PD Dr. Hans Peter Beck, 1965, studierte Physik an der Universität Zürich und ist seit 2006 Dozent am Physikalischen Institut der Universität Bern. Seit 1997 arbeitet er auch am CERN (European Organization for Nuclear Research). In seiner Habilitationsschrift „Trigger and Data–Acquisition in the ATLAS Proton–Proton Experiment at the Large Hadron Collider” setzte er sich profund mit Teilchenphysik auseinander, und damit, wie beim ATLAS-Experiment die Daten ausgelesen und selektioniert werden müssen, um seltene Ereignisse wie bspw. das Higgs-Teilchen finden zu können. PD Dr. Hans Peter Beck gehört einem internationalen Team von Physikern an, die im Rahmen des ATLAS-Programms (A Toroidal LHC ApparatuS) mit Protonen-Kollisionen dazu beigetragen haben, die schon lange vermutete Existenz des Higgs-Teilchens belegen zu können. Beck hat wichtige Beiträge zum Design und Bau des ATLAS-Detektors in der Daten-Akquisition und Ereignisselektion geleistet. Er gehört dem ATLAS Publications Committee an und war „Chair of the editorial board of the Higgs to four leptons analysis leading to the discovery of the Higgs boson“. Beck ist aktiv in Öffentlichkeitsarbeit zur Teilchenphysik und hat das Projekt „Das verflixte Higgs“ mit Fördermitteln des SERI sowie das Projekt „Interactions – Schweizer Teilchenphysiker lancieren einen Dialog mit der Gesellschaft“ mit Fördermitteln des Schweizerischen Nationalfonds auf die Beine gestellt. In dieser Aktivität leitet er die IPPOG (International Particle Physics Outreach Group) als Co-Chair zusammen mit einer Kollegin des Fermilab (Chicago, USA) und ist für das CHIPP (Swiss Institute of Particle Physics) als Outreach Coordinator tätig. Als Dozent hält er Physikvorlesungen an der Uni Bern. Was hat es mit dem Higgs-Teilchen auf sich, was sind die neusten Erkenntnisse in der Teilchenphysik überhaupt und wie muss man sich die Kollision von Protonen, die für den Nachweis des Teilchens nötig waren, überhaupt vorstellen? Im Interview mit Christian Dueblin erklärt PD Dr. Hans Peter Beck physikalische, mathematische aber auch philosophische Zusammenhänge, die eine andere Zeit- und Grössen-Denkweise erfordern und aufzeigen, was unsere Welt und das Universum im Innersten zusammenhält.
Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Beck, Sie sind u.a. im idyllisch gelegenen Weggis am Vierwaldstättersee aufgewachsen. Später waren Sie in Wolfenschiessen, Dietikon und Zürich zuhause, wo Sie die Matura machten. Wie sind Sie auf die Physik gestossen, mit der Sie sich während Ihres beruflichen Lebens auseinandergesetzt haben und die Sie auch zum CERN geführt hat, wo die kleinsten Elementarteilchen erforscht werden?
PD Dr. Hans Peter Beck: Meine Eltern führten in Weggis einen Restaurationsbetrieb. Sie zogen mehrmals um, zuerst nach Wolfenschiessen im Kanton Nidwalden, später nach Dietikon in die Nähe von Zürich, und schliesslich ging es in die Stadt Zürich, wo ich im Gymnasium Rämibühl 1984 die Matura machte. Schulische Probleme waren anfangs ein Fremdwort für mich. Ich musste mir nie gross Mühe geben, um gute Noten zu machen. Das änderte sich am Gymnasium. Im ersten Jahr am Gymnasium war es hart für mich und ich habe die Probezeit haarscharf gerade noch geschafft. Danach ging es stetig leichter und rund ein Jahr vor Abschluss des Gymnasiums lief alles wieder wie gewünscht. Der Grund für das zeitweilige Strudeln bestand wohl darin, dass ich nie gerne Fakten lernte, sondern immer versuchte, Zusammenhänge zu begreifen. Mir war schon sehr früh klar, dass alles einfacher geht, wenn man statt den Fakten die ihnen zu Grunde liegenden Strukturen und Zusammenhänge kennt.
Dueblin: Das dürfte der tiefere Grund für Ihre Forschungsader sein, die Sie in sich tragen, und die dazu führte, dass Sie Physik als Studienfach wählten, ein Fach, in dem Naturzusammenhänge aber auch mathematische Zusammenhänge eine grosse Rolle spielen.
PD Dr. Hans Peter Beck: Ja, Naturwissenschaften hatte mich schon am Gymnasium sehr interessiert, insbesondere die Physik, denn es handelt sich, wie Sie sagen, um ein Fach, mit Hilfe dessen man die Welt und ihr Funktionieren verstehen kann. Das Fach kann man sich nicht durch auswendig lernen von Fakten erarbeiten, sondern nur durch das Verstehen, wie relativ einfache Zusammenhänge miteinander funktionieren. Ich wollte nie die Sandkörner am Strand zählen, sondern verstehen, warum es überhaupt Sand am Strand gibt und wie hoch man diesen allenfalls stapeln kann. Wenn man etwas begriffen hat, muss man es nicht mehr lernen. Das war schon immer meine Schul- und Studienphilosophie und sie hat sich bis heute bewährt. Wie auch immer, ein paar Fakten muss man sich dann halt doch auch aneignen.
In der Mathematik bereitet mir das Spielen mit Strukturen und Formen sowie das Erarbeiten von logischen Schlüssen, die dann unumstösslich dastehen und in sich unvergänglich sind, Freude. Sie ist für mich ebenfalls wichtig, um des „Pudels Kern“ zu erforschen, das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dieser Trieb, die Welt zu verstehen, ist dem Menschen immanent und hat schon zu vielen Stilblüten geführt in denen oft wirre Vorstellungen ohne strenge Logik und ohne empirische Überprüfung als Naturerklärungen herhalten mussten. Auch Goethe hat diesen Trieb mit seinem Faust wunderbar beschrieben. Das Erkennenwollen von Zusammenhängen und das Begreifenwollen von Strukturen resultierten bei mir schliesslich im Entscheid, mich der Teilchenphysik zu widmen.
Dueblin: Was ist es, das die Mathematik und die Physik zusammenhält?
PD Dr. Hans Peter Beck: Die Mathematik ist die Sprache, die mit Strukturen und Formen umgeht und auf Axiome bauend streng logische Schlüsse zieht. Die Mathematik als solche ist in der Natur nicht anwendbar. Es braucht die Physik, um diese Sprache zur Beschreibung der Natur zu nutzen. Es ist schon nicht so, dass jede mathematische Formel eine physikalische Bedeutung in der Natur hätte. Sind allerdings die physikalischen Axiome einmal gefunden und mit Experimenten verifiziert, haben wir ein kräftiges Werkzeug in der Hand, die Welt beschreiben zu können.
Je mehr man mit der Zeit erfahren und erkennen konnte, desto mehr musste auch die Mathematik als Sprache weiterentwickelt werden, indem man beispielsweise neue „Wörter“ erfinden musste. Damit sind neue Strukturen gemeint, die man mathematisch untersuchen musste. Mit viel mathematischem und physikalischem Nachdenken und durch Überprüfen in Experimenten kann man diese Welt, und was sie zusammenhält, verstehen und begreifen. Begreifen heisst aber nicht, dass man damit alles weiss. Wichtig ist zuallererst zu erkennen, wie etwas funktioniert.
Die Aufgabe ist nicht leicht und eine Person alleine wird nicht herausfinden können, was diese Welt im Innersten zusammenhält und wie das Universum aufgebaut ist. Viele Köpfe zusammen jedoch, wie beispielsweise hier am CERN, können sich Schritt für Schritt weitertasten, in Richtung neuer Erkenntnisse, die das Universum und was darin möglich ist, erklärbar und verständlich machen.
Dueblin: Das Grösste und das Kleinste hängen eng zusammen. Einerseits geht es um das Universum und seine Entstehung und andererseits geht es um tiefste Blicke in die Materie, die Teilchenphysik. All das hat auch grosse philosophische Dimensionen. Wie hängen diese beiden Extreme physikalisch gesehen miteinander zusammen und was spielt die Philosophie dabei für Sie für eine Rolle?
PD Dr. Hans Peter Beck: Für mich spielt die Philosophie eine sehr grosse Rolle. Schon nur die Tatsache, dass wir über das Universum mit all seinen Galaxien, Sternen samt ihren Planetensystemen durch Beobachten, Reflektieren und Experimentieren Aussagen treffen können, dass es seinen Ursprung im Big Bang hat und seither expandiert, erfüllt mich mit grosser Ehrfurcht. Das gilt genauso, wenn wir hier am CERN die innersten und kleinsten Strukturen, die Elementarteilchen, erkunden, also in die Materie hineinschauen und verstehen, dass der Mikro- und der Makrokosmos, wie Sie sagen, eng zusammenhängen. Dem ist aber noch nicht genug: Bedenken Sie, dass Sterne eigentliche „Küchen“ sind, in denen die chemischen Elemente durch Verbrennen von Protonen „gekocht“ werden. Dies funktioniert während der Lebenszeit eines Sternes für alle Elemente – von Wasserstoff, Helium bis hin zu Eisen. Explodiert ein Stern in einer Supernova, können auch die schweren Elemente wie bspw. Gold, Uran und andere erzeugt werden. Die Tatsache, dass auf unserer Erde und auch in uns selbst schwere Elemente vorkommen, zeigt, dass wir alle aus Sternenstaub bestehen, der in einer Supernova-Explosion aus einer Zeit vor unserem Sonnensystem stammt und sich vor 4.5 Milliarden zu unserem Sonnensystem formte. Dieser Cocktail von Elementen war reichhaltig genug, dass sich daraus Leben, ja sogar intelligentes Leben, entwickeln konnte. Und was hier funktioniert hat, funktioniert prinzipiell überall im Universum. Und immer geht es um dieselben Urkräfte und Bausteine, um einen langen Prozess, der wohl vor 13,7 Milliarden Jahren seinen Anfang fand. Viele Fragen rund um diese Entstehungsprozesse können wir heute objektiv beantworten.
Der Kosmologe, der ins All schaut, muss auf die Teilchenphysik zurückgreifen, um verstehen zu können, wie der Kosmos aufgebaut ist und wie er funktioniert. In Bezug auf den Aufbau des Universums konnten wir in den letzten Jahren grosse Fortschritte erzielen und bedeutende Erkenntnisse gewinnen. Wir suchen, wenn man so will, die Lego-Bausteine. Wir nennen sie Elementarteilchen, die alles zusammenhalten und ausmachen.
Dueblin: Sie sprechen vom Urknall, dem man in der Kosmologie, durch das Beobachten und Ausmessen des Weltalls, mit Teleskopen und Satelliten, in der Astroteilchenphysik, durch Messen und Verstehen der kosmischen Strahlung, aber auch durch Grundlagenforschung hier am CERN auf die Spur kommen will. Wenn wir aber von Philosophie sprechen, erlauben Sie noch die Frage, was denn genau vor 13,7 Milliarden Jahren war?
PD Dr. Hans Peter Beck: Das ist eine gute Frage und wir können sie nicht bis ins letzte Detail beantworten. Das physikalische Weltbild, das wir haben, setzt nicht im Moment des Big Bang, also des Urknalls, ein, sondern kurze Zeit danach. Mit dem LHC (Large Hadron Collider) studieren wir Protonen-Kollisionen. Sie erzeugen auf kleinstem Raum die Bedingungen, die im Universum geherrscht haben, als das Universum ca. ein Millionstel einer Millionstel Sekunde alt war. Das sind 10-12 Sekunden. Hier setzt unser aktuelles physikalisches Verständnis erst ein, auf dem wir aufbauen. Was vor diesen 10-12 Sekunden passiert ist und wie es überhaupt zum Urknall gekommen ist, wissen wir jedoch nicht. Dazu gibt es nur subjektive Ideen, mit denen gespielt wird. Genaueres wissen wir nicht. Wir wissen heute aber, dass das absolute Vakuum instabil ist und deshalb gar nicht existieren kann. Wir können also davon ausgehen, dass ein Universum auch spontan entstehen kann. Wie genau ist heute aber noch reine Spekulation.
Dueblin: Das physikalische Weltbild hat sich enorm verändert, auch aufgrund vieler Experimente am CERN, auf die wir noch zu sprechen kommen. Die Griechen erklärten die Welt mit Feuer, Wasser, Luft und Erde. Isaak Newton erkannte die Zusammenhänge der Gravitation und Albert Einstein entwickelte die Relativitätstheorie, um nur einige bedeutende Erkenntnis-Schritte aufzuzeigen. Hätten Sie heute die Möglichkeit, mit Einstein zu sprechen, was würde er von Ihnen wissen wollen?
PD Dr. Hans Peter Beck: (Lacht) Einstein starb im Jahr 1957. Was ihn sein Leben lang beschäftigte, war die Frage, ob es eine vereinheitlichte Theorie gibt, die die Gravitation und alle anderen Kräfte in der Natur zusammenbringen kann. Es ging also um eine Formel, mit der die Welt erklärt werden soll und die alle Kräfte umfasst. Unterdessen ist viel erforscht und erkannt worden. Es gibt nicht nur die Gravitation und die elektromagnetischen Kräfte, sondern auch die starke Kraft, welche den Atomkern zusammenhält oder den Alpha-Zerfall von Atomkernen ermöglicht, und die schwache Kraft, die zum Beispiel den Beta-Zerfall von Atomkernen bewirkt. Eine vereinheitlichte Theorie, die alle Kräfte umfasst, konnte trotz grossen Anstrengungen bis heute nicht gefunden werden.
Was Albert Einstein auch beschäftigte, war die Quantenmechanik. Eines seiner berühmten Zitate ist, dass Gott nicht würfeln würde. Der Zufallsfaktor, der in der Quantenmechanik eine sehr grosse Rolle spielt, passte nicht ins Bild von Einstein. Wir wissen heute, dass man nicht einfach absolut deterministische Formeln hinschreiben kann, mit denen sich alles in exakten Bahnen erklären lässt. Das wäre mir im Übrigen auch zuwider. Die Zufälligkeiten, die in der Quantenmechanik so fundamental sind, geben den Vorgängen im Universum und allem, was sich darin befindet, den Rahmen und die Möglichkeiten in denen sie ablaufen können.
Dueblin: Diese Zufalls-Komponente bedeutet somit, dass es die von Einstein ersehnte Formel wohl nie geben wird…
PD Dr. Hans Peter Beck: Der Zufall spielt zweifelsohne eine sehr grosse Rolle. Mit ihm können wir gewisse Wechselwirkungen erst verstehen. Die Heisenbergsche Unschärferelation, auch Unbestimmtheitsrelation genannt, besagt, dass man von einem quantenmechanischen Objekt, beispielsweise von einem Elektron, nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit den Ort und gleichzeitig den Impuls bestimmen kann. Das hat zur Konsequenz, dass die Zukunft nicht genau vorbestimmt ist. Nun verlaufen die Dinge aber auch nicht einfach chaotisch. Der Zufall spielt aber mit und führt dazu, dass exakte Voraussagen über die Entwicklung eines Objekts sehr schwierig oder gar unmöglich sind. Mit dieser Erkenntnis müssen wir leben.
Beobachten wir aber viele Objekte gemeinsam, können wir sehr wohl mit beliebiger Präzision vorhersagen, welche Möglichkeiten diese Objekte haben, sich zu verhalten, und wir können daraus schliessen, wie sie sich im Mittel verhalten werden. Dies erklärt dann auch, wieso unsere makroskopische Welt, die aus vielen Elementarteilchen zusammengesetzt ist, sich trotz allem ganz vernünftig verhält. Einstein’s Zitat zeigt, dass er sich mit diesem Gedanken sehr schwer tat. Der dänische Physiker Nils Bohr übrigens antworte Einstein auf seine Aussage über Gott und das Würfeln und meinte, Einstein solle Gott nicht vorschreiben, was er zu tun habe.
Dueblin: In den letzten Jahren haben sich Teilchenphysik-Modelle abgelöst. Man fand immer wieder neue Teilchen und alte Ideen mussten verworfen werden, oder sie bestätigten sich. Erst vor kurzem konnte die Existenz des Higgs-Teilchens aufgrund von jahrlangen Versuchen und Berechnungen bestätigt werden (Juli 2012). Diese Erkenntnis am CERN resultierte in einem Nobelpreis, den die Herren François Englert und Peter Higgs am 10. Dezember 2013 in Stockholm entgegennehmen durften. Wie muss man sich diese Teilchenmodelle vorstellen?
PD Dr. Hans Peter Beck: Es ist nicht unbedingt so, dass ein Modell das nächste ablöst. In der Regel ist es eher so, dass ein altes Modell erweitert werden muss und damit ein neues Modell entsteht. Was in den alten Modellen beschrieben und experimentell überprüft worden ist, das bleibt für immer. Modelle stimmen aber nur im Rahmen einer bestimmten Messbreite oder Messskala, innerhalb derer man gemessen und empirische Daten zur Überprüfung hat. Wenn man exakter messen, mit neuen Messinstrumenten weiter ins All blicken oder tiefer in die Materie eindringen kann, dann kann es passieren, dass bestehende Modelle nicht mehr mit den neu gewonnen Messdaten in Übereinstimmung sind und so das Modell erweitert werden muss. Das neue Modell, auf strenger Axiomatik aufgebaut, muss nicht nur die neuen Messdaten beschreiben, sondern gleichzeitig auch alle bisher gemachten Erkenntnisse beinhalten.
Sie haben die alten Griechen erwähnt, welche die Welt mit Wasser, Feuer, Luft und Erde erklärt haben. Dieses Modell hat lange gedient. Später kam dann noch die eher hypothetische Quintessenz als Ergänzung zu diesen vier Elementen hinzu. Quintessenz konnte aber nie gefunden oder sonst wie nachgewiesen werden. Diese Ergänzung musste daher wieder verworfen werden. Später erkannte man die chemischen Elemente und konnte diese in einer Tabelle auflisten. Wasser, Feuer, Luft und Erde fielen dadurch aber nicht einfach weg. Es wurde klar, dass es Atome gibt, die einen Kern bestehend aus Protonen und Neutronen haben, an den Elektronen gebunden sind. Nun bedeutet aber auch diese Erkenntnis nicht, dass es die Elemente nicht mehr gegeben hätte. Das Bild, was ein Element ist, ist einfach genauer geworden. Später wurde der Atomkern genauer betrachtet und man stellte fest, dass es noch mehr gibt als Protonen und Neutronen. Sie sind aus Quarks aufgebaut. Das ist eine weitere Verfeinerung. Heute haben wir ein sehr umfangreiches Standard-Modell der Teilchenphysik vorliegen. Dort drin sind die Teilchen, die wir kennen, und ihre Wechselwirkungen beschrieben.
Es gibt diese Teilchen in drei Familien, wobei jede Familie aus zwei Leptonen und zwei Quarks besteht: Eine Familie ist die Elektronen-Familie, sie besteht aus dem Elektron, dem Elektron-Neutrino, dem Up-Quark und dem Down-Quark. Alles was wir anfassen können besteht aus diesen Bausteinen. Dann gibt es die myonische Familie, eine Kopie der Elektronen-Familie, aber viel schwerer und nicht stabil. Schliesslich gibt es die tauonische Familie, die noch einmal schwerer und auch instabil ist. Es gibt Kräfte, die zwischen diesen Teilchen wirken. Die Photonen, die wir beispielsweise als Licht wahrnehmen, sind die Träger der elektromagnetischen Kraft, welche Elektronen an Atomkerne binden oder bei Handygesprächen Signale von Sendeantenne zu Empfangsantennen führen. Für die schwache Wechselwirkung gibt es die Vektor-Bosonen (W und Z Bosonen), welche radioaktive Beta-Zerfälle von Atomkernen ermöglichen oder für das Wasserstoffbrennen im Innern der Sonne verantwortlich sind. Für die starke Kraft gibt es 8 Sorten von Gluonen. Ohne diese könnten sich Quarks nicht zu Protonen und Neutronen formen und ohne sie würde es auch keine Atomkerne geben. Zu allen Teilchen gibt es zudem ein entsprechendes Antiteilchen. Bei gewissen radioaktiven Zerfällen, so beispielsweise fortwährend in unserem Körper, entstehen auch Antiteilchen, zum Beispiel Antielektronen.
Dueblin: Nun wurde im Jahr 2012 aufgrund von Messungen im LHC klar, dass es das Higgs-Teilchen gibt. Können Sie kurz erklären, wie es zu dieser Erkenntnis kam?
PD Dr. Hans Peter Beck: Wir müssen ins Jahr 1964 zurückblenden, als Peter Higgs, Robert Brout und François Englert Fachbeiträge in den Zeitschriften „Physical Review Letters“ (Brout, Englert) und „Physics Letters“ (Higgs) veröffentlichten. Ein Abdruck von Higgs’ Grundlagenpapier ist hier im CERN im Globe in einem Schaukasten für Besucher ausgestellt. Es wurde schon damals vermutet, dass es ein Teilchen geben muss, das eine wichtige Rolle spielt, um Masse von Teilchen erst zu ermöglichen. Die physikalischen Konsequenzen aus dieser Theorie wurden jedoch erst anfangs der Siebzigerjahre klar. Damals wurde das Standard Modell der Teilchenphysik ausformuliert. Darin enthalten war das damals noch hypothetische Higgs-Teilchen. Klar war damals aber, dass das Modell nicht funktioniert ohne eben diesem Higgs-Teilchen. Das Teilchen war lange eine Art „Schlüssel“ in der Teilchenphysik. Mit dem LHC war es 2012 möglich, dieses Higgs-Teilchen zu messen und so seine Existenz zu bestätigen. Es wäre übrigens sehr interessant gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass es das Higgs-Teilchen nicht gibt. Das hätte in der Physik zu Umdenkprozessen geführt und neuen Modellen den Vorrang gegeben, die ohne das Higgs-Teilchen auskommen. Solche Modelle gab es und gibt es selbstverständlich. Allerdings haben diese Modelle meist andere Probleme, oder sind komplizierter als unbedingt nötig. Ohne ein experimentelles Resultat zur Existenz oder zur Nicht-Existenz des Higgs-Teilchens würde man weiterhin im Dunkeln tappen. Damit will ich sagen, dass auch Null-Experimente, bei denen eben nicht das herauskam, was man sich erhofft hatte, zu wesentlichem Erkenntnisgewinn führen können.
Dueblin: Solche Umdenkprozesse gab es immer wieder. Ich denke an die Erklärungsversuche, dass es einen Licht-Äther geben könnte, der alles durchdringt…
PD Dr. Hans Peter Beck: Das ist ein guter Vergleich. Im 19. Jahrhundert gab es Physiker, die den Äther gesucht hatten, den sogenannten Licht-Äther. Man konnte ihn experimentell nicht nachweisen. Dann kam Einstein und sagte, dass es den Äther gar nicht brauchen würde und er stellte dabei die Relativitätstheorie vor. Sie hat verblüffende Konsequenzen. Sie steht nicht in Widerspruch zu dem, was wir wissen. Sie beschreibt nicht nur unsere Alltagswelt bestens, sondern auch, wie die Welt ist, wenn sehr hohe Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit erreicht werden. Die Newtonsche Theorie funktioniert dagegen nur bei relativ tiefen Geschwindigkeiten und bei relativ kleinen Massen. Sobald hohe Geschwindigkeiten ins Spiel kommen oder etwa ein Schwarzes Loch eine Rolle spielt, hat die Newtonsche Gravitationstheorie ausgedient. Sie vermag die Beobachtungen, die sich dann ergeben, nicht mehr zu erklären.
Dueblin: Das Higgs-Feld, kann man sich dieses trotzdem als eine Art „Äther“ vorstellen?
PD Dr. Hans Peter Beck: Ja, das kann man so sehen, allerdings nicht als Licht-Äther. Das Higgs-Feld ist überall im ganzen Raum und bewirkt, dass uns Teilchen, wie zum Beispiel Elektronen, als massive Teilchen erscheinen. Würde man das Higgs-Feld ausschalten können, wäre ein Elektron masselos und würde sofort mit Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegen. Teilchen, die sehr schnell unterwegs sind, können keine Strukturen aufbauen. Sie müssen zueinander relativ langsam sein, damit sie das tun können.
Die Elektronen müssen durch das Higgs-Feld hindurch, dabei kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen dem Elektron und dem Higgs-Feld und sie erscheinen so als massiv. Erst seit Kurzem ist klar, dass es dieses Higgs-Feld gibt, das man schon lange vermutet hat. Wir haben das erste Mal eine Messung machen können und können die Wechselwirkungen herausfinden, die es mit anderen Teilchen eingeht. Das Standard-Modell der Teilchenphysik steht so auf soliden Füssen und erklärt wirklich alle Messungen, die je gemacht wurden, ausser die, die mit Gravitation zu tun haben, da Gravitation nicht im Modell enthalten ist.
Dueblin: Wie muss sich ein Laie dieses Higgs-Teilchen vorstellen?
PD Dr. Hans Peter Beck: Stellen Sie sich eine Wasserfläche vor. Wenn das Wasser ganz ruhig ist, nehmen wir einfach eine glänzende Oberfläche wahr. Erst wenn man einen Stein ins Wasser wirft, wird uns klar, dass es sich um Wasser handelt, denn der Stein erzeugt aufgrund seines Aufpralles und Eintauchens ins Wasser Wellen. Diese können wir mit unseren Augen sehen. Wenn wir im LHC zwei Protonen kollidieren lassen, wird damit das Higgs-Feld in Schwingung versetzt, so wie das Wasser durch den Stein. Diese Schwingungen können wir messen. Die Energiedichte auf kleinstem Raum ist sehr hoch, wenn im LHC zwei Protononen kollidieren. Die Schwingung, die sich manifestiert hat und die man messen konnte, ist gerade das Higgs-Teilchen. Ein Teilchen ist immer die Erregung eines Feldes, so ist das Higgs-Teilchen die Erregung des Higgs-Feldes. Es ist etwa so schwer wie 134 Protonen. Ein Elektron ist die Erregung eines Elektronenfeldes. Alle Teilchen sind die Erregung ihres entsprechenden Feldes.
Das ganze Universum ist tatsächlich, ähnlich wie ein Äther, vom Higgs-Feld durchzogen. Auch im Vakuum befindet sich das Higgs-Feld. Das Higgs-Teilchen ist aber nicht stabil. Es zerfällt sehr schnell nach seiner Entstehung, etwa in zwei Photonen, sprich zwei Lichtblitze, die wir mit ATLAS messen können. Auch beim Schwester-Experiment CMS (Compact Muon Solenoid), welches auf der zu ATLAS gegenüberliegenden Seite am LHC-Ring Proton-Proton-Kollisionen misst, wurde das Higgs-Teilchen nachgewiesen. Mit zwei unabhängigen Experimenten hat man so den Nachweis und die wissenschaftliche Überprüfung jeder Messung und aller Entdeckungen im LHC.
Dueblin: CERN hat es geschafft, die Protonen so zu beschleunigen, dass die Energie, die bei der Kollision entsteht, das Higgs-Feld zu erschüttern vermag.
PD Dr. Hans Peter Beck: Das ist richtig, bei einer von etwa 4 Milliarden Proton-Proton-Kollisionen entsteht tatsächlich ein Higgs-Teilchen und nur etwa jedes 450igste Higgs zerfällt in zwei Photonen. Etwa jedes 8000endste Higgs zerfällt in vier Elektronen und Myonen. Dies sind seltene, dafür aber klare Signaturen. Die typischen Zerfallskanäle von Higgs-Teilchen, beispielsweise in Paare von b-Quarks, können nicht eindeutig verwendet werden, da es viel zu viele b-Quarks bei Proton-Kollisionen gibt, so dass diese nicht von denen, die von einem Higgs-Teilchen stammen, unterschieden werden können. Wenn man das Higgs-Teilchen messen will, braucht es daher eine genügend grosse Anzahl von Proton-Proton-Kollisionen. Dazu kommen noch die richtigen Messinstrumente, die natürlich erst gebaut werden mussten, um alle Kollisionen zu messen. Die potentiell interessanten Kollisionen werden auf Band gespeichert, damit sie später im Detail analysiert werden können. Dieser Filterprozess und seine Realisierung war das Thema meiner Habilitationsarbeit. Bis heute fanden im LHC knapp 4 Billiarden Kollisionen statt (je 2 Billiarden bei ATLAS und bei CMS). Da konnten schon einige Higgs-Teilchen herausgefischt werden.
Am Fermilab (Chicago, USA) gibt es den Teilchenbeschleuniger Tevatron, der von 1983 bis 2011 in Betrieb war. Dort wurden Protonen auf Anti-Protonen geschossen. Die Energie war jedoch drei Mal weniger gross als im CERN und die Anzahl Kollisionen war beschränkt, da es sehr schwierig ist, genügend Anti-Protonen herzustellen. Auch dort hat man das Higgs-Teilchen gesucht und wichtige Beiträge zum Higgs, und ganz allgemein zur Teilchenphysik, geleistet. Tevatron konnte Massebereiche ausschliessen, in denen das Higgs bestimmt nicht sein kann und konnte am Ende seines Betriebs einen kleinen Hinweis geben, aber eben noch keine Entdeckung des Higgs-Teilchens erzielen. Mit dem LHC haben wir jetzt das geeignete Werkzeug, nicht nur um das Higgs-Teilchen nachzuweisen, sondern auch alle seine Eigenschaften zu studieren. Das wird Teil der Arbeit sein, die in den nächsten 20 Jahren LHC-Betrieb noch auf uns zukommt.
Dueblin: Fritz Zwicky, ein bekannter Schweizer Physiker und Astronom, hat schon in den Dreissigerjahren erkannt, dass im Universum noch weitere, nicht leuchtende, Materie vorhanden sein muss. Er erkannte, dass manche Sterne aus der Umlaufbahn geworfen werden müssten, wenn da nicht noch andere Kräfte wirken würden. Er prägte den Begriff „Dunkle Materie“. Was hat Zwicky, aus heutiger Sicht ein Genie, erkannt?
PD Dr. Hans Peter Beck: Fritz Zwicky hat gesehen, wie Galaxien rotieren und hat die Bahngeschwindigkeiten der sich in Galaxien befindenden Sterne aus seinen Messdaten berechnet. Die Sterne hätten aufgrund der grossen Zentrifugalkräfte schlicht aus der Bahn geworfen werden müssen. Zwicky wurde klar, dass im Inneren der Galaxien mehr Masse vorhanden sein musste, als man am Himmel leuchten sah. Denn mit mehr vorhandener Masse ist die Gravitationskraft, die auf die Sterne wirkt, entsprechend grösser, was so die hohen Bahngeschwindigkeiten erlaubt. Was diese zusätzliche, nicht leuchtende, Materie aber genau ist, weiss man auch heute noch nicht. Inzwischen ist klar, dass der Löwenanteil davon nicht erloschene Sterne, Planeten, Staub oder schwarze Löcher sind. Zwicky sagte dieser Masse, die die zusätzliche Gravitationskraft auf die Sterne erklären könnte, „Dunkle Materie“, im Unterschied zu Sternen, die leuchten und die wir sehen können.
Die Dunkle Materie kann nicht aus Bestandteilen sein, die wir von unserer Materie her kennen. Das wurde durch Messungen klar. Heute sind die meisten Physiker der Meinung, dass Dunkle Materie nicht im Standard-Modell der Teilchenphysik enthalten ist. Es braucht also eine Erweiterung des Modells. Hier gibt es sehr viele gute Ideen, aber noch nichts Handfestes, das belegen würde, was Dunkle Materie wirklich ist. Bei Proton-Proton-Kollisionen am LHC könnten solche Dunkle Materie-Teilchen erzeugt werden und man hätte messbare Effekte. Diese Messprogramme werden selbstverständlich hier am LHC auch durchgeführt, wir konnten bisher aber noch nichts erkennen und können bisher erst Aussagen darüber treffen, welche Eigenschaften Dunkle Materie-Teilchen nicht haben. Wir haben experimentelle Limiten bei der Suche nach Dunkler Materie gesetzt, welche ganze Klassen von Ideen, was Dunkle Materie sein könnte, ausschliessen.
Ab 2015 wird der LHC, der zurzeit zwecks Wartungs- und Umbauarbeiten abgeschaltet ist, mit höherer Energie und mit höheren Kollisionsraten neu gestartet. Man kann dann neue Effekte finden und Ideen, die bisher nur auf dem Papier bestehen, bestätigen oder halt eben verwerfen. Dies ist der wissenschaftliche Prozess, der so zu stetem Erkenntnisgewinn führt, auch dann, wenn Ideen sich nicht in Fakten erhärten lassen und schliesslich begraben werden müssen.
Dueblin: In Dan Brown’s Buch „Illuminati“ wird Anti-Materie im CERN gestohlen. Es ranken sich viele Gerüchte um Anti-Materie und sie fand schon vor Jahrzehnten Eingang in Science Fiction-Produktionen. Sie selber sagten in einem Interview mit der CKW-Zeitschrift „Central“ (Ausgabe August 2011), dass man das, was man wisse, nicht mehr glauben müsse. Diese Aussage schliesst das Glauben noch nicht aus. Was würden Sie gerne glauben, was an Erkenntnissen in naher Zukunft erlangt werden kann?
PD Dr. Hans Peter Beck: Was man weiss, muss man nicht mehr glauben. Natürlich gibt es interessante Schnittstellen zwischen Glauben und Philosophie, wir haben eben einige interessante Punkte besprochen. Mit Glaube meine ich hier übrigens das Bauchgefühl, das man hat, wenn man einer Idee nachgeht und sich nicht sicher sein kann, was rauskommen wird.
Mich würde es natürlich sehr freuen, wenn man der Dunklen Materie auf die Spur kommen könnte. Aus kosmologischen Beobachtungen wissen wir heute, dass etwa ein Viertel der Energiedichte, die sich im Universum befindet, Dunkle Materie ist. Normale Materie, wie wir sie kennen, stellt nur knapp 5% dar. Nur sie kennen wir gut. Wir wissen also, dass ein Viertel des Universums von Dunkler Materie durchsetzt ist, wissen aber noch nicht, was es ist. Dahingehende Erkenntnisse würde unser Weltbild verbessern und es wäre möglich, daraus wieder Neues abzuleiten. Die restlichen knapp 70% werden „Dunkle Energie“ genannt. Sie spielt in der Gravitation eine wichtige Rolle und bewirkt, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Was da genau dahinter steckt, ist nicht klar und Gegenstand aktueller Forschung.
Dueblin: Schauen wir 20 oder 30 Jahre in die Zukunft: Was könnten Sie sich vorstellen, sind dann für Erkenntnisse vorhanden, die das Verständnis der Zusammenhänge verbessern könnten?
PD Dr. Hans Peter Beck: (Lacht) Das ist eine sehr schwierige Frage und ich habe die Kristallkugel nicht, in der man so etwas sehen könnte. Wenn man den Output schon kennen würde, bevor man forscht, dann wäre das keine Forschung. Es ist schwierig, so weit vorauszuschauen. Ich denke mir, dass das Higgs-Teilchen besser ausgemessen sein wird, wir also besser wissen, ob es in allen seinen Eigenschaften dem Standard-Modell entspricht, oder ob es Abweichungen gibt, die dann quasi als Türöffner stehen, um uns Hinweise zu geben, wie das Standard-Modell erweitert werden muss. Es könnte sein, dass wir herausfinden, dass jedes Teilchen nicht nur ein Antiteilchen hat, sondern zu jedem auch ein supersymmetrisches Partner-Teilchen existiert. Damit wäre klar, dass unsere Welt supersymmetrisch ist, dass also eine Symmetrie zwischen Kräften und Materie existiert. Dies wiederum bedeutet eine weitere Erweiterung unseres Weltbilds und erlaubt, das Universum als Ganzes besser zu verstehen. Vielleicht können wir einmal erklären, warum Naturkonstanten so sind, wie sie sind. Hier wissen wir noch nicht viel, oft gar nichts.
Heute stellen wir uns die Frage, warum die Gravitation die schwächste Kraft ist, die wir kennen. Wenn Sie mit einem kleinen Küchenmagneten eine Büroklammer vom Tisch nach oben anziehen können, so hat dieser kleine Magnet die Gravitationskraft der Erde übertroffen. Dieses kleine Beispiel zeigt, um wieviel schwächer die Gravitationskraft gegenüber der elektromagnetischen Kraft ist. Das ist der Hauptgrund, wieso Gravitation im Standard-Modell nicht enthalten ist. Gravitative Effekte auf Elementarteilchen sind dermassen schwach, dass wir schlichtweg keine Handhabe haben, diese zu messen und somit zu verstehen. Gravitation und Teilchenphysik sind daher zwei getrennte Gebäude in unserem aktuellen physikalischen Verständnis. Diese beiden Gebäude vereinen zu können, wäre etwas äusserst Feines und würde Einstein’s Traum verwirklichen. Vielleicht sind wir auch in dieser Frage in 20 oder 30 Jahren einen Schritt weiter.
Dueblin: Sie haben hier am CERN sehr tief in die Materie geschaut, aber auch ins Universum geblickt. Hat das Ihre Einstellung dem Leben gegenüber verändert und gibt es einen Wunsch an die nächste Generation, der daraus resultiert ist?
PD Dr. Hans Peter Beck: Das ist eine sehr spannende Frage, die ich nicht so leicht beantworten kann. Wenn man den Kosmos betrachtet und sieht, dass sich die Erde um die Sonne dreht und sich unser Planetensystem am äusseren Rand der Milchstrasse, unserer Galaxie, an einem quasi unbedeutenden Ort befindet, muss man schon seine eigene Bedeutung in Relation setzen. Im sichtbaren Universum gibt es etwa 100 Milliarden Galaxien, die selber in grossen Superstrukturen angeordnet sind. Es wird schnell klar, was für einen unbedeutenden Ort wir bewohnen. Unbedeutend ist dieser Ort allerdings nur vom Universum aus betrachtet, für uns, die wir hier auf der Erde wohnen, ist es der einzige Ort, an dem wir existieren können. Eine zweite Chance haben wir nicht und so wird schnell klar, dass wir diese nicht vergeben dürfen, wenn wir auf diesem Planeten weiter leben wollen. Wir sind Teil der Natur, aus ihr entstanden und alles was Menschen machen, ist somit Teil der Natur. Niemand schreibt uns etwas vor und alles, was wir machen, ist von der Natur nicht verboten. Es hat auch noch kein Mensch je gegen Naturgesetze verstossen, da man diese gar nicht brechen kann. Alles, was im Universum geschieht und abläuft, inklusive unser Tun und Lassen, ist daher niemals unnatürlich. Allerdings ist aber nicht alles, was wir tun und lassen können, konstruktiv. Der Mensch hat die Tendenz, vieles erschaffen zu können, aber auch sehr selbstzerstörerisch zu sein. Das Erkennen, was selbstzerstörerisch ist und was nicht kann man lernen. Manche Lernprozesse sind durchaus schmerzhaft.
Wir können konstruktiv sein und mit anderen Menschen und verschiedensten Kulturen zusammenarbeiten, wie hier am CERN, oder bei diesem Interview. Das war im Übrigen eine der grundlegenden Ideen bei der Gründung des CERN 1954, die Menschen auf der Welt, vor allem aus dem kriegsgeplagten Europa, wieder zusammenzuführen. Das CERN feiert dieses Jahr übrigens seinen 60. Geburtstag (Anm.d.R.: http://cern60.web.cern.ch/cern60/) unter dem schon damalig gewählten Motto: „Science for Peace“. Dieses Experiment hat gezeigt, dass es über Jahrzehnte möglich ist, konstruktiv miteinander zusammenzuarbeiten und dabei enorm viele Erkenntnisse erlangen zu können. Wenn wir insgesamt konstruktiv sind, haben wir reelle Chancen, dass unsere nächsten Generationen leben können. Wir müssen zu unserer Welt Sorge tragen, damit wir sie an diese Generationen weitergeben können. Das kann man viel besser, wenn man versteht, woher wir kommen und wie die Dinge funktionieren, wenn wir verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Vielleicht hilft das Erforschen des Mikro- und Makrokosmos auch zu begreifen, dass wir uns nicht so wichtig nehmen sollten. Wir sind ein winziger Teil irgendwo im Universum, in dem vieles von Zufällen abhängt und über das wir noch Vieles nicht wissen.
Dueblin: Sehr geehrter Herr Dr. Beck, ich bedanke mich für die interessanten Gespräche und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und alles Gute bei Ihrer Forschungstätigkeit.
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