Robby Clemens Xecutives.net-Interview
Robby Clemens Xecutives.net-Interview

Robby Clemens, Jahrgang 1961, schaut auf ein bewegtes Leben zurück, im wahrsten Sinne des Wortes: Seit er zu Laufen begann, hat er über 100 Paar Laufschuhe verbraucht! Er rennt für eine gute Sache durch den vom Krieg gebeutelten Irak. Er rennt vom Nordpol zum Südpol. Er rennt um die ganze Welt und wird heute von Menschen wie Tom Hanks persönlich als europäischer „Forrest Gump“ betrachtet. Der einst gescheiterte Unternehmer, Alkoholiker und Kettenraucher kaufte sich 1998 sein erstes Paar Laufschuhe und machte sich auf den Weg. Was zuerst nur ein paar Hundert Meter funktionierte, resultierte in seinem ersten erfolgreichen Marathon, den er bestand und im Beginn eines neuen Lebens. Im Interview mit Xecutives.net nimmt Robby Clemens Stellung zu seinem Werdegang, er erzählt von seinem Scheitern als Unternehmer und seinem Absturz, der nach einem ausserordentlichen Arztbesuch und einem Paar Laufschuhe doch noch ein gutes Ende fand. Robby Clemens blickt zurück auf den Mauerfall vor 30 Jahren und stellt fest, dass es Respekt, Demut und Aufrichtigkeit bedarf, um völkerübergreifend die richtigen Ziele zu erreichen.

Xecutives.net: Herr Clemens, Sie haben auf Ihrer Website ein sehr schönes Zitat publiziert. Es lautet folgendermassen: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Diese Aussage stammt von Antoine de Saint-Exupéry. Der Mauerfall ist zurzeit gross in den Medien präsent, 30 Jahre sind es nun her, seit damals Weltgeschichte geschrieben wurde. Die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer hatten offenbar viele Bewohner der ehemaligen DDR. Was lief damals bei Ihnen ab? Was machten Sie damals in der DDR und wohin führte Sie Ihre Sehnsucht damals?

Robby Clemens: Wir müssen hier einen kleinen Schritt noch weiter zurückgehen. Jeder Mensch hat den Wunsch nach Reisen und Freiheit irgendwo in sich. Wir verstanden damals in der DDR aber etwas anderes unter dem «grossen weiten Meer». Es gab im Norden die Ostsee und wenn wir ganz weit wegreisen wollten, gingen wir an den Balaton, also an den Plattensee in Ungarn. Diese beiden Reisedestinationen bedeuteten für die meisten Menschen in der DDR damals das weite endlose Meer. Viele Menschen hatten sich mit dem System abgefunden, es auch als gut betrachtet und sich vielleicht auch eingeredet, dass es kein weiteres Meer gab, an das man hingehen wollte.

Robby Clemens auf Vortragstour
Robby Clemens auf Vortragstour

Xecutives.net: Die Sehnsucht aber, die Mauer einreissen zu können, die war ja offenbar da. Es gab Menschen, die wollten mehr als die Ostsee, sie wollten frei sein und das tun können, was man auch im Westen tun konnte.

Robby Clemens: Ja, natürlich, aber es gibt in jedem Land unter der Bevölkerung immer breite Schichten von Menschen, die ganz andere Vorstellungen haben. Viele Leute hatten ganz toll mit dem System und vom System gelebt. Sie haben Reisen an die Ostsee und an den Balaton als ihre Weltreise im Rahmen des möglichen betrachtet und viele waren damit ganz zufrieden. Sie hatten sich mit dem System arrangiert. Dann gab es andere, die man lange Zeit kaum wahrgenommen hatte, die wollten sich mit dem System nicht abfinden. Sie bekamen irgendwann Gehör und es kam zu einer grossen Bewegung, die man nicht mehr stoppen konnte, auch nicht mit der Polizei.

Xexutives.net: Ich erinnere mich an Gespräche mit Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, der mir erzählte, dass er damals mit Kanzler Kohl in Warschau auf Staatsbesuch war und plötzlich sei die Nachricht gekommen, die Mauer könne fallen. Die beiden haben sich sofort auf den Rückweg nach Berlin gemacht und sie trafen dort auf Massen von Menschen. Einer rief dann offenbar dem Minister Riesenhuber zu, er schaue ja aus wie der Riesenhuber und solle mit ihm ein Bier trinken. Worauf Minister Riesenhuber sagte, er sei ja auch der Riesenhuber, was man ihm zunächst aber nicht abnahm. Nun, auch Menschen wie Kohl und viele andere haben nicht erahnen können, dass die Mauer in einer solchen Geschwindigkeit fallen und die Weltgeschichte einen anderen Lauf nehmen würde. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Robby Clemens: Ich glaube, wir alle mussten zunächst lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Es war ja nicht so, dass es einfach «Klick» gemacht hätte und jeder kam dann mit allem zurecht. Es folgte ein grosser Lernprozess, auch zu begreifen, was alles möglich war. Für viele Menschen, die in für sie abgesteckten Bahnen lebten, war das eine grosse Herausforderung. Da waren plötzlich diese Freiheit und die grossen Möglichkeiten, das tun zu können, was man wollte. Aber viele standen da und wussten gar nicht, was sie mit der Welt jetzt überhaupt anfangen sollten.

Robby Clemens: Nutzt auch erfolgreich Crowdfunding zur Finanzierung seiner Lauf-Projekte
Robby Clemens: Nutzt auch erfolgreich Crowdfunding zur Finanzierung seiner Lauf-Projekte

Xecutives.net: Das war für viele Menschen ein Moment der bisher unbekannten Multioptionsgesellschaft, wie sie Prof. Peter Gross von der Universität St. Gallen in seinem Buch beschrieben hat. Manche haben das sehr gut hinbekommen, andere sind an den vielen Optionen gescheitert und sehnten sich die alte DDR zurück.

Robby Clemens: Ja, das war genau der Fall! Es gab so viele Optionen, dass viele Leute auch einfach mal gar nichts machten oder entschieden, nichts zu tun. Ich selber war ein Kapitalist im sozialistischen System. Schon 1986 hatte ich mich selbständig gemacht. Das war in Bezug auf das Handwerk sehr gut möglich. Es gab viele Unternehmerinnen und Unternehmer wie mich, die gutes Geld verdienten. Ich hatte ein Sanitärgeschäft mit drei Beschäftigten und baute dies nach der Wende auf über 100 Mitarbeitende aus.

Xecutives.net: Nebst den vielen Optionen gab es aber auch viele Ressentiments. Ich beobachtete damals als Student im Ausland, wie die Westdeutschen mit Ostdeutschen umgingen und umgekehrt. Das war alles andere als harmonisch.

Robby Clemens: Diese Ressentiments zeigten sich natürlich auch etwa darin, dass die DDR-Bürger Autos kauften, die man im Westen schlicht auf die Müllhalde geworfen hätte. Das zeigt zum einen, den wahren Geschäftssinn derjenigen auf, die verkauft hatten. Man darf sagen, dass diese Leute mit wenig hehren Absichten tätig waren. Dann war da zum anderen das Unwissen der DDR-Bürger. Diese Züge von Westdeutschen und anderen, das Unwissen der Menschen im Osten zu missbrauchen und auszunutzen, erklären sicher auch die Probleme, die bis heute noch nicht vollends gelöst sind. Ich selber habe das wahrgenommen, ging aber meinen ganz eigenen Weg. Auf diesem Weg haben mich viele Menschen aus der DDR begleitet, andere haben sich gegen mich gestellt, so wie das in anderen Systemen auch der Fall ist.

Robby Clemens beim Pulka-Training
Robby Clemens beim Pulka-Training

Xecutives.net: Herr Clemens, Sie haben etwas sehr Aufrichtiges an sich, auch etwas Herzliches und man attestiert ihnen eine grosse Integrität. Ich kann das bestätigen, haben wir doch auch einen gemeinsamen Kollegen, der Sie einschätzen kann. Ich sage das, weil unsere Welt, wenn man die Zeitung liest und sich online bewegt, gerade nicht den Eindruck besonderer Aufrichtigkeit erweckt. Hört man Sie über Ihre Reisen berichten, so sind Sie immer positiv und können den vielen Begegnungen, über die ein durchschnittlicher Mensch nur noch staunen kann, nur das Beste abgewinnen. Ich würde Ihnen zutrauen, mit Ihrer Ausstrahlung innert kürzester Zeit eine Unternehmenskultur zum Positiven verändern zu können. Wie erklären Sie sich selber diese positive Einstellung?

Robby Clemens: Ich nehme auf meine Reisen all das, was man in den Medien sieht und hört, anders wahr. Ich treffe teils auf Menschen, die mich aus einer ganz anderen Situation kennenlernen, als eine Art verrückten Forrest Gump, der durch ihr Land läuft. Wenn sich mir Menschen anschliessen oder ich mich mit ihnen unterhalte, dann redet man ganz selten über die grosse Politik in diesen Ländern. Solche Diskussionen finden zu anderen Zeitpunkten statt, wenn ich etwa Vorträge halte in Deutschland. Dann kommen diese Fragen auf und es entstehen Diskussionen. Selber habe ich am Nordpol etwas erlebt, das mich sehr geprägt hat. Ich war auf einer russischen Eis-Station namens „Camp Barneo“. Um dorthin zu gelangen, muss man über Longyearbyen reisen, die Hauptstadt des Svalbard Archipels in Nordnorwegen. Dort nutzt man die Infrastruktur, um an den Nordpol gelangen zu können. Ich kam mit 50 anderen Menschen dorthin, die den Nordpol-Marathon mitliefen und diese russische Station ist ein Ort, wo sehr viele Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammenarbeiteten. Ich war völlig erstaunt, dass all diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammensassen und zusammen Wodka tranken. Ich ging zu den Russen und zu den Amerikanern und meinte, dass sich deren Präsidenten nicht so gut verstehen würden. Die Antwort war eindeutig, diese Menschen interessierten sich nicht für Präsidenten und die grosse Politik, wie wir sie den Medien entnehmen können. Sie wollen gemeinsam forschen und sie wollen sich in ein Welt-Team einbringen und etwas zu den gemeinsam gesteckten Zielen beitragen. Die grossen Probleme, die wir vor uns haben, die können wir nur lösen, wenn wir zusammenarbeiten. Dieser Tisch am Nordpol ist für mich eine Metapher geworden, um diese nötige Zusammenarbeit zu erklären.

Robby Clemens: Der Mann der (sich) nicht aufgab auf seiner Erdumrundung - hier in Ägypten
Robby Clemens: Der Mann der (sich) nicht aufgab auf seiner Erdumrundung – hier in Ägypten

Xecutives.net: Sie selber haben grosse Schicksalsschläge in Ihrem Leben erfahren und konnten sich positiv entwickeln, zu dem, was Sie heute sind. Ein Mensch, den viele andere Menschen bewundern und der auf andere inspirierend wirkt. Offenbar haben sich nun aber viele Menschen nicht resp. in eine andere Richtung entwickelt: Sie sehen die Welt vollkommen anders, eben ohne den Tisch am Nordpol.

Robby Clemens: Es kommt darauf an, was die Intention des anderen ist. Viele Menschen haben keine Intention, andere haben eine, die aber in eine falsche Richtung abzielt; auch Intentionen, die für andere Menschen schädlich sind. Oft werden solche Menschen von einer Gruppe, von Interessengruppen, instrumentalisiert. Ich selber habe diese völkerverbindende Intention und Idee, die mich nicht loslässt und motiviert. Alles was uns als Menschen auseinandertreibt, kann ich nicht verstehen und ich versuche auch deshalb, als gutes Beispiel voranzugehen, indem ich laufe und Menschen begegne. Ich selber habe sehr viele Erfahrungen in meinem Leben gemacht, die dem, was ich eben gesagt habe, entgegenstehen. Es gab bei mir auch ein Leben vor diesem Leben. Schliesslich ist es aber so, dass jeder einzelne vor seiner Haustür etwas bewirken kann. Ich habe andere Ansichten als viele andere Menschen, verstehe deshalb auch bspw. die AfD nicht, der ich nichts Positives abgewinnen kann, weil sie Menschen auseinandertreibt. Ich bin auch keiner der Weltkriege als richtig empfindet. Mir ist nicht klar, wie man sich einen neuen Krieg vorstellen oder wünschen kann, der doch hier bei uns 50 Millionen Menschenleben gekostet hat. Gegen diese falschen Ansichten kann man nur vorgehen, wenn man zu seinen eigenen und anderen Ansichten steht.

Xecutives.net: Ich entnehme Ihrem Votum einen politischen Appell, den wohl viele Menschen unterstützen. Ist dieser Apell nun aber ein Nebeneffekt aus allen Ihren teilweise auch waghalsigen Unternehmungen – ich denke hier auch an den Lauf durch den Kriegsversehrten Irak zugunsten von Kindern – oder ist ihr Aufruf des Pudels Kern, ihre Motivation für das was Sie tun?

Robby Clemens: Hier muss man meine Entwicklung kennen. Wir haben am Anfang über die Zeit vor und nach dem Mauerfall gesprochen. Ich hatte ein Unternehmen mit über 100 Beschäftigten und habe all das genossen, was Geld bieten kann. Ich hatte das Geld nicht im Griff und habe mich in eine Richtung entwickelt, die man nicht als dem Menschen zugewandt betrachten könnte. Ich habe Dinge gemacht, die ich mir heute noch nicht erklären kann. Ich war sehr materiell ausgerichtet und lebte mit viel Geld, mit allen denkbaren Privilegien, die es gibt, wenn man Geld hat. Bei mir spielte sicher noch der Alkohol eine grosse Rolle. Der Alkohol war ein weiterer Grund, dass ich mich in Richtung von Ansichten entwickelt hatte, die weit weg waren von meinen heutigen Ansichten. Der Blick über den eigenen Zaun hat mir selber einen völlig neuen Blick auf die Menschen auf dieser Welt erlaubt. Meine Reisen haben dazu geführt, dass ich die Welt, auch hier in Deutschland, heute ganz anders wahrnehme.

Robby Clemens - Extremläufer & Motivationscoach: Nicht nur zu Fuß, auch mal auf Skiern unterwegs
Robby Clemens – Extremläufer & Motivationscoach: Nicht nur zu Fuß, auch mal auf Skiern unterwegs

Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich in Mexiko ins Krankenhaus musste; man von mir aber vor der Behandlung Geld verlangte, das ich nicht hatte. Als ich auf der Liege lag, habe ich dem Arzt gesagt, dass man hier ja richtig abgezockt würde. Der Arzt meinte, dass man halt Vorkasse haben müsse und alle diese leisten müssten, also auch die Mexikanerinnen und Mexikaner. Was will ich damit sagen: Es gibt viele Länder, wo das Leben viel schwerer ist. Ich meine das gar nicht nur in Bezug auf das Materielle, sondern in Bezug auf das tägliche Leben generell und den Umgang mit anderen Menschen und Behörden. Es gibt in jedem Land etwas zu Meckern. Ich weiss aber nach vielen solchen Fällen, was ich hier in Deutschland habe und dass das alles nicht selbstverständlich ist. Denkt man darüber nach, muss man gezwungenermassen auch weniger meckern. Da viele Menschen nicht selber reisen, zeige ich Ihnen, was mir alles widerfährt, wenn ich unterwegs bin und das begeistert die Menschen.

Xecutives.net: Sie halten viele Vorträge, berichten über Ihre Begegnungen und zeigen den Anwesenden, oft auch Top-Managern, die weite Welt. Was fragt man Sie an diesen Anlässen? Was wollen die Zuschauer und Zuhörer von Ihnen wissen?

Roby Clemens: (Lacht) Man fragt mich oft, wie viele Paar Schuhe ich schon verbraucht habe…

Xecutives.net: Rund 40 während des Laufs vom Nord- zum Südpol!

Robby Clemens: Exakt! Die Frage, die kommt immer. Man befragt mich auch über die Armut auf der Welt. Am Anfang sagte ich, dass mich diese Frage der Armut auch berühre. Nach vielen weiteren Reisen und Begegnungen auf der ganzen Welt antworte ich heute anders. Ich frage zurück, was denn überhaupt die Definition von Armut und von Glück im Leben sei. Wer ist denn „arm“, die Menschen in Indien oder vielleicht nicht doch wir hier im Westen? Das ist eine spannende Frage, denn es gibt viele Blickwinkel von Armut. Wenn man in anderen Ländern diese Frage stellt, so hört man nicht selten, dass man zwar materiell weniger habe, aber nicht an geistiger Armut leiden würde, wie die Menschen im Westen. Das ist ein ganz andere Perspektive, die man erfährt.

Robby Clemens: Zur Abwechslung auch einmal urban durch Brooklyn (New York) laufen
Robby Clemens: Zur Abwechslung auch einmal urban durch Brooklyn (New York) laufen

Xecutives.net: Was wollen Manager und Unternehmer von Ihnen wissen?

Robby Clemens: Sie fragen mich über meine Motivation aus. Sie wollen wissen, wie man sich vorbereitet und wie man die Strapazen überlebt. In den Diskussionen, die dann entstehen, wird vielen klar, dass wir unser Kapital und den Erfolg in Unternehmen den Menschen verdanken, die für das Unternehmen arbeiten. Darum sollten wir die Menschen auch richtig und gut behandeln.

Viele Menschen werden aber auch gezwungen, etwas zu tun, das sie gar nicht tun wollen. Wenn man ihnen vorschlägt, das zu ändern, dann kommen 100 Ausreden, warum man dies und jenes nicht tun könne. Ich habe aber auf meinen Reisen sehr viele Menschen kennengelernt, die ihr Leben völlig verändert haben, die plötzlich losgezogen sind und gesagt haben, dass es nun der richtige Zeitpunkt sei, mal was anderes zu tun. Ich habe beispielsweise einen Manager kennengelernt, der hat sein Unternehmen verschenkt, hat sich selber ein Budget von 15 Dollar pro Tag verabreicht. Er reist immer noch um die ganze Welt und ist zufriedener als zuvor. Es geht alles, wenn man den Willen hat. Das sind wichtige Einsichten bei Vorträgen. Manchmal wird man auch durch äussere Umstände in eine Situation befördert, in der man sowieso ein neues Leben beginnen muss. Es gibt viele Beispiele. Ich habe Menschen getroffen, denen sind die Kinder gestorben. Jeden kann ein Schicksalsschlag ereilen. Deshalb ist es wichtig, im Leben dankbar und demütig zu sein. Das zu schätzen, was man geschaffen und erreicht hat und nicht neidisch auf andere zu sein.

Xecutives.net: Sie waren ein erfolgreicher Unternehmer, hatten viele Mitarbeitende, dann gingen Sie im Jürgen Schneider-Skandal unter, der Baulöwe, der später u.a. aufgrund von Betrug mehrere Jahre im Gefängnis sass und Milliardenschäden hinterliess. Sie haben zu dieser Zeit als Unternehmer im Baugeschäft alles verloren. Sie haben offenbar auch Ihre Familie aufs Spiel gesetzt. Sie haben geraucht, sind Alkoholiker geworden. Es ist Ihnen jedoch gelungen, sich wieder aufzuraffen. Auf eine Art und Weise, wie das wohl nur wenigen Menschen gelingen würde. Wie kamen Sie damals wieder aus dieser Situation heraus?

Robby Clemens: Durchatmen auf dem Weg zu Fuß vom Nordpol zum Südpol
Robby Clemens: Durchatmen auf dem Weg zu Fuß vom Nordpol zum Südpol

Robby Clemens: Ich fiel hin, schnitt mich und musste einen Arzt aufsuchen. Ich ging zum Arzt, der mich schon seit meiner Jugend her kannte und der schlug mir eine runter. Er verpasste mir links und rechts richtige «Schellen», so dass ich umfiel. Er schrie mich an und meinte, ob ich nicht langsam merken würde, dass ich nicht nur mich persönlich vernichte, sondern auch die ganze Familie in den Abgrund ziehen würde. Wenn man alkoholabhängig ist, lebt man in einer konstanten Scheinwelt. Man hat das Gefühl, dass man selber nüchtern und die anderen betrunken seien. Diese „Schellen“, man darf das so sagen, sind mir in die Knochen gefahren. Es ist etwa so, wie wenn man blind ist und man nur blind ist, weil man die Augen zu hat. Ich hatte plötzlich wieder die Möglichkeit, die Augen öffnen zu können. Mir wurde schlagartig klar, dass ich mich ändern musste. Ich habe dann eine Entziehungskur abgebrochen, weil mir ein Kollege erzählte, einer sei aus der Entziehungskur abgehauen und habe sich Laufschuhe gekauft. Er sei einfach weggerannt. Ich entschied, medizinisch war das natürlich falsch, mir Laufschuhe zu kaufen und brach damals mit 125 Kilogramm auf, auf dem Sportplatz meine Runden zu laufen. Am Anfang schaffte ich jedoch noch keine einzige, dann ging es immer etwas besser. Ich ging jeden Tag laufen. Ich wollte nicht schnell laufen, aber länger laufen können und ans Ziel kommen. Ich habe seither nie mehr getrunken. Nach Monaten konnte ich einen ersten Halbmarathon laufen und etwas später einen Marathon. Das war ein grosses Erlebnis. Ich kam ans Ziel, viele Menschen rannten mit mir mit, um mich zu motivieren und als ich im Ziel ankam, fiel ich meiner Familie in die Arme und meine Familie hat fürchterlich geweint. Ich dachte, es sei doch jetzt etwas Gutes passiert, bis ich begriff, dass meine Familie aus Freude weinte, weil sie mich mit dem Marathon wieder als funktionierenden Menschen vor sich hatte.

Xecutives.net: Trotzdem ist da auch Ihre Vergangenheit und mich würde interessieren, was Ihnen denn noch nützlich ist aus Ihrem Leben vor der Abstinenz und dem Rennen?

Robby Clemens: Ich habe gelernt dankbar und demütig zu sein. Das ist für mich das Wichtigste. Ich bin Handwerksmeister auf verschiedensten Bereichen und habe mich auch betriebswirtschaftlich weitergebildet. Das hilft mir heute hin und wieder schon noch. Das ganze Leben vorher nützt mir jedoch, reflektieren zu können, erkennen zu können, was falsch lief. Auch habe ich gelernt, Verantwortung für mein eigenes Tun zu übernehmen. Darum ist es mir wichtig, den vorhin genannten Baulöwen Schneider nicht einfach so für mein Leben verantwortlich zu machen, sondern hinzustehen und zu sagen, dass ich das alles zu vertreten habe. Auch den Untergang meiner eigenen Unternehmung.

Robby Clemens: Zwischenstopp am FWD Nordpol-Marathon
Robby Clemens: Zwischenstopp am FWD Nordpol-Marathon

Xecutives.net: Man könnte, wenn man Sie hört und sich mit Ihrem Leben beschäftigt, aus Ihren Aussagen eine Art «Bekehrtsein» herauslesen. Es gibt Menschen, die aufgrund besonderer Ereignisse, religiös werden. Sind Sie selber ein religiöser Mensch? Ich frage das, weil ich nirgends einen Hinweis auf Religion finden konnte in der Auseinandersetzung mit Ihnen und Ihrem Leben.

Robby Clemens: Ich habe im Jahr 2016 unseren evangelischen Pfarrer gefragt, ob ich mich als Spätberufener noch taufen lassen könne. Er fragte mich warum und er erklärte mir, dass man sich in jedem Alter taufen lassen könne. Ich liess mich 2016 hier in Hohenmöslen in der evangelischen Kirche taufen.

Xecutives.net: Was war der Grund, das zu tun?

Robby Clemens: Das kann man mit einem Satz nicht erklären. Dieser Prozess hat Jahrzehnte gedauert. Es sind viele kleine Dinge und Lebenssachverhalte, die sich 2016 als Ganzes für mich zusammenfügten und mich veranlassten, diesen Schritt in meinem Leben zu machen. Die Prozesse und Lebenssachverhalte haben mich ins Haus unseres Pfarrers gelenkt. Das war der Moment, an dem ich nicht mehr daran glauben konnte, dass einfach alles auf der Welt zufällig passiert. Mir wurde klar, dass es gar nicht so viele Zufälle geben kann.

Robby Clemens: Zu Fuß bei arktischen Temperaturen am Nordpol
Robby Clemens: Zu Fuß bei arktischen Temperaturen am Nordpol

Xecutives.net: Einer dieser Zufälle könnte die Begegnung mit Tom Hanks, dem amerikanischen Filmstar sein. Sie haben ihn auf ganz besondere Weise kennengelernt. Können Sie uns darüber etwas erzählen?

Robby Clemens: Tom Hanks und ich wollten durch Houston laufen. Da kam aber ein Orkan in die Quere und wir mussten das Projekt absagen. Der Sturm hat vieles in der Stadt kaputt gemacht. Vieles lag in Trümmern und viele Menschen verloren ihre ganze Existenz. Das war nicht die Zeit, um ein solches Projekt zu starten. Es ist aber nicht vom Tisch. Sobald in Houston wieder alles beim Alten ist, werden wir loslaufen.

Der erste Kontakt mit Tom Hanks war sehr aufregend. Das muss im Jahr 2012 oder 2013 gewesen sein, als ich einen Anruf auf Englisch erhielt. Jemand behauptete, er sei vom Management von Tom Hanks. Das war sehr exotisch und ich dachte, dass es sich um einen Witz handeln würde, irgend so was, wie versteckte Kamera. Ich sagte der Person, ich hätte keine Zeit und legte auf. Eine Minute später klingelte es erneut und die Person am anderen Ende beteuerte, dass sie wirklich für Tom Hanks arbeite und er mich in Deutschland treffen wolle. Er sei an der Berlinale und er würde mich im Hotel Adlon gerne treffen. Ich fuhr dann hin und dachte immer noch an Kurt Felix und seine versteckte Kamera. Dort angekommen wurde ich jedoch von seinen Bodyguards in einen Lift gestellt und stand kurze Zeit später tatsächlich in der Suite von Tom Hanks. Ich war sehr nervös, das Herz klopfte mir bis zum Hals. Das Gespräch war aber ganz locker, so wie jetzt hier zwischen uns beiden. Er fragte mich, was es mit dem „deutschen Forrest Gump“ auf sich habe? Er war gut informiert. Er schlug vor, wir könnten gemeinsam was tun. Ich erzählte ihm von meinem Projekt vom Nordpol zum Südpol zu laufen und er schlug vor, dass wir zusammen laufen könnten, wenn ich in Houston ankommen würde.

Robby Clemens: Auf dem Heimweg zurück vom grossen Abenteuer am Südpol
Robby Clemens: Auf dem Heimweg zurück vom grossen Abenteuer am Südpol

Ich bin dann Ehrenbürger von Houston geworden und reise jedes Jahr ein Mal nach Houston, wo ich mit allen Ehren empfangen werde. Ich werde abgeholt und man kümmert sich um mich. Im Rahmen einer nächsten Reise nach Houston werde ich Tom Hanks für den geplanten Lauf treffen!

Xecutives.net: Lieber Herr Clemens, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen für Ihre Projekte und Vorträge weiterhin alles Gute und viel Erfolg!

(C) 2019 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.