
Samuel S. Weber ist ein unabhängiger Vermögensverwalter aus Zug mit Fokus auf wertschöpfungsorientiertes Investieren und betriebswirtschaftlichem Hintergrund der Universitäten Basel und St. Gallen. Im Interview mit Xecutives.net analysiert er die aktuellen globalen Wirtschaftsturbulenzen. Seine Anlagestrategie fokussiert auf langfristige Unternehmensentwicklung und die Unterscheidung zwischen Risiko, definiert als permanenter Kapitalverlust, und Aktienkursschwankungen. Als Ko-Autor von “Swiss Finance” beleuchtet er die Hintergründe der protektionistischen Tendenzen der USA und die Interaktionen der globalen Akteure im sich entwickelnden “Handelskrieg”. Weber ordnet die Herausforderungen wirtschaftlich, finanzpolitisch und weltpolitisch ein, zieht historische Vergleiche und erörtert die Konsequenzen für Investoren.
Xecutives.net: Herr Weber, nach unserem aufschlussreichen Gespräch über Geld im Jahr 2020 sehen wir uns nun mit neuen globalen Unsicherheiten konfrontiert, die durch Handelskonflikte verstärkt werden. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage an den Weltmärkten, und welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf Ihre Anlagestrategie?
Samuel S. Weber: Die Unsicherheit an den Märkten ist in den letzten Jahren tatsächlich ein wiederkehrendes Thema gewesen, denken wir an die Pandemie, die Inflation und Russlands Invasion in die Ukraine. Dennoch teile ich Ihre Beobachtung, dass das aktuelle Mass an Verunsicherung signifikant ist. Politisch betrachtet wird das wirtschaftlich stärkste Land derzeit von einer schwer einschätzbaren Persönlichkeit regiert, die dabei ist, einen weltweiten Zollkrieg vom Zaun zu brechen. Spieltheoretisch scheint Trump ein “Game of Chicken” zu spielen. Er schafft Fakten, die das Potenzial haben, den USA schwer zu schaden, und vertraut darauf, dass die anderen Seiten einlenken. Er bedient sich dabei ökonomischer und (geo-)politischer Kräfte, die sich nicht vollständig kontrollieren lassen. Ob das gelingt, ist völlig offen, und niemand kann abschätzen, wo dieses Spiel hinführt.
Es braucht nun viel Kreativität, Kompetenz und Kooperationswillen in den entscheidenden Führungspositionen, um geeignete Lösungen zu finden. Für mich als Investor gibt es diesbezüglich zwei Aspekte zu beachten: erstens das Risiko einer weltweiten Depression, die alle Firmen und Investoren/innen negativ betreffen würde. Erinnern wir uns an den Handelskrieg von 1930 und die verheerenden Auswirkungen der Smoot-Hawley-Zölle, als der Welthandel um 2/3 und das globale BIP um 20% einbrachen.

Zweitens können die angekündigten und potenziell noch kommenden Zölle und andere Massnahmen meine spezifischen Beteiligungen treffen. Diesbezüglich bin ich noch einigermassen entspannt, da viele meiner Kernbeteiligungen stark auf ihre lokalen Märkte fokussiert sind und/oder breit diversifizierte Geschäftsmodelle aufweisen. Nichtsdestotrotz beobachte ich die Situation genau. Erhebliche Veränderungen sind möglich.
Es bestehen auch unabhängig von der Zollthematik bedeutende Unsicherheiten wie innenpolitische Spannungen, Zinsrisiken, hohe Staatsverschuldungen und Aktienmarktbewertungen, Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums, Deflation- und Inflationsrisiken u.v.m. Die technologische Entwicklung, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, bleibt jedoch ein bedeutender Hoffnungsschimmer.
Xecutives.net: Das Schlagwort “Handelskrieg” dominiert die Diskussion. Sie sehen darin eine Form der Erpressung durch Marktmacht. Welche langfristigen Folgen erwarten Sie für die globale Gesellschaft und insbesondere für die westlichen Demokratien angesichts dieser veränderten Machtdynamiken?
Samuel S. Weber: Ihre Frage zielt auf ein komplexes Geflecht internationaler Beziehungen ab. Meiner Einschätzung nach lässt sich in den Vereinigten Staaten eine wachsende Tendenz zu nationalem Egoismus beobachten. Die Politik von Präsident Trump scheint von einer Wahrnehmung geprägt zu sein, in der die USA eine Opferrolle einnehmen und Zölle als Mittel zur Korrektur dieser vermeintlichen Ungerechtigkeiten dienen sollen. Die rationale Grundlage dieser Strategie erschliesst sich mir persönlich nicht vollständig.
Die potenziellen Gefahren sind hingegen evident. Solange die Vereinigten Staaten ihre Interessen im Rahmen international anerkannter Normen – insbesondere der Welthandelsorganisation – durch Neuverhandlungen bestehender Abkommen verfolgen, sehe ich keinen unmittelbaren Grund zur Besorgnis. Eine signifikante Zunahme der globalen Unsicherheit entsteht jedoch, wenn der mächtigste Akteur beginnt, sich von etablierten Vereinbarungen und Spielregeln zu distanzieren. Die Frage, warum sich dieser Akteur zukünftig an neu ausgehandelte Verträge halten sollte, wird in diesem Kontext relevant.
In einer solchen Atmosphäre der Ungewissheit ist eine abwartende Haltung vieler globaler Akteure wahrscheinlich. Eine derartige weltweite Zurückhaltung könnte jedoch in einer wirtschaftlichen Stagnation oder gar einer Depression münden. Daher verfolge ich, wie viele andere, diese Entwicklungen mit grosser Aufmerksamkeit.

Xecutives.net: Bei solchen globalen Machtkämpfen gibt es Gewinner und Verlierer. Was bedeuten “Gewinnen” und “Verlieren” aus wirtschaftlicher Sicht? Wer könnte verlieren, wer gewinnen, und was stünde am Ende auf dem Spiel?
Samuel S. Weber: Meine Denkweise zu diesem Punkt weicht fundamental von der Donald Trumps ab. Entgegen seiner Ansicht impliziert ein Handelsüberschuss eines Landes gegenüber einem anderen keineswegs eine Ausbeutung. Vielmehr sehe ich Handel als einen reziproken Austausch, der per Definition für beide beteiligten Parteien vorteilhaft sein muss, um langfristig zu bestehen – ein klassisches Positivsummenspiel.
Die These, China würde seinen Wohlstand durch subventionierte Exporte auf Kosten anderer Nationen steigern, überzeugt mich nicht. Diese Argumentation vernachlässigt die substanziellen komparativen Vorteile Chinas sowie den grundsätzlich vorteilhaften Charakter des globalen Handels für alle Beteiligten. Man stelle sich vor, die Vereinigten Staaten müssten sämtliche importierten Güter im Inland produzieren: Eine immense Inflation und erhebliche Wohlstandsverluste wären die Folge. Die gegenwärtige Skepsis gegenüber dem Welthandel spiegelt meiner Einschätzung nach eher unsere Schwierigkeiten wider, bestimmte innenpolitische Herausforderungen zu bewältigen, als dass sie die fundamentalen Vorteile globaler Wirtschaftsbeziehungen in Frage stellt. Dazu gehören übrigens auch der Konsumwahn in der US-Gesellschaft, der das strukturell wachsende Handelsdefizit begründet, sowie das Konsumdefizit in China, das für die strukturell wachsenden Handelsüberschüsse verantwortlich ist.
Die von Trump initiierten Zollmassnahmen werfen demnach die Frage nach den tatsächlichen Zielen auf. Die Verlagerung von Produktionskapazitäten in die USA mag ein verständliches Ziel darstellen, doch das würde Jahrzehnte dauern und es ist nicht nachvollziehbar, warum Zölle das effektivste Mittel zur Erreichung dieses Ziels sein sollen. Die Eskalation der Beziehungen zu China durch beidseitig verhängte hohe Zölle demonstriert bereits die negativen Konsequenzen dieser Politik. Beide Seiten verlieren. Der Ausgang dieser Entwicklung bleibt ungewiss.
Im besten Fall erweist sich Trump als ein geschickter Verhandlungspartner, der die Welt aufgerüttelt hat und nun neue, vorteilhaftere Abkommen abschliessen wird. Obwohl ich ihm das nicht zutraue, muss ich eingestehen, dass ich ihn in der Vergangenheit bereits unterschätzt habe. Andererseits sehe ich in seinem Vorgehen substanzielle Risiken, die die gesamte Weltlage verschlimmern könnten. Erste Anzeichen sahen wir bereits in den Zinsaufschlägen von US-Staatsanleihen. Sie bilden die Grundlage für die Bewertung aller Finanzprodukte weltweit. Ein Vertrauensverlust an dieser zentralen Stelle hätte enorme Konsequenzen für internationale Investoren/innen.

Xecutives.net: Geht es in diesem “Handelskrieg” wirklich nur um Handelsdefizite? Muss sich die einst grösste Wirtschaftsmacht neu ausrichten? Wo sehen Sie die grössten Gefahren für die Bevölkerung der USA in der aktuellen Situation?
Samuel S. Weber: Donald Trump ist vom Wesen her ein Deal-Maker. Er scheint sich auf Handelsdefizite zu fokussieren, um andere Ziele zu erreichen. Zumindest ist das meine Interpretation. Die USA haben mit einer beträchtlichen Anzahl ihrer wichtigen Handelspartner ein Handelsdefizit. Trump nutzt dies nun als argumentative Waffe. Dabei ignoriert er natürlich auch, dass das Handelsdefizit mit einem Überschuss bei Dienstleistungen zumindest teilweise ausgeglichen wird.
Die USA stehen vor grossen Herausforderungen, verfügen aber auch über signifikante Stärken. Ein Konflikt mit China, ob wirtschaftlich oder militärisch, wäre äusserst schädlich. Auch die hohe Staatsverschuldung birgt Risiken. Sollte die Refinanzierung der Staatsschulden schwierig werden, könnten die Zinsen stark steigen und eine globale Finanzkrise auslösen. Zudem gibt es Anzeichen von “Wohlstandsverwahrlosung” in den USA, und es stellt sich die Frage, ob das Land die richtigen Prioritäten hat und die knappen Ressourcen nicht woanders effizienter eingesetzt werden könnten.
Xecutives.net: Seit der Kolonialisierung spielen Rohstoffe eine zentrale Rolle in globalen Machtspielen. Aktuell rücken “Seltene Erden” in den Fokus. Welche Bedeutung hat die Verteilung dieser Rohstoffe im Kontext des gegenwärtigen “Handelskriegs”?
Samuel S. Weber: Obwohl seltene Erden global vorkommen, hat China über Jahrzehnte ein unübertroffenes Know-how bei deren Verarbeitung entwickelt. Dieses spezifische Fachwissen ist für andere Nationen schwer aufzuholen, was Chinas dominante Marktposition und seine Rolle als unverzichtbarer Lieferant begründet. Diese Abhängigkeit war jedoch nicht zwingend. Andere Länder entschieden sich bewusst, insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes, gegen den Aufbau vergleichbarer Verarbeitungskapazitäten.
Dies verdeutlicht eine zentrale Erkenntnis: Wissen übertrifft den Wert von Rohstoffen; ohne das entsprechende Know-how bleiben diese weitgehend ungenutzt oder sogar unentdeckt. Fortschritt erfordert kontinuierliche Wissensgenerierung, die stetige Investitionen und Anstrengungen bedingt. Handelsabkommen, die auf einem Nullsummenspiel basieren und bei denen ein Partner zwangsläufig verliert (wie von der Trump-Regierung angestrebt), tragen nicht zur globalen Wissenserweiterung und Wertschöpfung bei.
Xecutives.net: Die Handelspolitik unter Präsident Trump hat international zu Vertrauensverlusten geführt. Welche wirtschaftlichen oder innenpolitischen Faktoren in den USA könnten diese aggressive Zollpolitik motiviert haben?
Samuel S. Weber: Es ist unbestreitbar, dass ein weltweiter Vertrauensverlust gegenüber den USA negative Folgen hat. Bedauerlicherweise hat dieser Abbau des nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Vertrauens bereits vor der Präsidentschaft von Donald Trump begonnen und sich während seiner Amtszeit noch verstärkt. Diese Entwicklung war für viele, die traditionell eine positive Sicht auf die USA hatten, schmerzlich zu beobachten. Sie wirft wichtige Fragen nach den Ursachen auf.
Die Gründe für Trumps Handlungen scheinen vielfältig zu sein und sind schwer zu durchschauen. Sie könnten eine Mischung aus Überheblichkeit, Inkompetenz, spontanen Reaktionen, persönlichen Vorlieben sowie innenpolitischen Einflüssen und Machtkämpfen sein. Es ist aber auch möglich, dass es rationalere Gründe für sein Vorgehen gibt, wie einige Experten/innen argumentieren. Die tatsächlichen Beweggründe bleiben für viele von uns schwer oder sogar unmöglich zu verstehen.
Xecutives.net: Moral, Fairness und Vertrauen scheinen in der aktuellen globalen Dynamik an Bedeutung zu verlieren. Sehen Sie das Modell der Demokratie, wie wir es kennen, in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sicherheitspolitischer Hinsicht gefährdet?
Samuel S. Weber: Die globale Komplexität unterstreicht die essenzielle Rolle einer kompetenten politischen Führung für jedes Land. Die Frage, ob die Demokratie das optimalste System zur Auswahl dieser Führungseliten darstellt, bleibt diskussionswürdig. Dabei möchte ich die zahlreichen Vorzüge demokratischer Systeme keineswegs schmälern. Empirische Beobachtungen legen nahe, dass Bürger in Demokratien tendenziell über mehr Wohlstand verfügen, ein höheres Mass an Glück und Freiheit empfinden und eine bessere Bildung geniessen. Als Schweizer Bürger schätze ich insbesondere die direktdemokratischen Elemente unseres politischen Systems, die ausgeprägte intellektuelle Offenheit, die Gewährleistung von Meinungs- und Ideologiefreiheit sowie den Fokus auf pragmatische Lösungsansätze.
Dennoch legen Beispiele wie Singapur und China alternative Modelle nahe, die sich als funktionsfähig erwiesen haben und möglicherweise sogar besser geeignet sind, um spezifische nationale Herausforderungen zu bewältigen. Gut möglich, dass der heutige Wohlstand dieser beiden Länder in einer demokratischen Organisationsform kaum in gleichem Masse erreicht worden wäre. Meiner Analyse zufolge waren die spezifische Natur der zu bewältigenden Probleme sowie die aussergewöhnliche Kompetenz der jeweiligen politischen Führungspersönlichkeiten entscheidende Faktoren für den beeindruckenden Fortschritt, der in den vergangenen Jahrzehnten innerhalb dieser nicht-demokratischen Systeme erzielt wurde.
Xecutives.net: Die Schweiz hat stark vom Freihandel profitiert und ist in vielen Bereichen Exportweltmeister. Mit welchen wirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Herausforderungen muss die Schweiz angesichts der globalen Unsicherheiten rechnen?
Samuel S. Weber: Die Schweiz hat sich einen bemerkenswerten Wohlstand erarbeitet, doch dieser Erfolg birgt die Gefahr der Bequemlichkeit. Der mit Wohlstand einhergehende Verantwortungsaspekt wird oft nicht ausreichend wahrgenommen. Die Verlockung, den hohen Lebensstandard als gegeben anzunehmen, ist gross. Wertschöpfung erfordert Anstrengung, insbesondere in einem Hochlohnland wie der Schweiz. Wir müssen technologisch führend bleiben, um unseren Wohlstand und Konsum durch Exporte zu sichern. Der “Export” von Geld ins Ausland als Alternative ist keine nachhaltige Lösung, wie man am Beispiel der USA sieht. Eine Wertentwicklung des Schweizer Frankens wie die des US-Dollars würde dem Schweizer Finanzplatz erheblich schaden.
Xecutives.net: Der Unternehmer Prof. Dr. h.c. mult. Reinhold Würth wollte im Interview mit Xecutives.net der Schweiz keine Ratschläge zur EU erteilen. Zum Alleingang der Schweiz in der EU meinte er lediglich, dass «die Macht des Faktischen» zukünftige Entscheidungen der Schweizer Bürger beeinflussen werde. Ein solcher Moment scheint sich zurzeit einzustellen. Was spricht wirtschafts- und ökonomisch gesehen für eine Annäherung an die EU, vielleicht gar für einen Beitritt zur EU, und was möglicherweise nicht?
Samuel S. Weber: Reinhold Würth ist eine beeindruckende Persönlichkeit, deren Einschätzung ich respektiere. Der “Macht des Faktischen” stelle ich die “Macht des Kreativen” entgegen. Neue Lösungen zu kreieren, wird auch im Umgang mit der EU eine zentrale Rolle spielen. Die EU hat natürlich ein Interesse daran, die wohlhabende Schweiz zu integrieren, aber das ist nicht im Sinne unseres Landes.
Ich bin froh, dass die Schweiz kein Teil der EU ist, da der Regulierungs- und Transfercharakter der Europäischen Union unseren Wohlstand schmälern würde, ohne für die EU als Ganzes signifikant zu sein. Angesichts dessen bleibe ich skeptisch, ob die EU den notwendigen Reformwillen aufbringen wird, um einen Beitritt für die Schweiz in Zukunft attraktiv zu gestalten. Die jüngsten Bemühungen in Deutschland geben zwar Anlass zur Hoffnung, doch die Regierungsqualität der vergangenen Jahre hat mich schockiert und nachhaltig das Vertrauen in die deutsche Politik erschüttert. Diese Besorgnis teile ich mit vielen anderen.
Xecutives.net: Professor Würth prognostizierte, dass China in den kommenden Jahren zur wirtschaftlichen Weltmacht aufsteigen und die USA zurückfallen werde. Welche finanzpolitischen und finanzwirtschaftlichen Gründe sehen Sie für einen möglichen Rückfall der USA? Ist dies ausschliesslich externen Faktoren geschuldet?
Samuel S. Weber: Obwohl man die Resilienz der USA nicht unterschätzen sollte, deutet alleine schon die einfache Arithmetik auf eine Machtverschiebung hin zu China. Sobald Chinas Pro-Kopf-BIP die Hälfte des US-Niveaus erreicht, wird seine Gesamtwirtschaft doppelt so stark sein.
Die Kombination aus chinesischem Fleiss, zunehmender Innovationsfähigkeit und einer bemerkenswerten Anpassung an den Kapitalismus lässt erwarten, dass der chinesische Wohlstand den amerikanischen über kurz oder lang übertreffen wird – zunächst gesamt, dann pro Kopf. Dieser Weg mag steinig sein, doch die zugrunde liegende Fortschrittsdynamik ist evident.
Xecutives.net: In den USA wird die aktuelle Lage oft China angelastet. Ist dies ein reiner Vorwand, oder trägt China tatsächlich aktiv zu einer Schwächung der USA bei?
Samuel S. Weber: Meine Sicht auf China weicht von der vieler westlicher Experten/innen ab. Seit Jahren beobachte ich seine Entwicklung mit grossem Respekt. Die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung, die Funktionalität des Systems und der kontinuierliche Wohlstandszuwachs sind beeindruckend. Dass diese Einschätzung im Westen auf wenig Gegenliebe stösst, offenbart meiner Meinung nach mehr über unsere eigenen Vorstellungen als über die Realität in China.
Ich sehe keine Anzeichen für eine aktive Schädigungsabsicht Chinas gegenüber den USA. Der dynamische Aufstieg eines so bevölkerungsreichen Landes stellt etablierte Mächte naturgemäss vor Herausforderungen, und der damit einhergehende wachsende Einfluss mag nicht überall auf Zustimmung stossen. Diese Aspekte sind jedoch lösbar. Die Annahme, eine Welt mit einem wirtschaftlich schwachen China wäre wünschenswerter oder einfacher zu handhaben, erscheint mir unbegründet. Vielmehr ist Fortschritt der anzustrebende Zustand, da er die notwendigen Voraussetzungen schafft, um neu auftretende Probleme zu bewältigen.

Xecutives.net: Viele Experten- und Medieneinschätzungen der letzten Jahre haben sich als falsch erwiesen. Worin unterscheiden sich der von demokratischen Politikern eingeschlagene Weg und der von Trumps MAGA-Bewegung verfolgte Ansatz in finanzpolitischer und finanzwirtschaftlicher Hinsicht?
Samuel S. Weber: Als Finanzexperte bewege ich mich ausserhalb meiner Kernkompetenzen, wenn ich politische Analysen anstelle. Dennoch möchte ich festhalten, dass die Kategorisierung von Donald Trumps Vorgehen als per se antidemokratisch problematisch erscheint, da er durch demokratische Wahlen legitimiert wurde. Ein ähnliches Dilemma begegnet uns in der Debatte um den Aufstieg der AfD in Deutschland. Hier offenbart sich das fundamentale Paradoxon der Demokratie: Wie geht man damit um, wenn eine demokratische Mehrheit beginnt, die Grundlagen der Demokratie infrage zu stellen? Auf diese zentrale Frage habe ich, wie viele andere, keine abschliessende Antwort. Ich kann nur sagen, dass mich die wachsende Spaltung innerhalb diverser Gesellschaften besorgt.
Xecutives.net: Die Zolldiskussionen führen in vielen Ländern zu Unsicherheit, auch in der Schweiz. Welche konkreten Gefahren drohen der Schweiz, wenn diese Zölle nicht verhindert werden können und die Märkte instabil bleiben?
Samuel S. Weber: In einem globalen Handelskrieg wird es keine Gewinner geben. Präsident Trump wird die Zölle entweder aufheben müssen oder für einen erheblichen Wohlstandsverlust verantwortlich sein. Andererseits könnte die durch sein erratisches Verhalten ausgelöste Schocktherapie auch positive Effekte haben, u.a. indem sie Europa und die Schweiz dazu zwingt, ihre Abhängigkeiten zu überdenken und mehr für ihren eigenen Wohlstand zu tun. Die teilweise kontraproduktive Beeinflussung der EU und Schweiz durch die USA war lange Zeit besorgniserregend.
In Bezug auf die Schweiz sehe ich die grösste Gefahr in der Asymmetrie der Grösse gegenüber den USA. Es besteht das Risiko, dass Trump die Schweiz aufgrund ihrer relativen Kleinheit weniger ernst nimmt und sie daher gezwungen sein könnte, ein schlechteres Verhandlungsergebnis zu akzeptieren. Trumps berüchtigter Verhandlungsinstinkt ist darauf ausgerichtet, das Maximum herauszuholen, und dies verstärkt sich tendenziell, je grösser das Ungleichgewicht der Verhandlungspartner ist. Auf der anderen Seite ist die Schweiz ein bedeutender Kapitalgeber für die USA und zählt zu den Top 10 der Länder mit den höchsten ausländischen Direktinvestitionen. Dieser wirtschaftliche Fussabdruck sollte der Schweiz in zukünftigen Gesprächen eine gewisse Verhandlungsposition verschaffen.
Xecutives.net: Herr Weber, was wünschen Sie der Welt und der Schweiz für die kommenden Jahre? Welche Weichen müssen aus Ihrer Sicht als Finanz- und Wirtschaftsspezialist gestellt werden, um ein friedliches Miteinander in der Zukunft zu ermöglichen?
Samuel S. Weber: Als Vater liegt mir am Herzen, dass die Schweiz ihren gegenwärtigen Wohlstand nicht als gegeben betrachtet, sondern sich der Notwendigkeit kontinuierlicher Anstrengung bewusst ist. Weltweit sind konsequente Problemlösung, fortlaufender Erkenntnisgewinn und nachhaltige Wertschöpfung unerlässlich. In einer Welt, die von der Tendenz zur Entropie geprägt ist, kann einmal Erreichtes rasch wieder verloren gehen. Auch wenn wir in der Schweiz ein privilegiertes Leben führen, dürfen wir uns nicht in Sicherheit wiegen. Der Erhalt dieses Wohlstands erfordert täglichen Einsatz und harte Arbeit, damit wir ihn nicht leichtfertig verspielen. Darauf muss unser Fokus liegen. Leider liegt er oft woanders, und viele Leute, die sich über die von mir geschilderten Sachzwänge nicht bewusst sind, versuchen, die Welt aus der Schweiz heraus zu retten; eine bedauerliche Fehlallokation begrenzter Ressourcen.
Xecutives.net: Herr Weber, ich bedanke mich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben und ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute und viel Erfolg!
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