Klaus Endress

Klaus Endress

Klaus Endress, Jahrgang 1948, ist Verwaltungsratspräsident von Endress+Hauser, einem international führenden Unternehmen im Bereich der Mess- und Automatisierungstechnik. Die Firmengruppe mit Hauptsitz in Reinach BL erzielte im vergangenen Jahr 2,2 Milliarden Schweizer Franken Umsatz und zählt weltweit über 12’000 Mitarbeitende. Klaus Endress schloss sein Studium an der TU Berlin 1977 als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. Nach beruflichen Stationen in den USA trat er 1980 in Maulburg (D) in das Unternehmen seines Vaters Dr. h.c. Georg H. Endress ein, wo er das Geschäft von der Pike auf kennenlernte und „hands on“ sämtliche Stationen bis zum Geschäftsführer durchlief. 1995 übernahm er die Leitung der gesamten Firmengruppe. 2014 schliesslich wechselte er nach 19 Jahren als CEO in das Präsidium des Verwaltungsrats und übergab die operative Verantwortung an Matthias Altendorf. Klaus Endress gehört dem Unirat der Universität Basel an und ist neben zahlreichen anderen Engagements in seiner Wohngemeinde Reinach politisch aktiv. Eben wurde er in den Gemeinderat von Reinach gewählt. Klaus Endress gehört zu den wenigen Unternehmerpersönlichkeiten in der Schweiz, die sich immer wieder zu politisch und wirtschaftlich relevanten Themen öffentlich äussern und dabei eine eigene Meinung vertreten. Im Interview mit Christian Dueblin spricht Klaus Endress über seinen Werdegang, seinen Vater und seine Familie, gibt Einblick in seine Lebensphilosophie und beschreibt seine Einstellung zu Geld und Macht. Er erläutert, was wir von der Natur lernen können und welche Entwicklungen in Wirtschaft und Politik ihm Sorgen bereiten.

Dueblin: Sehr geehrter Herr Endress, Mark Twain sagte einmal: „Als ich 14 Jahr alt war, war mein Vater für mich so dumm, dass ich ihn kaum ertragen konnte. Aber als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wieviel der alte Mann in sieben Jahren dazu gelernt hatte.“ Sie stammen aus einer interessanten Unternehmerfamilie und sind mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Ihr Vater Georg H. Endress war erfolgreicher Unternehmer und ein Pionier auf vielen Gebieten. Er hat 1953 zusammen mit Ludwig Hauser den Grundstein des Unternehmens Endress+Hauser gelegt, das Sie 1995 übernehmen durften und sehr erfolgreich weiterentwickelt haben. Ihr ganzes Leben wurde von Endress+Hauser geprägt, und dabei spielte Ihr Vater eine bedeutende Rolle. Erkennen Sie sich im Zitat von Mark Twain wieder?

Klaus Endress: (Lacht) Im Gegensatz zu Twain bewunderte ich meinen Vater schon sehr früh und war der Meinung, dass er alles richtig und gut machte. Als ich 16 Jahre alt war, fragte mich mein Vater, ob ich seine Nachfolge antreten wollte. Ich hatte bereits einen Lehrvertrag in den Händen und wollte mein eigenes Geld zu verdienen. Aber ich liess mich auf den Wunsch meines Vaters ein, weil er ein grosses Vorbild für mich war. Dieser Entscheid war jedoch unreflektiert. Erst viel später fing ich an, meinen Vater auch sehr kritisch zu sehen. Er war eine Persönlichkeit, die nicht immer nach den eigenen Regeln gelebt hat, auch wenn die anderen selbstverständlich diese Regeln befolgen mussten. (Lacht) Ich habe mich natürlich schon vor vielen Jahren mit meinem Vater versöhnt, denn er hatte auch sehr viele gute Seiten. Er war ein typischer Pionier, und Pioniere müssen so sein, sonst kann nichts Neues entstehen, auch kein Unternehmen wie Endress+Hauser. Gerade in einer Pionierphase muss sich ein Unternehmer ständig und sehr schnell neuen Gegebenheiten und äusseren Umständen anpassen können.

An mich selbst hatte ich von Anfang an den Anspruch, das mir Anvertraute bestmöglich weiterzuentwickeln. Endress+Hauser hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt. Die Umsätze haben sich seit 1995, als ich die operative Verantwortung übernahm, fast vervierfacht, der Gewinn verzwanzigfacht und die Anzahl der Beschäftigten hat sich mehr als verdreifacht. Es ist uns gelungen, die Firma sehr gut zu positionieren. Das bedeutete für mich aber nie ein „besser als“, sondern vielmehr ein „anders als“ mein Vater. Ich habe viel mit meinem Vater gesprochen und ihm auch gesagt, dass ich das, was er geschaffen hat, nicht könne. Ich sagte ihm, dass ich nicht wie er aus nichts etwas machen kann. Aber dass ich aus etwas Bestehendem etwas noch Schöneres machen könne. Mit dem Unternehmen, das mir 1995 anvertraut wurde, ist mir das in den letzten 20 Jahren gelungen.

Dueblin: Sie sind somit sehr früh damit konfrontiert worden, später einmal das Unternehmen führen zu können und haben sich Ihr Wissen von der Pike an aneignen müssen, von der Arbeitsvorbereitung über Verkauf und Controlling bis hin zu Managementaufgaben u.v.m. Wie haben Sie diesen Entscheid und Wunsch Ihres Vaters, das Unternehmen einmal zu leiten, damals aufgenommen? War das für Sie eher ein Segen oder gar ein Fluch, der Sie von anderen Zielen oder Träumen abhielt, die Sie, wie viele andere Jugendliche rund um Sie, vielleicht auch hatten?

Klaus Endress: Es wäre zu hoch gegriffen zu sagen, dass ein Vater in seinem Sohn, der gerade einen Lehrvertrag in den Händen hält, den Nachfolger erkennt. Das wäre vermessen. Er hat sich aber wohl gedacht, dass er in mir denjenigen in der Familie sah, der diesen Weg gehen kann und möchte. Ich war in keinerlei Wettbewerb mit meinen Geschwistern. Ich war einfach der einzige, der Interesse zeigte. Meine Brüder kamen später mit ins Unternehmen, weil ich das selber auch als gut empfand. Ich habe von Anfang an die grosse Verantwortung erkannt, die ein Unternehmen wie Endress+Hauser mit sich bringt. Weiterzuführen, was mein Vater aufgebaut hatte, war für mich tatsächlich eine Last und bedeutete die Übernahme einer sehr grossen Verantwortung. Ich hatte damals natürlich auch hin und wieder meine Zweifel und überlegte mir, was passieren würde, wenn ich den hohen Erwartungen nicht gerecht werde. Das Wissen, dass andere Personen aus der Familie auch im Unternehmen tätig waren, bedeutete für mich eine Erleichterung. Mein Leben verlief aber tatsächlich nicht so wie bei anderen jungen Menschen.

Klaus Endress mit seinem Vater Georg H. Endress (c) Klaus Endress

Klaus Endress mit seinem Vater Georg H. Endress (c) Klaus Endress

Dueblin: Wie sind Sie selber als junge Person mit den Erwartungen Ihres Vaters und Ihres Umfelds umgegangen?

Klaus Endress: Das kann man nur nachvollziehen, wenn man sich in einen jungen Menschen hineinversetzt, in eine junge Person, die grosses Verantwortungsgefühl besitzt. Dann spürt man vielleicht, dass in einer solchen Konstellation eine grosse Last mitschwingt, auch wenn die Herausforderungen spannend und interessant sind. Eine junge Persönlichkeit mit diesen Charaktereigenschaften will nicht versagen und seinem Vater und seinem Unternehmen möglichst gerecht werden. Die Last bestand unter anderem im Erkennen, dass durch persönliches Versagen das Werk des Vaters zerstört werden könnte. Das sind Gedanken, die mich schon sehr früh beschäftigt haben und auch heute noch beschäftigen. Meine Jugend hat sich anders entwickelt als bei anderen Jugendlichen. Bei mir standen weder Discos noch Hobbies im Vordergrund, sondern das stete Lernen und Verstehen unternehmerischer Zusammenhänge. Ich hatte grosse Freude an der Sache, aber sie verlangte mir auch viel ab. Die Unbeschwertheit, die andere junge Menschen um mich herum ausleben konnten, gab es bei mir nicht. Wenn man so will, habe ich stets diesen „Nachfolge-Tornister“ mit mir rumgetragen.

Nach meinen Studien ging es in die USA, wo ich im Vergleich zu anderen ganz wenig  verdiente. Aber ich sah in meiner Arbeit nicht den Gelderwerb, sondern die Ausbildung, was mir den Umgang mit diesem Umstand sehr erleichterte. Eigentlich wäre ich sehr gerne in den USA geblieben. Mein Vater sprach mir dann aber zu und zeigte mir, dass es da noch andere Pläne gab, die ihm lieber waren. Für mich war das absolut verständlich. Ich konnte ja nicht mich selber zehn Jahre für eine Führungsposition im Familienunternehmen vorbereiten und dann irgendwann sagen, dass ich nun doch in den USA bleiben wollte. Ich stieg in der Folge im badischen Maulburg bei Endress+Hauser ein und machte dort meine beruflichen Erfahrungen, von der Arbeitsvorbereitung bis hin zum Verkauf und Controlling. Schliesslich übernahm ich die Geschäftsführung in Maulburg. 1992 kam ich an den Hauptsitz von Endress+Hauser nach Reinach. Ich war dort für die Produktion verantwortlich, mein jüngerer Bruder Urs für den Vertrieb. 1995 dann durfte ich von meinem Vater die Leitung der Firmengruppe übernehmen. Ich fing an, gewisse Sachen im Unternehmen zu verändern, was nicht immer einfach war. Die Menschen lieben Veränderungen nicht, auch wenn sich um sie herum die ganze Welt verändert. Aber die Welt hatte sich verändert – und Endress+Hauser musste sich auch verändern.

Dueblin: Wo erkannten Sie 1995 die grössten Veränderungsherausforderungen, die Sie anpacken wollten?

Klaus Endress: Ich kam ja aus der Produktion und hatte damit eine Nähe zur Fertigung. Auch der Vertrieb war mir vertraut. Meine Erfahrungen stammten, wie schon bei meinem Vater, nicht allein aus Büchern, sondern aus der Praxis. In der Fertigung wurde bei Endress+Hauser schon immer viel verändert, nicht aber im Vertrieb. Diesen galt es zu verbessern und auszubauen. Es gab Menschen, die im Verkauf von technischen Produkten bestens geschult waren, aber beispielsweise in Bezug auf Messeauftritte oder den Umgang mit Menschen aus anderen Weltgegenden nicht fit genug waren. Bei einem immer grösser werdenden Produkt-Portfolio wurde das Einhalten der Devise „One face to the customer“ immer schwieriger. Wir erkannten Flaschenhälse, die wir beseitigen mussten. Das war sehr schwierig. Der Verkäufer ist der einzige, der weiss, was der Kunde wirklich will und stellt eine Art Transmissionsriemen zum Unternehmen und dessen Produkten dar. Ich hatte damals schon das Bild der Natur vor Augen und stellte mir einen Baum vor, der unter gewissen Naturgesetzmässigkeiten wachsen und gedeihen kann.

Der Baum repräsentierte für mich die Organisation eines Unternehmens. Luft und Licht standen für Markt und Kunden, die Krone für Vertrieb und Services. Die Wurzeln stellen Forschung und Entwicklung sowie die Produktion dar, das technologische Umfeld, die Hochschulen und Zulieferer sind gewissermassen das Substrat darum herum. Die Supportfunktionen – Controlling, Human Resources, Legal, Kommunikation und Informationstechnik – müssen dafür sorgen, dass die grossen Oberflächen gut funktionieren und die Prozesse optimal ablaufen können. Diese Aufgaben repräsentieren den Stamm des Baumes. Das erste Programm „Fit for Europe“, später gefolgt von „Fit for USA“ und anderen, bedeutete einen Paradigmenwechsel. Das hat viele Menschen verunsichert. Der Vertrieb war schon damals sehr gut, es galt aber, mehr Köpfe draussen bei Markt und Kunden zu haben, mehr Kundennähe zu erreichen. Das bedeutete für gewisse Menschen einen Machtverlust, gegen den sie sich zur Wehr setzten.

Dueblin: Wie hat sich Ihr Vater zu diesem angedachten und später durchgesetzten Paradigmenwechsel gestellt?

Klaus Endress: Wenn der Vorgänger erkennt, dass der Nachfolger das Unternehmen nicht nur im Kleinen verändert, sondern grosse Veränderungen ins Auge fasst, kann das zu Problemen führen. Das war auch bei Endress+Hauser der Fall. In solchen Momenten hat der Vorgänger das Gefühl, dass andere denken könnten, er habe zu seiner Zeit möglicherweise etwas nicht richtig oder gut genug gemacht…

Dueblin: …höre ich hier ein gewisses Konkurrenzdenken aus Ihrer Aussage?

Klaus Endress: Mein Vater hat anfänglich Veränderungen zu verhindern versucht, hat dann aber eingelenkt. Es gab sehr viele Menschen, die aufgrund der angedachten Veränderungen einen anstehenden Machverlust erkannten, oder zu erkennen glaubten, und darum Widerstand leisteten. Das passiert in vielen Unternehmen und darf als Fehler betrachtet werden, denn in einem Unternehmen sollte die Sache im Vordergrund stehen und nicht die Machtpolitik. Macht darf aber nie das Ziel, sondern soll nur das Resultat guter Leistung sein. Sie wächst einem als Resultat zu, wenn man etwas gut macht. C.G. Jung hat die psychologischen Grundfunktionen in Denken, Fühlen, Empfinden und Ahnen eingeteilt. Empfinden und Ahnen kann man beim Gegenüber nur ganz schwer abschätzen. Viele Menschen ahnten, dass sich ihre Machtsituation verändern würde und waren den Veränderungen gegenüber dementsprechend negativ eingestellt. Die Umsetzung war dann entspannt, weil die geplanten Veränderungen nicht Teil einer Kostensenkungsmassnahme waren. Die Idee war, bei gleichbleibenden Kosten 20 Prozent mehr Umsatz zu erreichen. Es ging nicht darum, gleich viel zu tun mit weniger Kosten – es ging, um auf den Baum zurückzukommen, um mehr Oberfläche, also Blätterwerk, damit mehr Kundenkontakt, mit gleichzeitiger Verschlankung nach innen. Es kam zu grossen Widerständen, mit denen ich umgehen musste. Das war für mich in meiner Karriere die grösste Herausforderung. Es hat sich aber gelohnt, dafür zu kämpfen.

Dueblin: Wie haben Sie Ihre Visionen vermittelt, auch später Ihren Vater und Ihre Familie überzeugen können? War das eine nur kommunikative Herausforderung oder eine Machtfrage?

Klaus Endress: Kommunikation ist wichtig, auch Kooperation und Innovation, der Dreiklang der Natur. Die Natur hat sich in 3,5 Milliarden Jahren sehr gut entwickelt und hat das ganz gut gemacht. Der Mensch schaut auf ein wesentlich kürzeres Dasein zurück, vielleicht auf 150‘000 Jahre. Ob wir noch viel „Historie“ verzeichnen können werden, muss sich zeigen. Die Natur wird sicher überleben, aber vielleicht dann ohne den Menschen, wenn wir so weiter machen wie bisher. Kommunikation ist wichtig. Realität ist aber immer das, was die anderen sehen und verstehen, ahnen und empfinden. Nicht das, was ich sage ist wichtig, sondern ich muss mich mit der Wahrheit der anderen auseinandersetzen. Das war sehr schwierig, weil es bei den anderen am Glauben an den Erfolg fehlte. Letztlich hat der Erfolg überzeugt. Wir hatten den Erfolg aufgrund ganz vieler Dinge, die wir zusammen richtig angegangen sind. Für mich war immer wichtig, dass wir die Anzahl der Beschäftigten vergrössern und nicht verkleinern.

Wir haben natürlich auch Fehler gemacht, ich denke an PPE, ein ehemaliges Tochterunternehmen, das auf die Herstellung von Leiterplatten spezialisiert war und in den Markt für Mobiltelefone eingestiegen ist. Die Markterwartungen erfüllten sich damals nicht. 2000 wurden 400 Millionen Handys hergestellt. Unsere Kunden planten für das kommende Jahr mit 600 Millionen Handys. Stattdessen wurden es aber nur 430 Millionen. Es kam aufgrund der hohen Produktionskapazitäten, die überall aufgrund dieser falschen Annahmen aufgebaut worden waren, zu einem rapiden Preiszerfall. Die Auftragslage verschlechterte sich sehr schnell massiv, und wir waren schliesslich gezwungen, das Unternehmen aufzugeben. In der Folge verlor Europa die Massenfertigung von Mobiltelefonen an Asien. Rückblickend betrachtet ist all das auf Managementfehler zurückzuführen. Das hätte auch anders herauskommen können für Europa.

Dueblin: Was haben Sie persönlich für ein Verhältnis zu Macht?

Klaus Endress: Macht hat für mich nie eine Rolle gespielt. Ich habe immer einfache Bilder benutzt, um mich zu erklären. Ein Bild ist beispielsweise dasjenige des Machtmenschen und des Nichtmachtmenschen. Ich gehöre den Letzteren an. Machtmenschen schauen immer argwöhnisch um sich, ob ihnen jemand ihre Position streitig macht. Sie sind konstant damit beschäftigt, ihre Macht zu bewahren und auszubauen. Sie fangen etwa an, Menschen unter dem Vorwand der „Job Rotation“ zu verpflanzen, damit diese wieder Zeit brauchen, um anwachsen zu können. Wenn sie zu einem gewissen Zeitpunkt wieder das Gefühl haben, dass dieser oder jener gefährlich werden könnte, fällt ihnen wieder etwas ein, gegen andere Menschen zu arbeiten. Ziel ist es, selber immer mächtiger zu werden. Das geht schon so seit der Steinzeit. Ich wollte immer nur die Sache voranbringen. Ich fragte mich, was ich dafür brauche. Mir war immer klar, dass ich die Mächtigen brauche, um erfolgreich sein zu können, und nicht die Ohnmächtigen. Mit letzteren kann ich wenig bewegen. Die Mächtigen merkten in der Zusammenarbeit, dass ich ihrer Macht nicht schade, sondern im Gegenteil ihnen nütze. Zusammen waren wir erfolgreich. Der Erfolg als Resultat hat mir mehr Macht beschert, die ich aber, wenn überhaupt, nur für andere, natürlich auch für das Unternehmen, nutzte!

Dueblin: Ihre Reaktion entspricht nicht dem, was wir in der Wirtschaft sehen und hören. Sie haben sich wiederholt dezidiert auch über Geld und Abzocker geäussert, mit denen Sie offenbar nur wenig anfangen können und die in einem Unternehmen wie Endress+Hauser wohl eher nicht bestehen könnten. Was haben Sie persönlich für einen Bezug zu Geld?

Klaus Endress: Für mein Geld habe ich immer arbeiten müssen. Ich wollte früher auch kein Taschengeld haben, ohne dafür etwas zu tun. Für meine Mutter habe ich damals geputzt und ihr im Haushalt geholfen. Sie hat mir dafür Geld gegeben und meinte, dass ich besser arbeiten würde als manche Putzfrau. Als Student an der TU Berlin hat mich dann mein Vater unterstützt. Ich bekam damals zwischen 500 und 700 Deutsche Mark im Monat. Das war wenig Geld, mit dem ich haushälterisch umgehen musste. Aber mit dem Wenigen, das ich hatte, hatte ich genug, und oft konnte ich sogar etwas beiseitelegen. Meine Wünsche waren immer dem angepasst, was ich an Geld zur Verfügung hatte. In den USA und später bei Endress+Hauser stieg natürlich mein Einkommen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich zu wenig bekomme, sondern war froh, dass es mir und meiner Familie gut geht. Mir ist klar, dass ich und meine Geschwister als Gesellschafter von Endress+Hauser privilegiert sind. Aber Sie finden in unserer Familie niemanden, der die Superlative sucht oder Geld als erstes Ziel vor Augen hat. Wir sind alle bodenständig geblieben. Sie lesen nichts in den Zeitungen über grosse Jachten, Eskapaden, teure Hobbies und dergleichen im Zusammenhang mit der Familie Endress.

Heute bin ich 65, und da fragt man sich, was man denn mit so viel Geld, wie das andere offenbar brauchen, überhaupt machen würde. Es ist mir wichtig, auch unseren Kindern zu zeigen, wie sie mit Geld richtig umgehen. Das muss man lernen, sonst geht es einem wie jenen Menschen, die plötzlich einen grossen Lottogewinn machen und dann als erstes entscheiden, nicht mehr zu arbeiten. Sie kaufen sich ein teures Auto, ein grosses Haus… Schlussendlich ist das Geld weg und sie haben sogar noch Schulden.

Es gibt in der Schweiz nur eine Handvoll bekannter Abzocker, die regelmässig in den Medien erscheinen. Ich frage mich manchmal, was diese Menschen mit dem vielen Geld überhaupt machen. Sie scheinen nur sich selber zu sehen, der Rest der Welt ist ihnen offenbar vollkommen egal. Das erinnert mich an Ludwig XIV., den französischen „Sonnenkönig“, der nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ lebte. Seinen Nachfolgern wurde dann der Kopf abgeschlagen. Die Abzocker-Initiative ist aufgrund von wenigen schlechten Beispielen vom Schweizervolk angenommen worden, das in solchen Dingen sonst sehr zurückhaltend ist. Es wundert mich, dass in Situationen, in denen es um Millionenbeträge geht, niemand in diesen Unternehmen aufsteht und darauf aufmerksam macht, dass das nicht normal ist. Ich selber gehöre zu den Menschen, die nicht einfach so Millionen einsacken, schlicht, weil ich sie nicht brauche, um glücklich zu sein. Was nützt mir das Anhäufen von Geld, wenn ich damit nichts bewirke. Wichtiger als Geld sind doch die Familie und die Kinder, mit denen man ein gutes Verhältnis haben sollte.

Dueblin: Sie sind 1995 nicht nur der Chef von Endress+Hauser geworden. Ich stelle mir vor, dass sie besonders ab diesem Moment auch eine spezielle Rolle in der Familie übernehmen mussten oder wollten. Was mussten Sie tun, um die Familie zusammenhalten zu können?

Klaus Endress: Auch hier sind verschiedene Schritte gemacht worden. Es gab junge Menschen aus der Familie, die im Unternehmen arbeiten wollten oder Interesse für eine gewisse Position bekundeten. Es ist immer einfacher, ja zu sagen als nein. Sagt man bei einer Person aus der Familie nein, kommen Diskussionen auf und es wird einem unterstellt, man würde dem einen den Vorzug geben und dem anderen nicht. Das ist schlecht für die Familie.

Zunächst musste ich mit meinem Vater einig werden, einen Familienrat zu gründen. Mein Vater konnte immer alleine entscheiden. Er führte das Unternehmen unter ganz anderen Voraussetzungen. Ich aber war nur eines von acht Geschwistern, zwar Chef des Unternehmens, aber doch einer von mehreren, die etwas zu sagen haben. Ich wollte von Anfang an nicht alleine über familiäre Angelegenheiten entscheiden. Deshalb bedurfte es eines Gremiums, welches das Vertrauen der Familie geniesst und über solch wichtige Fragen entscheiden kann. Wir haben dieses Gremium geschaffen – den Familienrat. In diesem Rat waren zunächst mein ältester Bruder, meine jüngste Schwester und ich vertreten, dazu mein Vater, solange er noch lebte, später auch ein Vertreter der jungen Generation. Ich stand dem Gremium vor. Später habe ich erkannt, dass es auch eines eigenen Regelwerks bedarf, wie beim Management einer Firma, das sich auch an Regeln halten muss. Es braucht eine Strategie, eine Mission, eine Vision, aber auch Werte, Ziele etc., die schriftlich vorliegen müssen. Wir sassen im grossen Kreis mit 36 Personen lange zusammen und daraus resultierte am Ende die Charta der Familie Endress. In dieser Charta ist auch definiert, was ein Familienmitglied an Ausbildung und Erfahrung vorweisen muss, um im Unternehmen arbeiten zu können. Mein Vater war anfänglich nicht begeistert. Er führte das Unternehmen erfolgreich von der ersten in die zweite Generation. Nun war es an uns, das Unternehmen in die dritte Generation zu führen und dazu brauchten wir die Charta.

Klaus Endress (c) Klaus Endress

Klaus Endress (c) Klaus Endress

Dueblin: Sie haben sich in den letzten Jahren wiederholt zum politischen und wirtschaftlichen Geschehen geäussert. Sie haben immer eine eigene Meinung vertreten und nicht selten auch Ihre eigene Partei, die FDP, kritisiert. Was hat Sie bewogen, auch politisch tätig zu sein und sich in Wirtschaftsverbänden, aber auch an der Universität Basel zu engagieren und schliesslich gar für den Gemeinderat von Reinach (BL) zu kandidieren?

Klaus Endress: Ich selbst habe immer gerne etwas beigetragen. Wenn ich etwas beizutragen habe, dann diene ich das an, ohne mich jedoch aufzudrängen und ohne finanzielle Absichten. Es geht mir nicht um Geld, wenn ich aktiv werden möchte. Als Einwohnerrat und künftiger Gemeinderat von Reinach verfolge ich sicherlich keine finanziellen Absichten. Ich gebe meine Erfahrung aber gerne weiter. Nach 22 Jahren Einwohnerrat in Reinach wollte ich etwas effizienter ins politische Geschehen eingreifen. Ich wollte nach langen Jahren Einsatz in der Legislative auch in der Exekutive etwas beitragen können. Vielleicht kann man das eine oder andere besser machen – nicht, weil heute etwas schlecht gemacht wird, sondern einfach weil man immer wieder etwas besser machen kann. In einem Unternehmen wie in der Familie geht es immer besser, wenn die Gemeinsamkeit im Vordergrund steht und Regeln befolgt werden.

Wenn man schaut, wie sich die Welt heute darstellt, so wird klar, dass es wenig Gemeinsamkeiten gibt, der Zusammenhalt nicht gut ist und Regeln, die aufgestellt wurden, nicht akzeptiert, in Frage gestellt und sogar mit Füssen getreten werden. Das ist schlimm. Wenn alle drei Voraussetzungen für ein gutes Miteinander nicht stimmen, muss uns das bedenklich stimmen. Was in einem Unternehmen und in einer Familie gilt, gilt auch für die ganze Welt. Will in einem Konflikt die eine Partei die andere einfach auslöschen, ist das keine Grundlage für einen Konsens. Solches Verhalten dürfen wir nicht akzeptieren, weil es nur Unfrieden und Unglück bringt. Im Osten Europas ist zurzeit Ähnliches erkennbar. Es wird auf dem politischen Parkett mit vielen, auch gezinkten, Karten gespielt, ohne dass man die Karten auf den Tisch legt. Das sind keine guten Verhaltensmuster. Ich selber kann mich aber nur dort einbringen, wo ich etwas bewirken kann. Das heisst für mich, dass ich mich im Unternehmen, in der Familie, in der Gemeinde und vielleicht noch im Kanton engagiere, weil ich dort etwas verändern oder besser machen kann. Das ist auch der Grund, dass ich hier in Reinach bleibe. Es zieht mich in keine andere Gegend, auch wenn ich am einen oder anderen Ort einige Franken an Steuern sparen könnte. Meine Lebensqualität schöpfe ich hier.

Dueblin: Sie haben immer wieder die Natur genannt und sind bekannt, mit Bildern aus der Natur zu kommunizieren, so wie Sie das auch in diesem Gespräch machen. Gibt es ein Schlüsselerlebnis für diese Denkschule, mit der Sie sich in den letzten Jahrzehnten offenbar sehr intensiv befasst haben?

Klaus Endress: Mich haben das Verständnis zur Natur, die Liebe zur Natur und Tiere immer sehr beschäftigt. Tiere waren von klein an wichtig für mich. Ich hatte immer ein Auge für die Natur, auch für ihre Details und sah oft viel mehr, als andere sahen. Als ich mehr und mehr Verantwortung übertragen bekam, musste ich mich an etwas orientieren, das mir zeigt, ob das, was ich mache, richtig ist und richtig bleibt. Ich erinnere mich an einen Spaziergang vor vielen Jahren auf der Reinacherheide, gleich hier um die Ecke. Ich sah einen Mann, der Brennnesseln mit einer Sense mähte. Schuldbewusst sagte er zu mir, dass diese Brennnesseln ja schnell nachwachsen würden. In wenigen Wochen schiessen die Pflanzen meterhoch und vermehren sich schnell, ragen in den Weg und bilden einen Schutz für Büsche und Bäume, die langsam wachsen. Es gibt Luft und Licht und es hat Wasser und diverse Mineralien, die Einfluss auf das Gedeihen der vielen verschiedenen Pflanzen haben, die alle ihre Berechtigung haben und in der Natur Sinn machen. Eine chinesische Weisheit sagt, dass eine Pflanze nie Schuld sei. Das war eine Erkenntnis, die mich mein Leben lang beschäftigte. Der Baum ist niemals schuld!

Wenn der Baum nicht richtig wächst, so ist er nicht schuld. Er ist vielleicht am falschen Ort, hat zu viel Sonne, zu wenig Mineralien etc. Wir Menschen fragen immer nach dem Schuldigen. Wer hat dieses und jenes gemacht. Wir kennen diese Verhaltensmuster auch aus Unternehmen. Für mich war im Unternehmen wichtig zu erkennen, dass man mit seinen Produkten innerhalb des Baumes bleiben muss, also nicht mit Produkten die Welt überraschen sollte, für die man keinen Vertrieb hat. Solche Fehler sehe ich immer wieder in anderen Unternehmen: Tolle neue Produkte, aber keinen geeigneten Vertrieb. Wenn man den dann neu schaffen muss, dann wird es richtig teuer. Ein Fehler eben, den man vermeiden kann, indem man innerhalb des Baumes bleibt. Auch muss man unentwegt am ganzen Baum arbeiten, um das Unternehmen gesund weiterzuentwickeln!

Dueblin: Nun wundert es mich nicht, dass Sie Ihren Nachfolger, Herrn Altendorf, schon als Eigengewächs bezeichnet haben. Er darf das als Kompliment betrachten und sich als Teil der Familie sehen…

Klaus Endress: (Lacht) Dem ist zweifelsohne so!

Dueblin: Herr Endress, was wünschen Sie sich, der nächsten Generation und Endress+Hauser für die Zukunft?

Klaus Endress: Sicher habe ich meine Sorgen, was die Wirtschaft, insbesondere die Geldwirtschaft, weltweit anbelangt. Die Billiggeldstrategie der Notenbanken gibt mir im besonderen Masse zu denken. Das Fluten der Welt mit Geld wird sich nicht positiv auswirken. Probleme sind vorprogrammiert. Es ist hier viel Politikversagen erkennbar. Aber lösen kann diese Misere nur die Politik.

Wenn ich Endress+Hauser betrachte, bin ich sehr zuversichtlich, wenn das Unternehmen weiterhin auf seine Kunden ausgerichtet bleibt und effizient arbeitet. Es bedarf auch der Gesellschafter, die gut miteinander arbeiten. Stimmt das alles, dann wird uns aufgrund der Demographie die Arbeit in den nächsten 100 Jahren nicht ausgehen. Die Menschheit wächst, braucht von allem mehr, bei knapper werdenden Ressourcen. Die Industrie muss diese Dinge effizient bereitstellen – und dazu braucht es Verfahrenstechnik, braucht es Messtechnik, braucht es uns, die „People for Process Automation“.

Ich selbst habe meine Sache gut gemacht, wenn ich einen guten Nachfolger gefunden habe. Ich bin sicher, das ist der Fall. Die Chefs sind wichtig. Sie können sehr viel Gutes, aber auch sehr viel Schlechtes bewirken. Sie müssen integer sein und der Sache dienen. Der Schlüssel liegt im guten Umgang miteinander – mit Kunden, Mitarbeitern und Gesellschaftern. Das muss so bleiben. Und, wer weiss, vielleicht wird in Zukunft auch wieder ein Vertreter der Familie das Unternehmen gut leiten. Ich bin da sehr zuversichtlich!

Dueblin: Sehr geehrter Herr Endress, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen, der Familie und Endress+Hauser weiterhin alles Gute und viel Erfolg!

(C) 2014 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.

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