Marcel Schmidlin, Weingut im Piemont, Vincello, im Interview mit Xecutives.net
Marcel Schmidlin bei der Ernte auf dem Weingut Vincello im Piemont

Marcel Schmidlin ist grösstenteils in Pratteln aufgewachsen und schloss nach der obligaten Schulzeit die kaufm. Lehre ab. Es folgten Arbeitsaufenthalte in der Bezirksschreiberei Liestal und Schmidlin bereiste schon sehr früh die Welt. Zahlreiche Reisen führten ihn nach Mittel- und Südamerika, aber auch nach Afrika, als Co-Leiter einer speläologischen Expedition. Mit 28 kehrte er zur Lehrfirma Creditreform zurück und absolvierte in den folgenden Jahren zwei beruflich bedingte Weiterbildungen mit Fachausweis und er war über 25 Jahre bis zu seinem Austritt in der Gruppenleitung und als Kreditschutzspezialist in führender Anstellung tätig. Mit 55 Jahren erfüllte sich der passionierte Weinliebhaber seinen Lebenstraum, mit dem Kauf eines Weinguts, ein Traum, den er 20 Jahre mit sich trug. Schmidlin lebt heute im Piemont und in der Schweiz und kennt den Weinbau, aber auch den Verkauf von Wein mit allen seinen Schattenseiten.

Im Interview mit Xecutives.net spricht Marcel Schmidlin über die unternehmerischen Herausforderungen als Weinbauer. Er zeigt auf, auf was man schauen sollte, wenn man im Ausland, und speziell in Italien, ein Weingut kaufen möchte. Er macht auf viele Hindernisse aufmerksam, mit denen man sich lieber früher als später auseinandersetzen muss. Nach einer langen und schon zwei Jahre anhaltenden Trockenheit regnet es seit 2024 viel zu viel, und das macht den Weinbauern auch in Norditalien zurzeit das Leben schwer. Es gilt, mit Missernten rechnen zu müssen, mit Schädlingen u.v.m. Erschwerend kommen nun auch noch die Auswirkungen des von den USA vom Zaun gerissenen «Handelskriegs» hinzu, den auch die Weinbauern in Europa zu spüren bekommen. Schmidlin beantwortet Fragen zu den Herausforderungen im nationalen und internationalen Verkauf von Wein. Seine Aussagen demonstrieren seine grosse Begeisterung für die Reben und den Wein sowie fürs schöne Piemont. Von einem der Auszog, um guten Wein zu produzieren.

Xecutives.net: Herr Schmidlin, Sie haben schon mit 40 Jahren den Entscheid getroffen, sich irgendwann als Weinbauer betätigen zu wollen. Wie kam es zu diesem Entscheid und Wunsch? Wie ist dieser Wunsch in den folgenden 15 Jahren, bis Sie sich dann tatsächlich ein Weingut haben kaufen können, gewachsen? War das mit 55 Jahren immer noch derselbe Traum, oder hatte sich der Traum über die Jahre wesentlich verändert?

Marcel Schmidlin: Durch einen befreundeten Weinliebhaber konnte ich schon mit 25 Jahren viel über Wein erfahren und wir stellten bereits in den 80er-Jahren in Pratteln auch einige Flaschen eigenen Wein her. Durch intensive Kontakte mit einer Basler Vinothek konnte ich dieses Wissen vertiefen und entdeckte so in meiner Zeit als Geschäftsleiter der Creditrefom die Organisation von Wein-Degustationen als ideales Key-Accounting-Instrument. Ich lud zwei Mal im Jahr meine Top-Kunden (grösste CH-Versicherer, Bank- und Leasingdienstleister, Grosshändler, Öffentlich-Rechtliche Körperschaften und viele weitere) an einen Tisch und wir verkosteten ausgesuchte Weine an gemütlichen Abenden, was auf viel Interesse stiess. Diese Anlässe entwickelten sich zu einem der besten und hochqualitativen Kundenkontaktinstrument, mit einem bescheidenen Budget, aber eben mit viel Qualität und Engagement. Dank meines Wissens, das ich während rund 15 Jahren an der Vinitaly in Begleitung besagter Vinothek und durch zahlreiche Produzenten laufend vertiefen konnte, wurde ich nicht nur als Kreditschutz & SchKG-Spezialist bekannt, sondern machte mir auch einen Namen als Weinliebhaber.

Es hat sich, wie in vielen Branchen, in den letzten 20 Jahren auch für die Weinbauern sehr viel verändert. Die Weinbauern sind mit grossen sich ändernden klimatischen Bedingungen konfrontiert und es zeichnet sich ein reduziertes Trinkverhalten ab, bei gleichzeitiger Überschwemmung des europäischen Marktes mit Wein. Ursache sind nebst den unterschiedlichen Lohnkosten vor allem die viel zu billigen Transportwege. Letzteres hat grossen Einfluss auf die Rendite aller europäischen Weinbauern. Mich beunruhigen diese billigen Transportkosten, ermöglicht durch das immer noch erlaubte Schweröl, das die Weltmeere, nebst vielen anderen Ursachen, verseucht und auch mitverantwortlich für die Zerstörung der Unterwasserwelt ist. So erreichen uns Weine aus Chile, Kalifornien, Südafrika oder Ozeanien, welche die europäischen Märkte überschwemmen, so dass der heimische Produzent kaum mehr mithalten kann. Und die Konsumenten sind halt leider nicht wirklich kritisch und aufmerksam – Hauptsache der Preis stimmt.
Die Konsequenzen sind rasch aufgeführt: Diese Importweine kommen teilweise zu weit günstigeren Konditionen, v.a. via die Grossverteiler, in unsere Regale. Diese Discountpreise decken bei uns teilweise nicht einmal die entstehenden Drittkosten, wie Flaschen, Zapfen, Kapseln und Etiketten, geschweige denn die Arbeiten im Rebberg und in der Cantina.

Aber das zeichnete sich schon im Jahr 2017 ab, als ich meinen Job aufgab. Das Motto war für mich immer dasselbe: Lebe deinen Traum oder bereue auf dem Sterbebett.

Xecutives.net: Sie haben jahrzehntelang als Topmanager gearbeitet, gut verdient, haben sich einen kleinen Immobilienschatz aufbauen können, der Ihnen heute hilft, Ihren Traum zu leben. Wie haben Sie sich auf Ihren Traum, ein Weingut zu kaufen, vorbereitet? Hatten Sie einen Business-Plan?

Marcel Schmidlin: Ein grosser Vorteil ist, wenn man weiss, dass man Träume irgendwann realisieren möchte und zum Vornerein weiss, dass sich das wirtschaftlich kaum je lohnen wird, gut vorzusorgen. So habe ich, in einer Zeit als das noch möglich war, zusammen mit einem Partner ein paar kleine MFH in Basel erworben, um mir ein vernünftiges Einkommen danach, also für die Realisierung meines Traumes, zu sichern. Ansonsten hätte ich mir nie das gesamte BVG-Guthaben und die Dritte Säule auszahlen lassen, die ich für den Erwerb und die Restaurierung des Haupthauses und des Produktionskellers einsetzen musste. Aber auch das hätte nie gereicht. Dank einem kleinen Crowdfunding innerhalb meines privaten und ehemals geschäftlichen Umfeldes sowie der Mitinvestition und Beteiligung von zwei alten Freunden konnte ich dann loslegen.

All das war also nicht so im Voraus einfach mit einem Businessplan «planbar». Die wichtigen Entscheide ergaben sich erst mit dem Beginn der Realisierung – Schritt für Schritt. Also nichts mit festem Businessplan, Renditeberechnungen 5 Jahre vor der ersten Ernte usw. Das hätte höchstens zur Einstellung des Projektes geführt (lacht).

Xecutives.net: Sie haben sich schliesslich für die Region Piemont in Italien entschieden. Dort hatten Sie viele Weingüter angeschaut und sich dann für eines entschieden. Es liegt in Costigliole d’Asti, zwischen Asti und Alba. Was waren Ihre Auswahlkriterien? Und kann man einen solchen Entscheid alleine fällen, oder ist man auf Experten und Freunde vor Ort angewiesen?

Marcel Schmidlin: Nun, meine Frau wusste, wie mein ehemaliger Arbeitgeber, schon vor 20 Jahren, dass ich meinen Traum auch umsetzen würde und so liebäugelte ich vorerst mit einem Weingut in Sardinien. Als ich die Idee auf den Tisch brachte, meinte meine Frau: «Also wünschst Du die Scheidung?» (lacht). Der Hintergrund war der lange Weg und das 10-15-malige Hin- und Herreisen pro Jahr. Das war nicht realistisch. Da hatte sie natürlich hundertprozentig Recht. Es wäre nicht aufgegangen. Also wählte ich das Piemont, wegen seiner relativ raschen Erreichbarkeit, dem weltweiten Bekanntheitsgrad als Weinregion mit den meisten autochthonen Reben in Italien und auch aufgrund meiner zahlreichen Winzer-Kontakte im Piemont, die ich über die vielen Jahre pflegte. Sardinien wäre, mit seinen wunderbaren Stränden, natürlich noch paradiesischer gewesen; aber man kann nicht alles haben im Leben (lacht).

Den Entscheid kann man alleine fällen, aber gute Kontakte sind, wie schon gesagt, mehr als hilfreich. Dazu muss man wissen, dass es immer weniger Winzer gibt (dafür grössere), und Dutzende, wenn nicht Hunderte von Weingütern stehen im Piemont zum Verkauf. Also eines zu finden, ist simpel. Ich besuchte am Ende meiner Berufstätigkeit im Jahr 2017 innert sechs Wochen rund 30 Weingüter, die zum Verkauf standen, allein im Gebiet Monferrato.

Die grössten Steine, die einem in den Weg gelegt werden, sind die gesetzlichen und administrativen Auflagen. Als Beispiel möchte ich den administrativen Aufwand am PC erwähnen. Dieser Aufwand ist im Verlaufe der Zeit etwa gleich gross geblieben, wie zur Zeit meiner Management-Tätigkeit, nur dass ich heute einen Kleinstbetrieb führe und nicht mehr mitverantwortlich bin für gegen 100 Angestellte.

Xecutives.net: Sie haben sich lange Jahre in Sachen Wein und Reben weitergebildet, so auch an der Fachhochschule Au-Wädenswil und auf einem privaten Weingut in Sursee. Was haben Sie von diesen Weiterbildungen profitieren können?

Marcel Schmidlin: Die Ausbildung konzentriert sich vollumfänglich auf die Landwirtschaft, also die Terroir-Pflege sowie die Bewirtschaftung des Rebbergs selbst. Es geht auch um den Umgang mit den wesentlichen Chemikalien, mehrheitlich Fungizide und Pestizide, die zum Schutz der Pflanze eingesetzt werden.

Marcel Schmidlin im Produktionskeller seines Weingutes Vincello im Piemont

Xecutives.net: Wie steht es um die Qualität dieser Ausbildungen? Kann man in der Schweiz lernen, wie man im Ausland Wein produzieren kann?

Marcel Schmidlin: Wie gesagt, es geht bei der Ausbildung nicht um die Weinherstellung, sondern um das Erlernen einer schonenden Bewirtschaftung des Ackerlandes und um die Reben-Pflege. Der Most, einmal in der Fermentation, produziert sich fast von alleine. Der Rest ist grösstenteils auch «learning by doing».

Viel wichtiger ist die nachhaltige Bewirtschaftung während des jährlichen Wachstumszyklus, also vom sanften Rebschnitt im Februar, über die Pflege der Reben bis hin zur Ernte. Beispielsweise können bei einer rigorosen und sorgfältigen Beerenauslese (faule und unreife Früchte werden aussortiert) zahlreiche Risiken während der Transformation vom Most zum Wein eliminiert und somit auch der chemische Mitteleinsatz auf ein Minimum reduziert werden. Denn, je höher der Chemieeinsatz, desto grösser das Risiko, dass auch positive Elemente reduziert werden, wie beispielsweise Aromen. Auf uns Menschen bezogen heisst das, je häufiger jemand Antibiotika nimmt, um eine Krankheit zu bekämpfen, desto mehr wichtige «gute» Darmbakterien werden eliminiert und das Immunsystem wird anfälliger, oder denken Sie an die ach so beliebten Schmerzmittel, die wegen jeder noch so kleinen Beschwerde fast täglich eingenommen werden. Irgendwann funktioniert der Körper nicht mehr.
Die Weinproduktion in der Cantina wird in aller Regel durch einen ausgebildeten Önologen begleitet, der im Idealfall über ein eigenes Labor verfügt und bei Fehlentwicklungen frühzeitig eingreifen kann.

Xecutives.net: Der Anbau von Reben geht wohl bis 10’000 Jahre zurück. Man geht davon aus, dass der erste Wein in Mesopotamien hergestellt wurde. Über griechische Kolonisten gelangte der Wein viel später nach Europa, und v.a. die Römer hatten dann die Weinkultur in Europa beliebt gemacht. Was zeichnet Italien aus, wenn es um Wein geht? Was unterscheidet Italien zu Frankreich und zur Schweiz?

Marcel Schmidlin: Italien gehört auch aufgrund seiner geographischen Länge sicherlich zu den vielfältigsten Anbaugebieten der Welt. Alleine 1’000 der rund 1’400 sogenannten edlen Reben werden in Italien angebaut. Während am Alpenrand in Aosta die Reben der Kälte und dem Frost trotzen müssen, müssen sie in Apulien, nahe bei Afrika, der Hitze und Trockenheit trotzen. Die Rebe als Lianen-Gewächs ist wahnsinnig anpassungsfähig. So entwickelten sich zwischen dem Trentino und dem Südtirol ganz andere Stämme als bspw. in Sizilien oder eben in Apulien. Italien weist somit eine sehr hohe Diversität auf. Darum ist Italien für mich das interessanteste Weinland überhaupt.

Frankreich war bereits vor 300 Jahren technisch sehr weit entwickelt und viele italienische Weinbauern bildeten sich bereits in dieser Zeit in Frankreich weiter. Frankreich hat es auch exzellent verstanden, die Weine zu kommerzialisieren, während die Italiener noch bis spät in die 80er-Jahre einen grossen Teil der Produktion im Inland in 50 Liter Glasflaschen verkauften und nicht als 7.5 dl Qualitätsweine.

In der Schweiz konzentrierte man sich aus meiner Sicht leider lange Zeit nur darauf, unsere Weine vor anderen zu schützen. Dieser unnötige Protektionismus und die jährlich vom Nationalrat gesprochenen CHF 35-70 Mio. Franken an Subventionen resultierten während Jahrzehnten in ganz falsche Zeichen für Schweizer Weinbauern, für die es nie den Zwang gab, sich der Weiterentwicklung, der Diversifikation oder der Qualitätssteigerung zu stellen. Und ich probierte hunderte von Schweizer Weinen! Aber schon die fehlende Diversität der angebauten Traubensorten lassen einem mit einem etwas schalen Geschmack zurück.Man stelle sich vor: Das Anbaugebiet in der Schweiz umfasst rund 14’000 ha; davon sind 60 % Weisswein- und 40 % Rotwein-Sorten. Noch bis in die späten 1990er Jahre wurden davon beim Weissen rund 60 % mit Chasselas belegt und beim Roten rund 40 % der angebauten Fläche mit Blauburgunder. Auf die gesamte Fläche von 14’000 ha dominierten fast zur Hälfte NUR 2 Traubensorten. Also verglichen mit Italien, Frankreich und Spanien handelt es sich in der Schweiz um wahrhaftige Monokulturen. Hinzu kam die bundesrätlich empfohlene Produktionsmenge von bis zu max. 1.4. kg bei den Weissen und bis zu max. 1.0 kg bei den Roten.

Seit etwa dem Jahr 2000 hat sich die Situation zu einem Teil gewandelt und innovative Schweizer Weinbauern haben umgestellt. Zum Glück gibt es heute hervorragende Weine in der Schweiz; aber aufgrund der beschränkten Anbauflächen bzw. Grösse der einzelnen Güter kommen wir kaum in den Genuss dieser guten Tropfen, da sie oftmals nicht über den Ladentisch gehen. Und wenn, dann bewegen wir uns je nachdem bei Flaschenpreisen zwischen CHF 40.00 bis CHF 80.00. Und wir reden nicht von weltweit bekannten Weinen, wie sie etwa in Frankreich angebaut werden!

Und trotz der Millionensubventionen kommt es immer wieder zu haarsträubenden Korruptions- und Betrugsfällen. Und die Protagonisten in dieser «Säuhäfeli-/Säudeggeli-Politik» umfassen die ganze Kette, also vom Politiker zu Produzenten bis hin zu den Verteilern.

Aber, um nochmals auf Ihre Frage zurückzukommen, zum Unterschied Italien-Schweiz: Allein im Piemont werden neben unzähligen «internationalen» Sorten sieben autochthone Trauben angebaut und im Schnitt werden zwischen 400-700 g/m2 geerntet. Also oft weniger als die Hälfte dessen, was der durchschnittliche Schweizer ernten darf. Aber genau diese Ertragsreduktion kann qualitativ den Ausschlag geben. Die positiven Resultate der reduzierten Erntemengen machen sich auch bei meinen Weinen bemerkbar.

Xecutives.net: Wie nehmen Sie als Schweizer im Piemont den Weinbau im Piemont wahr?

Marcel Schmidlin: Im Gegensatz zur Schweiz kennen die Piemonteser keinen so egoistischen Konkurrenzkampf. Als ich hierherkam, und noch nicht viel Ahnung von der Realität hatte, konnte ich von Anfang an auf Mithilfe zählen. Das ging von Tipps, Empfehlungen bis hin zum Ausleihen von Gerätschaften, die ich mir nicht leisten konnte und ich «durfte» dafür nicht einmal etwas bezahlen! Die Einheimischen helfen immer gerne, wenn sie sehen, dass sich jemand interessiert und begeistert ist vom Weinbau, da es der Sache dient. Gute Qualität nützt eben allen.

Und zum Glück verfüge ich über einen grossen Freundes- und Bekanntenkreis. Von meinen ehemaligen Geschäftspartnern sind mir viele erhalten geblieben. Und so kommen Jahr für Jahr Weinfreunde zu mir, um mich bereits beim Winterschnitt tatkräftig zu unterstützen.

Xecutives.net: Die Auflagen und die vielen Gesetze, die Sie erwähnt haben und die man heute als Weinbauer einhalten muss, sind extrem. Wie gehen Sie mit dieser Gesetzes- und Regelungsflut um, und auf was müssen Menschen in dieser Beziehung achten, wenn Sie sich entscheiden, selber Wein anbauen zu wollen?

Marcel Schmidlin: In Italien gibt es sehr viele Gesetze in Sachen Administration, die einem das Leben erschweren können. Oder könnte man sich bei uns vorstellen, dass ein Arbeitsvertrag immer via einen Treuhänder ausgearbeitet werden muss? Dass jede Partei mindestens 15 Unterschriften leisten muss und der Vertrag mit seinen Anhängen über 20 Seiten umfasst? Dass jeden Monat mindestens 30-40 Seiten neuer Dekrete und Gesetze veröffentlicht werden, die nicht einmal geschäftsführende Direktoren von (Landwirtschafts-) Unternehmen verstehen? Natürlich gibt es auch Vorschriften für den Weinbau selbst. Aber im Grossen und Ganzen lernt man, damit umzugehen.

Xecutives.net: Sie haben über die grosse Vielfalt der italienischen Weine gesprochen. Welche Weinsorten bauen Sie an? Welche Sorte gefällt Ihnen selber am besten?

Marcel Schmidlin: Arneis gehört bei den Weissen, neben Grauburgunder, Roter Veltliner, Sauvignon Blanc, Vermentino, Verdejo und Riesling zu meinen Favoriten und bei den Roten neben Barbera, Barbaresco und Ruché die Sorten Cabernet Franc, Merlot, Grenache (Italienisch: Canonau!), Carignano del Sulcis und Pinot Noir, um nur einige herauszupicken (lacht).

Bei meinen weit über 100 durchgeführten Degustationsanlässen hat sich klar herausgestellt, dass die Traubensorte wichtiger für den persönlichen Geschmack ist, als die Produktion im Keller, in welchem jeder Wein fast beliebig verändert werden kann. Oft ist dies den Weintrinkern gar nicht bewusst; aber da helfen die Degustationen, um die eigene Nase und den eigenen Gaumen zu entdecken!

In der Cantina des Vincello Weinguts, Weindegustation bei Marcel Schmidlin im Piemont
Degustation bei Marcel Schmidlin im Weingut “Vincello”

Ich selbst baue Moscato, Arneis, Barbera, Nebbiolo und Blauburgunder an. Mit meinen besonderen Assemblages ergibt dies neun Etiketten. Die Reben haben aussergewöhnlich verschiedene Grundeigenschaften. Natürlich spielt auch, das Terroir eine gewisse Rolle.

Ein Barbera hat in aller Regel eine wunderbar kräftige Nase nach schwarzer Kirsche, während ein Nebbiolo eher Veilchen- und Rosendürfte aufweist und ein Blauburgunder Pfeffer- und Paprika-Noten hervorbringt. Diese kann man dann allerdings auch zerstören, indem man diese wunderbaren heterogenen Getränke in ein neues Barrique-Holzfass zwängt und dann möglicherweise während drei Jahren eingesperrt lässt. Das ist leider heute ein Trend, aber ich sage immer, wenn mir nach «Crema Catalana» zumute ist, nehme ich ein Dessert. Ich möchte diese einseitigen Düfte nicht in meinem Glas haben (lacht).

Xecutives.net: Um guten Wein herstellen zu können, braucht man gute Böden, gute Wetterverhältnisse, gute Rebsorten und die ganzen Gerätschaften. Das Investitionsvolumen ist gross, was wohl viele Menschen unterschätzen. Wie sollte man sich in Sachen Investments etc. beim Kauf eines Weinguts vorbereiten?

Marcel Schmidlin: In Bezug auf die Böden und die Geographie möchte ich etwas relativieren, wenn es sich denn nicht um Dauerfrost oder ständig überschwemmte Gebiete handelt. Der Boden spielt eine sekundäre Rolle; dafür gibt es eben diese Traubenvielfalt – je nach Lehrmeinung zwischen 1’400 und 1’800 Traubensorten. Es geht somit darum, herauszufinden, welche Rebsorten sich auf welchen Böden am besten eignen. Und die besten Chancen auf Erfolg hat man mit denjenigen Traubensorten, die in einem Gebiet teilweise seit Jahrhunderten angebaut werden.

Aber ja, das Investitionsvolumen darf nicht unterschätzt werden. Vor allem kleinere Betriebe leiden darunter, denn dort macht sich ein hoher Mechanisierungsgrad nicht bezahlt. Ich bewirtschafte beispielsweise zwei ha und bin damit im Piemont quasi ein «Niemand», während ich mit dieser Fläche in der Schweiz bereits zu den Klein- bis Mittelbetrieben gehören würde. Die Anschaffungskosten für die Vinifizierung, also vom Entstieler über Presse, Pumpen, Abfüllanlage, Etikettiermaschine bis hin zu den Tanks belaufen sich schnell einmal auf rund CHF 120’000-150’000 für ein kleines Weingut. Diese Anschaffung können wir sofort «a-fonds-perdu» abschreiben, da ein «Return of Investment» innert zehn Jahren ziemlich unrealistisch ist. Es sind die jährlich wiederkehrenden Kosten, wie Arbeitsstunden, Mitteleinsatz, Abgaben usw., die einem zu schaffen machen bzw. eine gewinnbringende Situation fast verunmöglichen. Bei einer jährlichen Produktion von zwischen 8-10’000 Flaschen ist eine gewinnbringende Leistungserbringung eines Newcomers schwierig, da man nicht davon ausgehen kann, dass diese Jahresproduktion im Folgejahr auch zu 80-90 % verkauft werden kann. Aber ich geniesse jeden Tag in dieser wunderschönen Region mit ihren sanften Hügeln, mir gefällt die Arbeit im Rebberg ebenso, wie im Produktionskeller. Dies entschädigt und bestätigt mich jeden Tag aufs Neue, das Richtige getan zu haben.

Das einfachste Investment ist ein bereits etabliertes Weingut. Das war bei mir nicht so. Neben der Neuanpflanzung von über 10’000 Pflanzen, den neu angelegten Rebanlagen, dem komplett neu angelegten Produktionskeller und den angeschafften Gerätschaften, musste auch das Haus komplett saniert werden. Dafür betreibe ich heute ein B&B mit schönem Pool und herrlicherer Aussicht auf die Alpen und den Appenin. Ohne private Unterstützung, wie erwähnt, hätte ich dies so nicht umsetzen können.

Casa di Campagna auf dem Weingut Vincello im Piemont mit Bed & Breakfast und Pool, geführt von Marcel Schmidlin
Casa di Campagna B&B auf dem Weingut Vincello, mit wunderbaren Blick auf die Alpen, in Costiglione d’Asti.
M. Schmidlin kann auf folgenden Nummern erreicht werden: +41 76 337 90 40 (CH) und +39 338 528 1093 (IT) sowie per E-Mail unter mail@vin-cello.com, Website: www.vin-cello.com

Xecutives.net: Schliesslich geht es aber auch darum, dem Wein seine eigene Note zu verleihen, ihn so hinzukriegen, dass er eben sehr gut ist. Wie produzieren Sie selber Wein und was sind wichtige Punkte, um irgendwann einen feinen oder gar sehr exklusiven Tropfen vorliegen zu haben?

Marcel Schmidlin: Für mich ist die allerwichtigste Arbeit diejenige im Rebberg selbst. Vom Winterschnitt über die Rebpflege während des Jahres, bis hin zur ertragsreduzierten Ernte. Aber auch uraltes Wissen ist immer hilfreich. Unsere Vorfahren haben sich intensiv mit dem Weinbau auseinandergesetzt und sie hatten ein grosses Wissen in Sachen Wein und Reben. Dazu gehört bspw. das Wissen, dass die Rebe unter Stress die beste Qualität bringt. Darum sollte man viel mehr Reben auf engem Raum pflanzen als das heute grossmehrheitlich empfohlen wird. Anstatt die landläufig 5’000 empfohlenen Pflanzen pro ha, habe ich 12’000 Pflanzen pro ha gesetzt. Dieses alte Wissen ging aufgrund der immer wichtiger werdenden Mechanisierung und der immer grösseren Maschinen «verloren». Viele dieser schweren Maschinen verdichten den Boden so stark, dass kaum mehr Sauerstoff hineingelangt. Und somit ist auch das natürliche Düngemittel Stickstoff nicht mehr vorhanden, eine richtige Kettenreaktion.

Ein wichtiger Aspekt im Produktionskeller ist die Reinlichkeit. Es gilt vor jedem Einsatz von Filteranlagen, Pumpen und Schläuchen oder bei der Umschüttung in einen anderen Tank, die Apparaturen mit Wasser und Reinigungsmitteln gründlich zu reinigen. Ansonsten besteht schnell Gefahr, dass auch die gute Ernte, einmal abgefüllt in einen Stahltank oder in ein Holzfass, durch mikrobiologische Elemente (Viren, Bakterien, Pilze, Einzeller) erheblichen Schaden nimmt oder sogar ungeniessbar wird. Das heisst, dass ich bis zu 5’000 l Wasser pro Jahr benötige. Um diesen hohen Wasserverbrauch nachhaltig erreichen zu können, habe ich bereits bei der Renovation sämtliche Dachrinnen durch entsprechende bauliche Massnahmen in eine 30’000 l fassende Zisterne umgeleitet.

Meine Weine sollen insbesondere die typischen Aromen der jeweiligen Traubensorte wiedergeben, ergänzt durch das Terroir. Aber wenn wir ehrlich sind; wer geniesst heutzutage noch mit der Nase. 90 % der Menschen können blind kaum mehr Rosmarin, Majoran, Thymian und Oregano voneinander unterscheiden. Und im Gaumen nehmen wir «nur» süss, salzig, sauer, bitter und umami wahr. Also wenn die Weine im Produktionskeller typisch und massenkundenorientiert geschmeidig gemacht worden sind, dann gelten sie als «gut» und dann verkaufen sie sich leichter. Es war aber nie mein Ziel, einen mehrheitsfähigen Wein zu produzieren, sondern Weine mit Tiefgang und Charakter herzustellen, auch wenn sich dies vorerst nicht unbedingt als absatzfördernd auswirkt.

Xecutives.net: Die Qualität, von der Sie sprechen, ist ein wichtiger Punkt. Sie müssen den Wein dann aber auch verkaufen. Wo sehen Sie hier die grossen Herausforderungen? In vielen Ländern wird zu viel Wein angebaut. Wie Sie sagen, kommen viele sehr günstige Weine aus Südamerika. Dazu kommt, dass immer weniger Alkohol getrunken wird, nun erschwert auch noch ein von den USA vom Zaun gebrochener Handelskrieg den Verkauf von Wein. Was bedeutet das für die Weinbauern und den Absatz von Wein?

Marcel Schmidlin: Der angezettelte Handelskrieg ist für 80 % der Weinbauern ziemlich sicher unerheblich, da kleinere innovative Winzer nicht davon abhängen, Konsumenten zu finden, die Cola mit Wein mischen oder Eiswürfel reinschmeissen (lacht). Aber wir haben ja jetzt schon gesehen, dass dieser Präsident kaum einen Plan hat und er dann ziemlich sicher auch noch auf Grund laufen wird. Leider schadet er nur den Armen und dem Mittelstand dieser Welt, während seine reichen Freunde profitieren.

Für einen Newcomer im Weinbau ist es schwierig, sich in einem rückläufigen und überschwemmten Markt durchsetzen zu können. Für die ersten zwei, drei Jahrgänge ist ein bestehendes Netzwerk im Consumer-Bereich sehr hilfreich. Aber um diesen zu erweitern, muss man auch an Weinmessen teilnehmen. Danach gilt es, zusätzliche Kanäle zu finden, um eine (teure) Lagerhaltung vermeiden zu können. Es ist ein Knochenjob, aber man muss Vinotheken und Gastronomiebetriebe akquirieren, die einen laufenden Absatz garantieren. Auch das gehört zum Weinbau dazu, wenn man Wein verkaufen möchte.

Xecutives.net: Sie haben sehr gute aber auch sehr schlechte Erfahrungen gemacht beim Kauf und Betrieb des Weinguts. Was raten Sie Menschen, die diesen Traum auch haben? Gibt es eine Art Dos and Don’ts-Liste für angehende Weinbauern, die Sie uns mitgeben könnten?

Marcel Schmidlin: Auf keinen Fall einen Business-Plan machen – es geht schliesslich um einen Lebenstraum und der würde mit einem solchen Plan sofort eliminiert (lacht). Unsere Gesellschaft funktioniert zu 80% nur auf Gewinn, Vermehrung und Sicherung von Geldmitteln. Und die Investitionen sind sehr schwierig, im Voraus realistisch zu planen. Also darf der wirtschaftliche Gedanke auf keinen Fall im Vordergrund stehen und man darf nicht voraussetzen, dass man irgendwann ausschliesslich davon leben könnte oder auf die Investition gar einen ROI erzielen könnte. Das war auch nie mein Antrieb. Und wenn mich jemand fragt: Ja ich würde es wieder machen, da so ein Lebenstraum und Lebensgefühl nicht mit Geld aufgewogen werden und mir auch niemand wegnehmen kann.

Xecutives.net: Herr Schmidlin, ich bedanke mich herzlich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen, für den hervorragenden Wein, den ich degustieren durfte, und ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude und Erfolg als Winzer!

Vincello Logo, Weingut mit Bed and Breakfast, geführt von Marcel Schmidlin im Piemont

Kontakt-Informationen von Marcel Schmidlin:
Tel.: +41 76 337 90 40 (CH) und +39 338 528 1093 (IT)
E-Mail: mail@vin-cello.com

Möchten Sie mehr über das Weingut von Marcel Schmidlin erfahren?
Hier geht es zur Website von “Vincello“: www.vin-cello.com

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