bauern, die sich sehr engagiert haben und das immer noch tun.

FSD-Ukraine - Bodenbearbeitungsmaschine für die mechanische Räumung in der Provinz Tschernihiw (Mai 2024), Bild zu Xecutives-Interview mit Hansjörg Eberle
Bodenbearbeitungsmaschine zur mechanischen Räumung in der Provinz Tschernihiw (Mai 2024)

Xecutives.net: Die Personenminen, von denen wir hier sprechen, haben zum Ziel, Menschen nur zu verletzen und nicht sie zu töten. Das macht den Einsatz von Minen noch perverser. Das ist eine alte Kriegstaktik, die schon den alten Eidgenossen und zuvor auch den Römern bekannt war. Mit solchen Taktiken gewann Cäsar über die Kelten. Wir haben über die Schlacht bei Alesia berichtet, als der Arvener-Fürst Vercingetorix die Waffen strecken musste. Cäsar vergrub auf dem Schlachtfeld Tausende von kleinen Haken, die Pferde, aber auch Menschen, am Fuss schwer verletzen konnten. War man verletzt, war man ausser Gefecht und zudem eine Bürde für die anderen Soldaten. Dieser Punkt kommt meines Erachtens bei den Diskussionen um Minen oft zu kurz, denn die vielen verletzten Menschen und ihre Familien finden sich oft in schier unlösbare Situationen.

Hansjörg Eberle: Die Antipersonenminen sind tatsächlich so gemacht, dass sie Menschen hauptsächlich verletzen. Ein verwunderter Soldat führt auf dem Schlachtfeld zu Problemen, denn es bedarf sechs Soldaten aus den eigenen Reihen, um den verwundeten Soldaten in Sicherheit zu bringen und ihn zu pflegen. Das ist eine schreckliche Sache. Das führte dann auch zur Ächtung der Antipersonenminen.

Xecutives.net: Sie sprechen von der Ottawa-Konvention, dem völkerrechtlichen Vertrag zum Verbot von Antipersonenminen von 1997. Wie kam es dazu? Und warum haben Russland, China und die USA diese Konvention nicht unterzeichnet?

Hansjörg Eberle: Die Ottawa-Konvention verbietet den Einsatz von Antipersonenminen. Es gibt ähnliche Konventionen auf anderen Gebieten, so bspw. für Laser, die blind machen und für Streumunition, die zu unglaublichen Schäden und Elend führt. Es war das IKRK, das diese Konvention angestossen hatte. Der damalige Präsident Cornelio Sommaruga hat sehr viel zum Gelingen des Projektes beigetragen. Die meisten Länder der Welt haben diese Konvention unterzeichnet und sich für das Verbot von Antipersonenminen ausgesprochen. Wie sie richtig sagen, die wichtigsten Länder fehlen: Russland, China und USA, aber auch Nordkorea und Pakistan. Das heisst aber nicht, dass die Länder, die die Konvention nicht unterzeichnet haben untätig wären. So einfach ist das nicht. Es sind nicht einfach die, die unterzeichnet haben die Lieben und die anderen die Bösen. Die USA bspw. sind die grösste Geldgeberin für die humanitäre Minenräumung auf der Welt.

Es ist manchmal schwierig, abzuschätzen, wo diese Länder genau stehen. Das Gute und Schlechte liegt oft nahe beieinander. Andere Länder wie Russland haben Gründe, um die Konvention nicht zu unterzeichnen. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist der Einsatz von Personenminen, nachdem er lange Zeit rückläufig war, wieder rapide nach oben geschnellt. Mit den Problemen mit al-Kaida und dem Irak sind ebenfalls wieder vermehrt Minen eingesetzt worden. Da man die Minen aber auf dem Markt gar nicht mehr so einfach beschaffen konnte, haben die Kriegsparteien selber angefangen, in Garagen Minen und Sprengkörper herzustellen, oft mit Sprengstoff aus der Türkei und weiteren Produkten aus den Erdölstaaten. Es gab somit einen grossen technischen Umbruch mit diesen «Artisanal Mines» oder «Improvised explosved devices (IED)», wie sie in der Fachsprache bezeichnet werden. Es werden Hunderttausende von semiindustriell hergestellten Minen eingesetzt, die nicht von der Rüstungsindustrie hergestellt wurden. Es handelt sich technisch gesehen nicht um Antipersonenminen. Sie funktionieren aber gleich und können den gleichen Schaden anrichten. Diese Minen wurden auch in Syrien, in Jemen und in Jordanien eingesetzt. Jetzt mit dem Ukraine-Krieg halten sich beide Seiten mit dem Einsatz von Minen, aber auch mit Streumunition, überhaupt nicht zurück. Alles, was von der Völkergemeinschaft geächtet und verboten worden ist, wird in diesem Krieg nun doch wieder eingesetzt, was einem zu denken geben muss.

FSD-Ukraine Minenräumer bei der Minenräumung in der Provinz Tschernihiw (Oktober 2023), Bild zu Interview mit Hansjörg Eberle
FSD-Ukraine Minenräumer bei der Minenräumung in der Provinz Tschernihiw (Oktober 2023)

Xecutives.net: Israel hat vor kurzer Zeit Pager zum Explodieren gebracht, mit denen auch Zivilisten geschädigt worden sind, die mit dem Krieg wohl eher nicht viel zu tun haben und nicht für den Krieg verantwortlich sind. Ist das nicht auch ein Einsatz ähnlich einer Personenmine?

Hansjörg Eberle: Das sind ebenfalls «Improvised Explosive Devices», ähnlich, wie das Beispiel vom Irak und al-Kaida. Das mag für Israel ein grosser militärischer Erfolg gewesen sein, völkerrechtlich gesehen ist aber auch das höchst fragwürdig.

Xecutives.net: Wie sieht Ihre Arbeit der FSD bei der Minenräumung heute aus?

Hansjörg Eberle: Die rund 800 Personen, die wir über die FSD beschäftigen, räumen zurzeit vor allem Minen und Blindgänger weg. Die Minenräumer sind meist Menschen aus den betroffenen Gebieten. Es werden in der Ukraine jeden Tag Zehntausende von Artilleriegeschossen eingesetzt, auch Mörsergranaten. Die Qualität der Munition ist oft nicht sehr hoch. Die Fehlerrate beträgt rund 10%, manchmal mehr. Wenn also die Russen Zehntausend Artilleriegranaten pro Tag abfeuern, dann haben sie Tausend Artilleriegranaten, die nicht losgehen und nun ein weiteres Problem verursachen. Diese Munition steckt irgendwo im Dach oder im Boden. Das kann harmlos sein. Sie können aber auch explodieren, wenn man sie anfasst. Sie bedeuten die breitest gefächerte Gefährdung für die Menschen, die in Gebieten leben, in denen der Krieg stattgefunden hat. Es gibt Orte, an denen das Militär es auch noch als nützlich empfunden hat, zusätzlich weitere Minen zu verteilen, indem man sie einfach wahllos verstreute. Unter diesen Minen finden sich auch Antipersonenminen, obwohl diese geächtet und verboten sind, die zu Tausenden eingesetzt werden, aber auch Fahrzeugminen und Antipanzerminen. Solche Gebiete später zu betreten, wenn sie nicht geräumt worden sind, bedeutet absolute Lebensgefahr. In diesen Gegenden gibt es dann später nach einem Krieg oft jahrzehntelang noch Nachwirkungen, was oft vergessen geht.

Ich habe bei meiner Arbeit im IKRK und bei den vielen Besuchen und Visiten in anderen Ländern mit der FSD gesehen, wie schwierig es in diesen Gebieten für verletzte Menschen ist. Sie sind oft weit weg von Spitälern. In gewissen Gegenden braucht man drei Tage, um zum nächsten Spital zu gelangen. Ohne Fuss oder Bein macht man das nicht allein. Die Verletzten sind auf andere Menschen angewiesen. Dann muss man oft längere Zeit im Spital bleiben und danach wieder zurückkehren. Alles das bringt viele Familien, die eh schon nichts haben und sonst vom Krieg gezeichnet sind, in unglaublich schlimme Situationen. Familien, die von der Hand in den Mund leben, müssen nun noch Menschen mitziehen, die von Minen verletzt worden sind. Das sind Sachen, die mir sehr zu denken geben und mich sehr traurig stimmen. Mit der FSD versuchen wir, solchen Menschen und Familien zu helfen. Ich denke im Moment an Afghanistan, wo wir schon seit vielen Jahren tätig sind. Wir helfen verletzten und verstümmelten Menschen, einer Arbeit nachzugehen, indem wir ihnen helfen, eine Ausbildung zum Imker zu machen oder Velomechaniker zu werden. Wir haben auch vielen Menschen geholfen, in die nächstgelegenen IKRK-Zentren zu gelangen. In Bogota, in Kolumbien, erkannten wir, dass sehr viele Minenopfer vom Land in die Stadt gingen, und sich dort irgendwie durchschlugen. Wir haben dort den Menschen gezeigt, wie man Gärtner wird und wie man Stadtgärten betreiben kann. Damit können diese Menschen ihr Einkommen etwas aufbessern. Wir selber betreiben aber keine Spitäler und beschäftigen auch keine Chirurgen. Das überlassen wir den hierfür spezialisierten Organisationen.

Xecutives.net: Wenn wir nun über Minenräumung sprechen, dann muss man auch wissen, dass damit nicht einfach gemeint ist, irgendwo eine Mine zu finden und diese zu entschärfen. Man kann einem Bauern nicht sagen, man habe nun fünf Minen entschärft, man wisse aber nicht, ob es noch mehr Minen auf seinem Feld gibt. Es geht darum, ganze Gebiete absolut und vollständig minenfrei zu machen. Wie gehen Sie diese Herausforderung an? Und kam es schon zu Unfällen?

Hansjörg Eberle: Das ist ein enorm wichtiger Punkt und hier können wir einen grossen Beitrag leisten, denn die Spezialisten vom FSD wissen, wie man methodologisch vorgeht. Es gab in den letzten Jahren bei der FSD in der Ukraine keine Unfälle bei der Räumung von Minen. Das Unfallrisiko ist nicht grösser als in einer Feuerwehr. Es gab aber bspw. Verkehrsunfälle. In Kolumbien, um das Beispiel noch mal aufzunehmen, sind wir schon seit 10 Jahren daran, die Behörden zu schulen und ihnen zu zeigen, wie man Minenräumung professionell koordiniert. Wenn ein Land ein Minenproblem hat, braucht es zwar Spezialisten, die das können, aber es stellt sich auch die Frage, wo man denn anfängt. Das Ziel der humanitären Minenräumung, und das ist der Unterschied zur militärischen Minenräumung, besteht darin, dass man eine 100%ige Garantie hat, dass ein geräumtes Gebiet wirklich geräumt ist. Unsere Qualität, die wir erreichen müssen, geht gegen 100%. Es braucht diese Qualitätssicherung. Die Menschen müssen richtig ausgebildet werden und die Qualität ist ein steter Prozess, bis die Minen weg sind. Es bedarf viel technischer Kompetenz. Man muss Land abmessen können und die richtigen Tools haben, um Minen zu finden und wegzuräumen. Wir helfen mit der FSD vielen Regierungen, die Minenräumung richtig zu organisieren.

Xecutives.net: Es bedarf, um ein Projekt wie das Ihre zum Erfolg zu bringen nicht nur viel Durchhaltewille, sondern auch andere Menschen, die einen unterstützen. Bei Herrn Jean-Jacques Gautier und Dr. iur. Marco Mona, die sich beide für die Abschaffung der Folter eingesetzt haben, war das die «St. Galler Gruppe» und im speziellen Frau Martita Jöhr, die viel Geld zur Verfügung gestellt hatte, um gewisse Ziele erreichen zu können. Wie steht es darum bei der FSD? Sie haben bspw. den Wirtschaftsführer und Unternehmer Urs Endress, der die FSD seit vielen Jahren unterstützt. Solche Menschen sind meines Erachtens von grösster Bedeutung, da sie nicht nur über finanzielle Mittel verfügen, sondern auch gesellschaftlich ein grosses Ansehen geniessen und eine gewisse Durchschlagskraft haben.

Hansjörg Eberle: Ich bin mit Urs Endress gut befreundet. Wir arbeiten eng zusammen. Er gibt uns kein Geld. Er hat seine eigene Fondation und setzt sich für Minenräumung mit Drohnen ein. Er hat viel eigenes Geld in dieses Projekt gesteckt. Die Drohnen sollen in der Ukraine und später im Irak getestet werden. Urs Endress ist aber bei der FSD im Stiftungsrat und ich bin im Stiftungsrat seiner Urs Endress Foundation. Urs Endress war erst vor Kurzem mit Thierry Burkart und mir im Irak und auch in der Ukraine. Er ist höchst interessiert und hilft uns sehr viel. Er hat einen grossen Outreach. Er ist sehr direkt und hat keine Kontaktscheu, mit anderen wichtigen Menschen zu sprechen. Urs Endress hilft uns, die Stiftung weiterzuentwickeln und natürlich ist er auch ein grosser Türöffner mit grosser wirtschaftlicher Expertise, was ebenfalls sehr wichtig ist.

FSD Irak Entminer sind auf dem Weg zu ihrem Einsatz in Kabibat Mazirir, August 2024.
FSD-Irak Minenräumer auf dem Weg zu ihrem Einsatz in Kabibat Mazirir (August 2024)

Xecutives.net: Die Drohnen, an denen Urs Endress arbeitet, könnten eine neue technische Möglichkeit für das Auffinden und Räumen von Minen darstellen. Es gibt in vielen Ländern ähnliche Projekte. Was wird hier technisch auf uns zukommen?

Hansjörg Eberle: Ich bin sehr optimistisch. Die Drohnen an sich stellen heute kein Problem mehr dar. Wichtig ist aber, mit welchen Sensoren man arbeitet. Das ist die grosse Herausforderung und hier setzt sich Urs Endress sehr ein. Die Arbeit mit Drohnen kann einiges beschleunigen. Man muss aber auch sagen, dass in den letzten 10 Jahren viel über solche Drohnen publiziert worden ist. Das Meiste der beschriebenen Technologie ist aber im Feld nicht angekommen. Heute haben die Drohnen noch einen kleinen Einfluss auf die humanitäre Minenräumung. Sie werden bspw. zum Kartographieren eingesetzt. Drohnen, die verborgene Minen erkennen können, sind noch Zukunftsmusik und solche Drohnen sind immer noch in der Experimentalphase.

Es gibt bei der humanitären Minenräumung weltweit ein grosses Potential, das die schweizerische Wirtschaft vor allem für Wiederaufbauprojekte noch viel besser nutzen könnte. Wir haben in der Schweiz auch alle Voraussetzungen, erstklassige Geräte herzustellen, die für die humanitäre Minenräumung eingesetzt werden könnten. Es gibt somit Geschäftsmöglichkeiten, die für Unternehmen sehr interessant sein können. Unternehmer und die Wirtschaft als Ganzes müssen auch daran interessiert sein, dass Länder, die kriegsversehrt sind, wieder aufgebaut werden können, weil dort schliesslich auch wieder Kunden und Absatzmärkte zu finden sind. Urs Endress und auch Thierry Burkart wissen das und ich hoffe, dass wir mit ihrer Hilfe wieder einen Schritt weiterkommen werden.

Xecutives.net: Ich fand sehr interessant zu lesen, dass auch Rotary die humanitäre Minenräumung unterstützt, was ich nicht wusste. Rotary war immer ein Thema bei Xecutives.net, dann ging es aber meist um die Bekämpfung von Polio. Sie kennen den Chirurgen und Rotarier Urs Herzog ebenfalls, der sich seit Jahrzehnten enorm für die Bekämpfung von Polio einsetzt.

Hansjörg Eberle: Urs Herzog kenne ich bestens und arbeite auch eng mit ihm zusammen. Er war für mich immer ein rotarisches Vorbild. Er kämpft nach wie vor an vorderster Front gegen Polio.

Es gibt weltweit viel sehr engagierte Rotary Clubs die sich für die humanitäre Minenräumung interessieren. In der Schweiz gibt es zum Beispiel die Stiftung mine-ex, die vor rund 20 Jahren von Rotariern gegründet wurde. Die Organisation betreibt Minen-Opferhilfe. Die Organisation wird finanziell von Rotariern unterstützt. Zusammem mit dem mine-ex-Präsidenten Reto Stump habe ich vor 2 Jahren die Rotary Humanitarian Mine Action Coalition (HMAC) gegründet, die Schweizer Anti-Minen-NGOs mit rotarischem Bezug unter ein Dach bringt: Dazu gehört neben der FSD auch Digger, mine-ex, APOPO, die Urs Endress Stiftung und Welt ohne Minen.

Xecutives.net: Herr Eberle, Sie werden in einigen Jahren pensioniert und was wünschen Sie sich in dieser Zeit für die FSD und vielleicht auch von der Schweiz?

Hansjörg Eberle: Ich hoffe, dass die Schweiz das Projekt in der Ukraine auch längerfristig unterstützen wird. Für die nächsten drei Jahre hat die Schweiz Unterstützung zugesagt, das ist schon mal sehr gut. Es ist sehr selten, dass man als Organisation, wie wir das sind, für so lange Zeit eine offizielle Unterstützungszusage bekommt. Dafür bin ich sehr dankbar und wir werden alles daran setzen, weitere Gebiete von Minen und Blindgängern zu befreien, so dass die Menschen wieder in ihre Dörfer und auf die Felder zurückkehren können. Ich hoffe, dass die Schweiz erkennen wird, dass die humanitäre Minenräumung auch in anderen Ländern sehr nützlich sein kann. Das ist eine grosse Chance für die Schweiz, sich ins Spiel zu bringen. Das Betreiben der Infrastruktur, dazu gehören Wasseranlagen, Schulen, Spitäler und Strassen, ist nur möglich, wenn die entsprechenden Gebiete minenfrei sind. Wir sind bestimmt nicht die Weltbesten, aber die FSD bringt viel Erfahrung mit und hat es in den letzten 25 Jahren geschafft, Tausende Menschen vor Verletzungen und vor dem Tod bewahren zu können. Ich hoffe auch, dass wir weitere Geldgeber finden werden, die uns helfen, unsere Ziele zu verfolgen.

Xecutives.net: Herr Eberle ich bedanke mich für dieses interessante Gespräch sowie für Ihre Zeit, die Sie sich genommen haben und ich wünsche Ihnen und der FSD weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei der humanitären Minenräumung!

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