Portrait Thomas H. Zurbuchen_NASA_im Xecutives.net-Interview
Thomas H. Zurbuchen im Interview mit Xecutives.net

Prof. Dr. Thomas H. Zurbuchen ist seit 2016 als Associate Administrator für das Science Mission Directorate bei der National Aeronautics and Space Administration (NASA) tätig und gehört damit zu den weltweit einflussreichsten Wissenschaftlern. Der promovierte Astrophysiker stammt aus Heiligenschwendi oberhalb des Thunersees, bekannt auch wegen seines Tuberkulose-Sanatoriums, das dort 1895 entstanden ist. Zurbuchen ist nach wie vor mit der Schweiz verbunden, lebt und arbeitet aber schon seit Abschluss seines Studiums in Bern in den USA. Seine Herkunft und auch seine militärische Karriere haben Thomas H. Zurbuchen sehr geprägt. Schon als Kind hat Thomas H. Zurbuchen mit Sternenkarten den klaren Himmel mit seinen Gestirnen beobachtet und er setzte sich mit der Natur auseinander, die im Berner Oberland viel zu bieten hat. Seine Erfahrungen aus der Schweiz, gerade auch im Umgang mit Ingenieuren und ihrer Arbeit, halfen ihm, in den USA schon nach kürzester Zeit grosse technische Innovationsprojekte führen zu können, die ihn schliesslich zur NASA führten. Thomas Zurbuchen wurde 2018 für seine Errungenschaften auf dem Gebiet der Weltraumforschung von der Universität Bern der Greinacher-Preis (genannt nach dem Berner Physiker Heinrich Greinacher) verliehen.
Im Interview mit Xecutives.net spricht Thomas H. Zurbuchen über seine Wurzeln in der Schweiz. Er stellt fest, dass das schweizerische Schulsystem mit der Möglichkeit eine Berufslehre zu absolvieren, eine Besonderheit darstellt, die für die Schweiz sehr wichtig ist und er erklärt, warum die Schweiz in internationalen Projekten und Gremien sehr gut vertreten ist. Er macht darauf aufmerksam, dass diese Leistung eines kleinen Landes auch dadurch zu erklären ist, dass es den Schweizerinnen und Schweizern immer gelungen ist, sich zu verständigen und anderen zuzuhören. Er bemängelt, dass Forschende es oft nicht verstehen, ihre Arbeit verständlich auszudrücken und setzt sich für einen guten Dreiklang in Bezug auf Lehre, Forschung und Innovation ein. Thomas H. Zurbuchen zeigt im Interview auf, wie er führt und er geht auf technische Fragen rund um die Erforschung unseres Universums ein, auch auf die Grundlagenforschung am CERN in Genf.

(Read the interview in English)

Xecutives.net: Herr Zurbuchen, Sie kommen aus der Schweiz, aus Heiligenschwendi, einem alten Dorf mit keltischen und alemannischen Wurzeln oberhalb des Thunersees, wo 1895 ein Tuberkulose-Sanatorium eröffnet wurde. Schwendi und Heiligenschwendi wurden damals durch diese Heilstätte weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt, was auch einen grossen Einfluss auf den Schweizer Tourismus hatte. Was verbindet Sie heute, auch emotional, noch mit diesem Ort?

Thomas H. Zurbuchen: Ich bin in Heiligenschwendi aufgewachsen und meine Geschichte ist sehr von diesem Dorf und der Voralpenregion in der Schweiz geprägt. Ich bin sehr naturverbunden aufgewachsen und pflege nach wie vor Kontakt mit der Schweiz. Ich pflege immer noch viele Freundschaften in der Schweiz. Das Dorfleben, das ich als Jugendlicher erlebt habe, hat auch meine Art und Weise, wie ich mit Menschen umgehe beeinflusst.

Xecutives.net: Haben Sie als Kind die Sterne angeschaut in Heiligenschwendi? Hatten Sie schon damals Freude am All und dem klaren Sternenhimmel in Heiligenschwendi, einem Ort, den man auch heute noch eine ausgezeichnete Luftqualität attestiert?

Panorama Stadt Thun am Thunersee mit Alpen – wo Thomas H. Zurbuchen (Associate Administrator NASA) aufwuchs
Panorama der Stadt Thun am Thunersee, mit den Berner Alpen

Thomas H. Zurbuchen: Ja, ich habe diesen Sternenhimmel oft angeschaut. In diesem Gebiet der Voralpen ist es sehr einfach, die Natur zu beobachten. Die Natur ist sehr schön und vielfältig und insbesondere die Geologie ist in den Voralpen sehr interessant. Es war abends und nachts immer sehr dunkel, da es weitherum keine grösseren Städte gibt und da war der Blick in die Sterne natürlich wunderbar. Diese Natur und der Sternenhimmel haben mich sehr geprägt, schon als Kind. Ich habe damals schon Sternenkarten gelesen und mich auch auf diese Weise mit den Gestirnen auseinandergesetzt.

Xecutives.net: Seit 2016 sind Sie als Associate Administrator für das Science Mission Directorate bei der National Aeronautics and Space Administration (NASA) tätig. Wie kam es dazu, dass Sie als Schweizer in diese prestigeträchtige und wichtige Position bei der NASA berufen wurden?

Thomas H. Zurbuchen: Ich bin zwar an einem abgelegenen Ort aufgewachsen, jedoch war das Schulsystem in der Schweiz sehr gut und es ist heute sogar noch besser. Ich habe die normalen Schulen durchlaufen und ging später in Thun ans Gymnasium, von dort an die Universität Bern. Der Entscheid nach Bern zu gehen war rein geografischer Natur. Es war die nächste Universität. Dort bekam ich alle Unterstützung, die ich brauchte. Ich hatte sehr gute Professoren und schnell auch sehr viele gute Apparatebauer und Instrumentenbauer um mich. Es handelte sich um viele Spezialistinnen und Spezialisten, die in der Schweiz eine Lehre gemacht hatten und sehr praxisbezogen arbeiteten. Viele dieser Ingenieure hatten nicht an der Universität studiert, jedoch ausgezeichnete Ingenieursarbeit geleistet, von der ich viel habe profitieren können als Student. Gleichzeitig habe ich eine militärische Karriere eingeschlagen und wurde Oberleutnant der Schweizer Armee. Im Militär habe ich schon sehr früh gelernt, Menschen zu führen, Menschen die aus verschiedensten sozialen Schichten kamen, einige aus grossen Städten, andere aus kleinen Dörfern, und alle hatten verschiedenste Berufe und verschiedenste Ansichten, was das Führen sehr anspruchsvoll machte. Mit 21 hatte ich bereits 10 Personen, für die ich zuständig war, mit 22 waren es bereits 20 und später 150 Menschen, die ich führen durfte.
Die Herausforderung bestand darin, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die man nicht selber ausgewählt hat und die nicht so waren wie ich. Diese Zusammenarbeit war ein Geschenk, das damals noch nicht so offensichtlich war für mich. Später haben mir diese Erfahrungen auf meinem beruflichen Weg in den USA sehr weitergeholfen. Die Führungsaufgaben, mit denen ich in den USA nach meinem Studium schon bald betraut worden war, fielen mir leichter als anderen Experten. Ich wusste, wie ich mich verhalte, wenn ich unter Druck stehe, ich wusste aber auch, wie sich andere Menschen verhalten, wenn sie unter Stress stehen. Auch wusste ich, wie man Menschen motivieren kann, eine gute Leistung zu erbringen.

Xecutives.net: Sie sind nach dem Studium in die USA gezogen, wo Sie auch heute noch leben und sie haben auch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten. Wie kam es überhaupt zum Entscheid, in die USA zu gehen?

Thomas H. Zurbuchen: Ich ging zunächst mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds in die USA, mit der Absicht dort ein Jahr zu verbringen und Englisch zu lernen. Schon in der zweiten Woche in den USA konnte ich meinen damaligen Chef davon überzeugen, mich zwei Jahre in den USA arbeiten zu lassen. Ich hatte mich mit vielen Menschen vorgängig über einen solchen Aufenthalt in den USA ausgetauscht. Viele hatten mit solchen Aufenthalten sehr schlechte Erfahrungen gemacht, andere sehr gut Erfahrungen. Diejenigen, die schlechte Erfahrungen gemacht hatten, waren oft auch Menschen, denen es schwerfiel, die Schweiz zu verlassen. Oder sie haben an Orten gearbeitet, wo sie keine Unterstützung bekamen. Sehr schnell war damals somit klar, dass ich auch ein zweites Jahr in den USA bleiben würde. Ich forschte in den USA zusammen mit meinen Professoren und entwickelte und baute neue Raum Instrumente für die NASA. Dabei waren die Erfahrungen aus der Universität in der Schweiz mit den vielen Ingenieuren natürlich sehr vorteilhaft. Ich konnte mein ganzes Wissen sehr schnell einbringen und habe schon früh bis zu 40 Experten in Projekten geführt. In meiner Zeit als Professor hatte ich auch rund 20 Doktoranden ausgebildet und habe diese Doktoranden auch unterstützt bei ihren Karrieren in der Privatwirtschaft aber auch an Universitäten und anderen Forschungsinstitutionen.
Die Mischung zwischen Forschung und den Ingenieurtätigkeiten an der University of Michigan kann mit den Forschungsarbeiten an einer ETH in Zürich verglichen werden. Wissenschaftliche Forschung und Technische Forschung und Praxis gehen dort Hand in Hand. Auch habe ich früh angefangen, Ingenieure zu unterrichten. Das war für mich sehr spannend, da ich einerseits die wissenschaftliche Sprache beherrschte aber eben auch schnell in die Sprache der Ingenieure umschalten konnte. Beide Welten waren mir sehr vertraut. Bei Vorlesungen an der Universität habe ich die theoretischen Themen, die man an Vorlesungen vermittelt bekommt zeitlich um zwei Drittel reduziert und diese zwei Drittel der Zeit für Praktika aufgewendet, von denen die Studierenden viel profitieren konnten. Ich habe viele Projekte auch für die Privatwirtschaft geleitet, auch war ich bspw. für Google tätig. Es war schliesslich diese Innovationsarbeit, gepaart mit Lehre und Forschung, die mich zur NASA geführt hat.

Xecutives.net: Was unterscheidet die Schweiz von den USA in Bezug auf Forschung und Hochschulbetrieb? Ich frage das, weil Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, der deutsche Forschungsminister unter Helmut Kohl, in Gesprächen darauf hingewiesen hat, dass in Deutschland laut einer Umfrage mehr als 65 % der Studenten eine Beamtenkarriere anstreben, was wohl auf ein übertriebenes Sicherheitsempfinden zurückzuführen ist und/oder auf fehlende Stellen, während sich die Studenten in den USA eindeutig zur Privatwirtschaft hingezogen fühlen und Unternehmen gründen möchten. Sie sind also viel risikofreudiger. Ticken die Amerikaner wirklich so anders als wir Europäer? Was können wir von der individualistischen Ausprägung ihrer Träume und Sehnsüchte lernen?

Thomas H. Zurbuchen: Man muss natürlich immer unterscheiden, um welche Studenten es genau geht. Es gibt hier wie dort enorm motivierte und gute Forschende. Aber es ist sicher so, dass es in den USA anders läuft als in Europa. Man muss zwischen Doktoranden, die grosse Forschungsarbeiten machen und das Ziel haben, Professor zu werden und Forschern, die es mehr in die Privatindustrie zieht, unterscheiden. Viele Doktoranden wollen Professor werden, oder auch sogenannte «Civil Servants» in Forschungsinstituten. Die meisten jedoch, die mit einem Master- oder Bachelor-Titel abschliessen zieht es in den USA in den Privatsektor, der in den USA viel zu bieten hat und sich um diese Forscher kümmert. Wir haben in den USA sehr viele offenen Stellen, die diesen Spezialisten grosse Chancen bieten. Wir haben in den nächsten Jahren wohl eine Million Jobs, die nicht besetzt werden können, weil zu wenig Spezialisten auf dem Markt sind oder ausgebildet werden. Unser Problem in den USA ist somit das Gegenteilige, zu dem, was Ihnen Prof. Heinz Riesenhuber gesagt hat. Es ist hier also nicht so, dass die jungen Spezialisten mit ihren Diplomen anstehen müssen, damit sie einen Job bekommen, möglicherweise in einer Behörde. Die jungen Menschen haben hier grad auch in der Privatindustrie eine grosse Auswahl an Möglichkeiten und die meisten zieht es tatsächlich in den Privatsektor.

Ich mache mir manchmal sorgen über die Ausbildung von Doktorandinnen und Doktoranden. Ich fürchte, dass viele dieser Studierenden auch hier in den USA fast schon überausgebildet und darum weniger innovativ sind. Es fehlt ihnen oft das praktische Element in der Ausbildung und der Kontakt zur Welt. Ich würde das beschreiben wie Goldgräber, die tief unten in ihren Gräben, weg von der Gesellschaft, ihr Gold graben. Das hat zur Folge, dass diese Forscher nicht richtig lernen, mit anderen Leuten zu sprechen und sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Sie benutzen manchmal eine Forschersprache, die andere nicht verstehen, was bei komplexen Projekten natürlich nicht förderlich ist. Das kann auch zu einem Vertrauensbruch zwischen der Wissenschaft und der Welt, also der Gesellschaft, führen, dann, wenn sie die Sprache der Wissenschaft nicht mehr versteht. Das halte ich in unserer Zeit für ein signifikantes Problem und hier gilt es Gegensteuer zu geben. Man muss als Wissenschaftler eine klare Sprache beherrschen, die jeder versteht. Im Militärdienst und bei meiner Erziehung auf dem Land, habe ich gelernt, dass es nicht wichtig ist, ob ich einen Professorentitel habe und der andere nicht. Wichtig ist, dass man zusammen tolle Projekte vorantreiben kann. Da braucht es alle Menschen, solche mit und solche ohne Titel, Menschen mit vielen Karrierehintergründen. Kurzum, es geht um Respekt und eben um Verständnis auch für andere.

Xecutives.net: Viele Wissenschafter benutzen tatsächlich eine schwierige Sprache, was es Laien nicht einfach macht, sie zu verstehen. Aber hat nicht Einstein schon gesagt, dass auch ein Wissenschafter sehr komplexe Sachverhalte einfach vermitteln können müsse, sonst habe er diese Sachverhalte eben nicht verstanden?!

Thomas H. Zurbuchen: Das ist ein grosser und wichtiger Punkt. Die Wissenschaft war eigentlich immer daran interessiert, komplizierte Sachen einfach zu erklären. Hört man gewissen Wissenschaftlern zu, hat man aber tatsächlich nicht selten den Eindruck, dass sie einfache Sachen zu kompliziert erklären. Das kann aber nicht das Ziel der Wissenschaft sein und darum liegt Einstein mit seiner Aussage natürlich völlig richtig. Das entspricht genau meiner Erfahrung. Wenn mir jemand in Bezug auf eine wichtige Mission Dinge erklärt, die ich nicht verstehe, dann muss ich kritische Fragen stellen. Ich muss dann fragen, warum man mir das nicht so erklären kann, dass ich und andere Experten es auch verstehen. Ich muss somit hin und wieder Präsentationen zurückweisen oder abbrechen, dann eben, wenn jemand seinen Job nicht richtig macht, indem er Dinge nicht auf den Punkt bringen kann. Das hat nichts damit zu tun, dass diese Experten nicht gescheit oder dumm wären. Es ist unser Job, auch innerhalb der NASA, schwierige Sachverhalte und Erkenntnisse auch Laien erklären zu können.

Xecutives.net: Die NASA gibt es seit 1958, aber die Menschen waren schon immer vom Universum fasziniert; vom Weltraum selbst. Die Babylonier leisteten grosse Beiträge zur Erforschung unseres Sonnensystems, wie gefundene Keilschriftdokumente schön zeigen. Sie leisteten auch Vorarbeit für Hipparchus und Ptolemäus sowie für die Ägypter, Inder, Griechen und Chinesen. Heute stehen ganz andere Techniken zur Verfügung, um zu forschen. Woran arbeiten Sie heute in Ihren Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, und welche Erkenntnisse möchten Sie gewinnen, die für die NASA und ihre Programme wichtig sind?

Thomas H. Zurbuchen: Wir versuchen, das Wissen über uns selbst, unseren Planeten und unser Universum in vielerlei Hinsicht zu erweitern. Vom Verstehen der Prozesse und Veränderungen auf unserem Planeten und dem Teilen dieses Wissens mit Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, bis hin zur Erforschung unseres Sonnensystems und dem Blick darüber hinaus – wir verändern und erweitern unseren Wissensbestand ständig.

Wir arbeiten an vielen Dingen, um die Wissenschaft, die Technologie, die Raumfahrt und die menschliche Erforschung voranzutreiben. Unsere Direktorate arbeiten zusammen wie nie zuvor. In naher Zukunft können Sie das an unserem Ingenuity-Mars-Hubschrauber sehen, der einige der Fachkenntnisse unseres Raumfahrtprogramms nutzt, an unserem Vorstoss zur Entwicklung neuer Technologien, die wissenschaftliche Missionen voranbringen, und an dem allgemeinen Nutzen, den dies auch für menschliche Missionen zum Mars haben könnte.
Der Perseverance-Rover, der Ingenuity zum Mars gebracht hat, ist unser anspruchsvollster Rover aller Zeiten. Er wird nach Anzeichen von altem Leben suchen und den Prozess der Rückführung von Mars-Proben beginnen, indem wir Proben auf der Oberfläche auswählen und zwischenlagern. Diese aufregende Kampagne – die erste Rundreise zu einem anderen Planeten – ist eines der ehrgeizigsten Vorhaben, das die Menschheit je unternommen hat.
Das James-Webb-Weltraumteleskop, das noch in diesem Jahr starten soll, ist das grösste und ehrgeizigste Observatorium, das wir je in Betrieb genommen haben, und es mussten neue Technologien entwickelt werden, damit es funktioniert. Es ist so gross, dass es zum Start zusammengefaltet werden muss und Hunderte von Komponenten müssen sich im Weltraum entfalten, damit es richtig funktioniert. Wenn es seinen Beobachtungspunkt eine Million Meilen von der Erde entfernt erreicht, wird es das Licht unserer ersten Galaxien betrachten, eine Zeitspanne, die kaum zu begreifen ist, und es wird auch die Atmosphären von Welten in anderen Sonnensystemen sehen.

Die Forschung und Entwicklung für erstaunliche neue Missionen sind bei der NASA also lebendig und gut.

Thomas H. Zurbuchen neben dem Mars Perseverance Rover bei der NASA
Herr Zurbuchen neben dem Mars Rover

Xecutives.net: Erich von Däniken, von dem ich Sie herzlich grüssen darf, hat mit seinen Büchern ein Millionenpublikum erreicht und ist einem Millionenpublikum bekannt, ebenso wie den Zuschauern der Serie Ancient Aliens in den USA. Von Däniken lebt nicht weit von Heiligenschwendi entfernt. Ich möchte auch Carl Sagan erwähnen, der sich nicht nur mit Science-Fiction, sondern auch mit seinen astrophysikalischen Studien einen Namen gemacht hat. Was treibt Ihrer Meinung nach die Menschheit ins All, so dass wir auch den Mars „erobern“ wollen und von ausserirdischem Leben träumen? Was treibt auch die Wissenschaftler und Ingenieure der NASA an, in den Kosmos zu blicken?

Thomas H. Zurbuchen: Es gibt niemanden, der nicht Ehrfurcht empfindet, wenn er in den Nachthimmel starrt. Der Weltraum bringt uns dazu, über die grossen Fragen nachzudenken, und unsere Arbeit hilft uns, die Grenzen des Wissens zu erweitern, was neue Fragen und neue Untersuchungen antreibt. Es ist ein nie endender Prozess und wir hoffen, dass wir die jungen Führungskräfte von morgen dazu inspirieren, uns zu folgen, damit sie ihre eigenen grossen Sprünge in den Kosmos machen.

Xecutives.net: Es gibt mathematische Formeln und Algorithmen, wie die berühmte Drake-Gleichung, die versuchen, die Wahrscheinlichkeit von Leben auf anderen Planeten zu beweisen. Viele glauben, dass es solch ausserirdisches Leben gibt, nur stellt sich meiner Meinung nach die Frage, ob dieses Leben auf anderen Planeten jetzt stattfindet oder schon Vergangenheit ist. Dann ist die Entfernung zu diesen „alternativen Lebensformen“ oder „ausserirdischen Spezies“ in Lichtjahren ein grosses Problem. Selbst wenn wir wüssten, wo sich Ausserirdische in unserer Galaxie tatsächlich aufhalten könnten, wären wir nicht in der Lage, sie zu kontaktieren. Wie geht die NASA mit diesem Thema um? Ist es eher ein Nischenthema? Oder ist es auch ein grosses Marketinginstrument, um das Interesse der Politik und der Bevölkerung zu gewinnen?

Thomas H. Zurbuchen: Die Suche nach Leben anderswo ist Teil vieler NASA-Missionen. Die Astrobiologie ist das Gebiet, welches diese Suche umfasst, sowie die Untersuchung dessen, was für die Entstehung von Leben notwendig ist. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass der Mars einst bewohnbar gewesen sein könnte und die Rückführung von Proben von dort könnte uns den endgültigen Beweis liefern, dass dort mikrobielles Leben existiert haben könnte.
Es gibt andere Ziele in unserem Sonnensystem, wie zum Beispiel Enceladus und Titan, wo wir ebenfalls nach den Bausteinen des Lebens oder dem Leben selbst suchen. Und während wir mit Webb und anderen Observatorien in andere Sonnensysteme blicken, lernen wir mehr über die dortigen Planeten und ob sie sich wie die Erde in der „bewohnbaren Zone“ um ihren Stern befinden und ob ihre Atmosphären die Signaturen aufweisen, die auf Leben hinweisen könnten.

NGC 7293: grösster planetarischer Nebel am Himmel, Sternbild Wassermann, Helixnebel genannt, Überrest einer Sternexplosion (Supernova) am Ende des Sternenlebens; aufgenommen 2014 in Namibia mit 40cm Spiegelteleskop mit 2.4m Brennweite, RGB ca. 4h Gesamtbelichtungszeit. Entfernung «nur» ca. 700 Lichtjahre (Foto: Marcel Süssli).
NGC 7293, grösster planetarischer Nebel am Himmel, Helixnebel genannt, Sternbild Wassermann. Überrest einer Sternexplosion (Supernova) am Ende des Sternenlebens (Foto mit freundlicher Genehmigung von Marcel Süssli)

Xecutives.net: Es gibt einige Schweizer, die in der Mathematik, Astronomie und Astrophysik Grosses geleistet haben. Ich denke an Daniel Bernoulli und Leonhard Euler, die wichtige mathematische Grundlagen gelegt haben, oder Jost Bürgi und Albert Einstein, aber auch Fritz Zwicky, der sich schon früh mit der „dunklen Materie“ beschäftigt hat. Oder Claude Nicollier, der Astronaut wurde, und die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz, die kürzlich den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung des ersten Exoplaneten um einen sonnenähnlichen Stern erhalten haben. Welche Rolle spielt die Schweiz heute in der Weltraumforschung? Wo sehen Sie Potenzial für die Schweiz, wenn es um Weltraumforschung und -entwicklung geht, auch in Bezug auf Universitäten und Fachhochschulen sowie Unternehmen?

Thomas H. Zurbuchen: Was ich nun sage, beruht auf meinen wenigen beruflichen Erfahrungen in der Schweiz. Ich bin bald nach dem Studium in die USA gegangen und in den USA geblieben. Würde mich ein Bundesrat, eine Bundesrätin oder eine Person aus dem Staatssekretariat jedoch fragen, was die Schweiz tun kann, um wichtiger zu werden, um sich mehr einbringen zu können, würde ich diesen Personen zuerst ein grosses Kompliment aussprechen. Die Schweiz ist bereits in vielen wichtigen Gremien, gar überproportional, vertreten. Das hat sicher damit zu tun, dass die Schweiz als verbundene Nation gelernt hat, miteinander umzugehen und gemeinsame Lösungen zu finden. Das ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem 4 offizielle Sprachen gesprochen werden und Menschen verschiedener Kulturen wohnen. Wir haben davon gesprochen, dass es wichtig ist, andere zu verstehen. Die Schweizerinnen und Schweizer können andere verstehen. Sie wollen andere auch verstehen. Wir sehen das sehr schön, wenn man das Schweizer Schulsystem anschaut. Kinder lernen in der Schweiz in der Schule andere Landessprachen. Man soll sich untereinander verständigen können. Das Ausbildungswesen in der Schweiz ist dazu auf allen Stufen enorm gut. Die Schweiz hat das System der Berufslehre. Jeder kann einen Beruf erlernen, Praxiserfahrungen sammeln und sich später weiterentwickeln. Das ist einzigartig auf der Welt. Viele Länder kennen diese Berufslehren nicht und kämpfen leider oft mit Jugend Arbeitslosigkeit.
Und weiter, und das mag das Resultat der beiden anderen vorher genannten Punkte sein, ist ein grosser Respekt für das Handwerk. Die Schweiz hat es immer verstanden, qualitativ sehr hochwertige Leistungen zu erbringen, auch Handwerksleistungen. Die Schweizer sind es gewohnt hart und sauber zu arbeiten und sie wollen ihre Ziele erreichen. Das zeigen die vielen Unternehmen in der Schweiz, die auf höchstem Niveau Apparaturen, Maschinen und Anlagen bauen, selbst für die NASA. Diese Unternehmen profitieren auch von den stabilen Verhältnissen in der Schweiz. Das sind wichtige Aspekte, welche die Schweiz, obwohl ein sehr kleines Land, weit nach vorne gebracht haben.

Es lohnt sich ein Blick auf die Hundert besten Brands auf der Welt. Dort erscheinen etliche Firmen aus der Schweiz, aus gutem Grund. Somit bin ich, was die Schweiz anbelangt, sehr zuversichtlich.

Xecutives.net: PD Dr. Hans Peter Beck vom CERN hat sehr interessante Aussagen über das Higgs-Boson-Teilchen gemacht. Im Jahr 2012 wurde die Existenz dieses Elementarteilchens am Forschungszentrum CERN bestätigt. Wo spielen diese und viele andere Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung des CERN eine Rolle für die NASA?

Thomas H. Zurbuchen: Tatsache ist, dass die Natur zusammenhängt. Jedes Teilchen der Natur steht in einem Verhältnis zu den anderen Teilchen. Man darf sagen, dass das CERN das beste «Mikroskop» ist für die Erforschung der Elementarteilchen. Gerade in den letzten zwei Wochen sind neue Beobachtungsresultate aus dem CERN gemeldet worden. Diese neuen Erkenntnisse rund um Myonen, Elektronen und Leptonen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Erforschung unseres Universums. Es geht darum, herauszufinden, welche Teilchen es gibt und wie sie sich anderen Teilchen gegenüber verhalten. Diese Erkenntnisse helfen uns vielleicht bspw. festzustellen, wie sich das Universum ganz am Anfang der Zeit ausdehnt und wie es sich später abkühlt. Für diese Forschungsarbeiten auch innerhalb der NASA ist die Grundlagenforschung, so auch die Forschung vom CERN, sehr wichtig. Das Universum mit seiner Weite und die vom CERN erforschten Teilchen sind engst miteinander verbunden. Wenn sich nun auch diese neuen Erkenntnisse vom CERN bestätigen lassen, so hat das Konsequenzen, auch für die Erforschung des Universums.

Der "Globus der Wissenschaft und Innovation" am CERN, Europäische Organisation für Kernforschung, in Meyrin bei Genf, Schweiz (Bild-Quellenangabe: olrat - stock.adobe.com)
Der „Globus der Wissenschaft und Innovation“ am CERN, Europäische Organisation für Kernforschung
(Bild-Quellenangabe: olrat – stock.adobe.com)

Xecutives.net: Luca Parmitano und Andrew Morgan von der NASA führten mehrere Weltraumspaziergänge durch, um das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS-02) zu warten und zu reparieren, das am CERN von einem internationalen Team von Wissenschaftlern zusammengebaut worden war. Welche Daten liefert dieses AMS und was ist in Bezug auf die Teilchenphysik in den nächsten 10 Jahren zu erwarten?

Thomas H. Zurbuchen: Nach fast 10 Jahren an Bord der ISS hilft das AMS den Wissenschaftlern weiterhin bei der Untersuchung von Teilchen der kosmischen Strahlung, die im Universum unterwegs sind. Hunderte von Wissenschaftlern aus 16 Ländern analysieren die Daten, in der Hoffnung herauszufinden, woraus das Universum besteht und wie es entstanden ist. Sie suchen nach Hinweisen auf den Ursprung der dunklen Materie, einer unsichtbaren Materie, die nicht direkt nachgewiesen, aber abgeleitet werden kann, sowie auf die Existenz von Antimaterie, die aus Elementarteilchen mit der entgegengesetzten Ladung der gewöhnlichen Materie besteht und die Wissenschaftler bisher nur selten beobachten konnten.

Xecutives.net: Die NASA arbeitet inzwischen auch mit bekannten Persönlichkeiten aus der Privatwirtschaft zusammen, wie zum Beispiel Elon Musk, der mit seiner Firma SpaceX Raketen baut und ins All schiesst. Was treibt diese Menschen an, sich auf diese Weise mit dem Weltraum zu beschäftigen? Ich stelle mir vor, dass diese ausserordentlich wohlhabenden, mächtig charismatischen Personen wie Elon Musk oder Jeff Bezos von Blue Origin sehr leidenschaftlich sind. Haben Sie das Gefühl, dass diese milliardenschweren Visionäre diese langfristigen Startup-Projekte im Sonnensystem nicht genauso behandeln wie jedes andere bedeutende Unternehmen, das auch eine lukrative Rolle in ihrem Geschäftsleben und Portfolio spielt?

Thomas H. Zurbuchen: Die NASA hat dazu beigetragen, die Arbeit des kommerziellen Sektors im Weltraum zu begründen und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unseren kommerziellen Partnern im expandierenden Unterfangen der Erforschung vom niedrigen Erdorbit bis zum Mond und Mars. Ihre Innovation und harte Arbeit haben dazu beigetragen, unsere Möglichkeiten zu erweitern.

Xecutives.net: Eine grosse Herausforderung für Raumfahrtforscher ist es, die Raumstation ISS auf Kurs zu halten. Sie muss ständig nachjustiert werden, um das Risiko auszuschliessen, dass sie aus der Umlaufbahn gerät und auf die Erde stürzt. Hier scheint Elon Musk mit seinem Unternehmen SpaceX einen grossen Beitrag zu leisten, indem er Raketen für diese Positionierung bereitstellt. Wie wird es mit der ISS in Zukunft weitergehen?

International Space Station ISS: Videosequenz von etwa 200 Bildern, davon ca. die besten 50 ausgewählt, 180mm Refraktor mit 6 m Brennweite, Montierung durch Eingabe der Bahndaten nachgeführt (Foto: Marcel Süssli).
International Space Station ISS (Foto mit freundlicher Genehmigung von Marcel Süssli)

Thomas H. Zurbuchen: Die ISS gehört zwar nicht zum Wissenschaftsportfolio, aber unsere Abteilung für biologische und physikalische Wissenschaften führt auf der Station viele Forschungen durch, die zur zukünftigen Erforschung beitragen – von der Frage, wie man Lebensmittel im Weltraum anbaut, über den Schutz der Astronauten vor Strahlung bis hin zur Frage, wie sich Materialien in der Mikrogravitationsumgebung verhalten. Wir freuen uns darauf, diese Plattform zu nutzen, um diese Forschung in den kommenden Jahren voranzutreiben.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Zurbuchen, ich bedanke mich herzlich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben und ich wünsche Ihnen sowie allen NASA-Mitarbeitenden weiterhin alles Gute und weitere interessante Erkenntnisse bei der Erforschung unseres Universums!


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