Christian Dueblin, legal counsel, legal operations management
Christian Dueblin, Unternehmensjurist

Christian Dueblin, 1967, ist Unternehmensjurist, Dozent und Vorstand der Vereinigung Schweizerischer Unternehmen in Deutschland (VSUD). Christian Dueblin führt und begleitet seit über 20 Jahren Rechtsabteilungen im Industriebereich weltweit. Im Jahr 2017 erschien das «Praxishandbuch Legal Operations Management», das er zusammen mit Roman P. Falta im Springer Verlag herausgegeben hat und an dem rund 40 Expertinnen und Experten beteiligt waren, die sich mit Legal Operations Management auseinandersetzen und darin von ihren Erfahrungen berichten. Seither sind auf Xecutives.net rund ein Dutzend Interviews zum Thema publiziert worden, in denen weitere rechtliche Themenbereiche von ausgewiesenen Fachpersonen beleuchtet werden.
Christian Dueblin beschäftigt sich vor allem mit Themen wie Compliance, Contract und Claims Management sowie mit der Vermittlung dieser Themen im Industriebereich und im Handel. Beim Claims Management geht es darum, wie in einem Unternehmen unberechtigte Forderungen abgewehrt und berechtigte Forderungen eingefordert werden können. Christian Dueblin beschäftigt seit seinem Karrierebeginn die Frage der Wertschöpfung von Rechtsabteilungen und rechtlicher Arbeit in Unternehmen, Themen die auch an Seminaren und Schulungen eine grosse Rolle spielen. Es geht um die Frage, wie man in der produzierenden Industrie und im Handel mit dem Thema Recht in einem Unternehmen einen wertschöpfenden Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens leisten kann. Im Interview mit Roman P. Falta spricht er über seine Erfahrungen, seinen «Legal Approach» und er nimmt kritisch Stellung zu Fragen der Funktion und Führung von Rechtsabteilungen generell.

Roman P. Falta: Herr Dueblin, Sie sind seit über 20 Jahren in Rechtsabteilungen diverser Unternehmen in der Schweiz und im Ausland tätig und schulen regelmässig Mitarbeitende. Zudem haben Sie zum Thema Legal Operations Management im Buch «Praxishandbuch Legal Operations Management» Stellung bezogen. Schliesslich beschäftigt Sie das Thema aber auch im Rahmen Ihrer Lehrtätigkeit. Sie führen seit über zwei Jahrzehnten Seminare und Schulungen für Wirtschaftsverbände, Unternehmen und Fachhochschulen durch. Wie vermitteln Sie juristische Themen an Nichtjuristen, wie kaufmännisches und technisch geschultes Personal?

OR – Schweizerisches Obligationenrecht, Buchcover
OR – Schweizerisches Obligationenrecht

Christian Dueblin: Ich stelle fest, dass sich in den letzten 20 Jahren auf dem Ausbildungsmarkt in Sachen Recht sehr viel verändert hat. Ich erinnere mich noch an Schulungen und Seminare, an denen den Studierenden von dozierenden Juristinnen und Juristen aus dem OR und ZGB vorgelesen wurde. Viele dieser Kurse verfehlten das Ziel und es stellte sich eine gewisse Abneigung dem juristischen Berufsstand und dem Fach Recht gegenüber ein, was dazu führte, dass auch Fachhochschulen und Wirtschaftsverbände sich anpassen mussten. Es wurde damals an sich völlig richtig, aber sehr theoretisch, auf juristische Themen und Sachverhalte aufmerksam gemacht, aber die Kursteilnehmenden wurden nicht abgeholt und konnten das vermittelte Wissen wenig bis gar nicht umsetzen. Es galt, sich von diesem theoretischen Ansatz zu lösen. Heute setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass Theorie zwar wichtig ist, man den Kursteilnehmenden aber vor allem das Handwerkszeug und die Tools für die tägliche Arbeit vermitteln muss; und das auf pragmatische Art und Weise. Es werden juristische Praktiker gesucht, die ihre Erfahrungen und Ratschläge teilen, wie man sich in rechtlich wichtigen Momenten im Unternehmen und im Sinne des Unternehmens verhalten soll. Dabei kommt es immer sehr darauf an, wen man vor sich hat: Schult man Verkäufer ist das nicht dasselbe, wie wenn man Einkäufer, Projektleiter, Beschaffungsexperten oder bspw. Servicetechniker schult. Diese Fachleute unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre Arbeit, die sie zu leisten haben, sondern auch in Bezug auf ihre Ausbildung. Deshalb sollte man in Schulungen Verkäufer und Einkäufer nie mischen. Ihre Probleme unterscheiden sich zu sehr, als dass man sie in einem Kurs mit rechtlichen Themen, gerade wenn es um Contract und Claims Management geht, zusammen zielführend schulen könnte.

Roman P. Falta: Wie zeigt sich der Unterschied zwischen Verkauf und Einkauf in der Praxis, um diese Gegensätze zu beleuchten?

Christian Dueblin: Dieser Punkt ist exemplarisch und führt oft zu Diskussionen mit Unternehmen, die Schulungen und Seminare wünschen. Sie möchten oft auch aus Kostengründen und Gründen der Effizienz beide Abteilungen gleichzeitig schulen. Das geht aber nicht und ich lehne das regelmässig ab, weil es nicht zielführend ist. Beide Abteilungen in einem Unternehmen beschäftigen zwar dieselben Fragen, aber sie müssen gerade was Contract- und Claims Management angeht, umgekehrt denken. Der Verkäufer ist zudem in aller Regel am kürzeren Hebel, vor allem dort, wo grosse Konkurrenz herrscht. Er muss alles dafür tun, die Vorteile seines Unternehmens zu verkaufen. Dabei kommt er oft unter Druck, weil eben die Konkurrenz auch nicht schläft. Der Einkäufer hingegen, findet, wenn es sich nicht um einen «Single Sourcer» handelt, immer einen Ersatz in Form eines Konkurrenten weltweit. Die Konkurrenz ist sehr gross. Egal, ob bei Banken, Versicherungen oder in der Industrie. Somit muss der Verkäufer, wenn er sich für seinen Vertrag und sein Geschäft im Sinne seines eigenen Unternehmens einsetzt, damit rechnen, dass ein Geschäft an die Konkurrenz geht, die vielleicht eher geneigt ist, bestimmte Risiken einzugehen. Kurzum, wer Schulungen und Seminare zu Contract und Claims Management anbieten möchte, muss sich überlegen, wen man zusammen in denselben Seminarraum delegieren möchte.

Roman P. Falta: Wie wir im Rahmen des «Praxishandbuchs Legal Operations Management» festgestellt haben, betreibt die Rechtsabteilung Risikomanagement in Bezug auf kommerzielle und Compliance-Themen. Es gilt die wichtigen Rechtsthemen für ein Unternehmen ausfindig zu machen und dafür zu sorgen, dass sich potentielle Risiken nicht manifestieren. Wie muss man in einer Rechtsabteilung mit solchen «Corporate Legal Risks» umgehen?

Christian Dueblin: Um kommerzielle Risiken in einer Rechtsabteilung richtig einschätzen zu können, und ich spreche hier nur für die Industrie, für die ich tätig bin, muss die Rechtsabteilung das Geschäft ihres Unternehmens verstehen. Ihr muss klar sein, welche Produkte oder Dienstleistungen mit Risiken behaftet sind und wie sich solche Risiken auf das Unternehmen auswirken können. Werden technisch komplizierte Maschinen und Anlagen verkauft, muss die Rechtsabteilung eine grundsätzliche Ahnung in Bezug auf die Technik und die Komplexität des Geschäfts haben. Verkauft ein Unternehmen lediglich standardisierte Produkte, die über einen längeren Zeitraum nie zu qualitativen Problemen geführt haben, kann auch ein Vertrag anders verhandelt werden. Man darf dann durchaus auch gewisse Risiken in Kauf nehmen, weil man weiss, dass sie eher unwahrscheinlich sind. In solchen Fällen kann die Rechtsabteilung mit gutem Gewissen ein Auge zudrücken, um dem Verkäufer den Abschluss von Geschäften zu ermöglichen. Geht es aber um Geschäfte, die klar risikobehaftet sind, muss die Rechtsabteilung streng sein, Fragen stellen, sich kundig machen in Bezug auf die Technik und die Umsetzung. Dann braucht es nach einer rechtlichen und kaufmännischen Einschätzung einen strategischen Entscheid.

In Sachen Compliance Risks verhält sich die Sache etwas anders: Hier geht es darum, dass ein Unternehmen keine Gesetze, Weisungen oder Richtlinien verletzen darf. Dabei sollte man gar keine Risiken in Kauf nehmen. Hier gilt es, das Gesetz durchzusetzen, was in den meisten Unternehmen auch gut funktioniert. Frau Helke Drenckhan hat sich zu diesen Fragen in einem interessanten Interview geäussert und gibt dort Tipps, wie man Compliance in einem Unternehmen pragmatisch betreiben kann. Unternehmerisch gesehen gilt aber, dass man auch Compliance von einer wirtschaftlichen Seite her betrachten muss. Ich staune immer wieder über die Budgets, die Rechts- und Compliance-Abteilungen für diese Themen beanspruchen.

Praxishandbuch Legal Operations Management - Christian Dueblin und Roman P. Falta - herausgegeben im Springer-Verlag

Roman P. Falta: Wer fällt diese strategischen Entscheide zu rechtlichen Risiken von denen Sie sprechen, bspw. in einem Unternehmen, das Produkte, Gewerke sowie Dienstleistungen anbietet?

Christian Dueblin: Strategische Entscheide werden in aller Regel nicht von der Rechtsabteilung getroffen. Sie ist eine interne Dienstleisterin und muss sich den Vorgaben und den Weisungen aus den einzelnen Departementen oder Units unterwerfen. Nicht selten entscheiden Managerinnen und Manager daher auch gegen die ausdrücklichen Empfehlungen ihrer Rechtsabteilung. Das kann natürlich zu Problemen führen und für die Rechtsabteilung ernüchternd sein, weil sie sich unter Umständen nicht ernst genommen fühlt. Wenn eine Rechtsabteilung sich jedoch als Enablerin versteht, hört man ihr in aller Regel zu. Man nimmt dann ihre Befürchtungen in Sachen rechtlicher Risiken ernst und beachtet sie. Das hat viel mit Erfahrung zu tun. Wenn Rechtsabteilungen jedoch allzu sehr als Gutachterabteilungen daherkommen, ist das eher problematisch. Dann ist die Rechtsabteilung eben keine «Enablerin», sondern wird als «Bremsklotz» oder gar als «Verhinderin» wahrgenommen.

Sie selber haben das im vorgenannten Buch ja sehr schön umschrieben: Es geht um die Positionierung der Rechtsabteilung im Unternehmen, was auch mit der Führung derselben zu tun hat, nicht nur damit, wer die Rechtsabteilung an sich führt, sondern auch damit, wie die Rechtsabteilung vom Top Management geführt wird.

Roman P. Falta: Es geht einerseits um diejenigen Personen, welche die Rechtsabteilung managen, aber natürlich auch um die Frage, wie die Rechtsabteilung von der Geschäftsleitung bzw. dem Verwaltungsrat betrachtet und schliesslich geführt wird. Was stellen Sie in Bezug auf diese übergeordnete Führung fest?

Christian Dueblin: Das ist ein wichtiger Punkt, der mich schon seit vielen Jahren sehr beschäftigt. Ich selber bin und war in vielen Geschäftsleitungen tätig, auch im VR oder im Auftrag des VR, und ich tausche mich regelmässig mit Managerinnen und Managern aus, auch in meiner Funktion als Dozent und als Vorstandsmitglied eines Wirtschaftsverbandes. Tatsächlich tun sich viele Managerinnen und Manager sowie Unternehmer schwer damit zu verstehen, was sie von einer Rechtsabteilung erwarten dürfen. Mich selber hat ein Unternehmer sehr beeinflusst, für den ich in frühen Jahren eine Rechtsabteilung aufbauen durfte. Wenn man Verantwortung übernimmt und konstruktiv kritisch ist, kann auch eine Rechtsabteilung über ihre eigenen Abteilungsgrenzen hinaus an Einfluss gewinnen. Man muss als Jurist oder Juristin den Gutachtermodus immer mal wieder hinter sich lassen. Selbstverständlich ist gute juristische Arbeit und Analyse wichtig, sie muss aber in den richtigen unternehmerischen Kontext gesetzt werden. Wir Juristen müssen verstehen, dass unsere juristische Arbeit oft bedeutungslos ist. Sie muss in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden, bspw. dann, wenn ein Unternehmen sich mit einem Kunden streitet und grosse Abhängigkeitsverhältnisse herrschen. Dafür muss man das Geschäft verstehen, man muss sich mit den vielen Spezialisten in einem Unternehmen zusammentun und ihre Herausforderungen verstehen. Ich gebe Ihnen hierzu ein Beispiel zur Rechtsabteilung als Dienstleisterin:
Was nützt es, wenn ich einem Verkäufer, der ein Geschäft durchziehen möchte und sich möglicherweise in einem anderen Land unter schwierigen Bedingungen behaupten muss, einfach sage, dass der Vertrag mit vielen Risiken behaftet sei. Er weiss das selbst. Was er aber von mir erwartet, sind Lösungen, welche die möglichen rechtlichen Risiken zumindest entschärfen. Man muss diesen Verkäufer somit innert 24 Stunden mit Optionen und Lösungen bedienen können. Diesem Anspruch kann man natürlich nicht immer gerecht werden, aber in der Tendenz geht das schon. Es gilt, sich nicht in Details zu verlieren, sondern die wichtigen Punkte zu eruieren, für die der Kunde oft auch Verständnis hat. Ein durchschnittliches Industrieunternehmen ist ja keine Versicherungsgesellschaft, die das Geschäft und die damit verbundenen Risiken eines Kunden zu 100% abdecken muss. Die meisten Kunden verstehen das.

Roman P. Falta: Welches sind die wichtigen rechtlichen Punkte beim Abschluss eines Vertrags, die man in der Rechtsabteilung und im Verkauf im Auge behalten muss und mit denen sich ein Mehrwert erzielen lässt?

Christian Dueblin: Ihre Frage zielt auf die wertschöpfende Arbeit der Rechtsabteilung ab und ich kann hier nur für die Industrie und den Handel sprechen: Eine Rechtsabteilung muss darauf vertrauen, dass die kaufmännischen Angaben, wie bspw. der Preis und die Zahlungskonditionen, richtig sind. Aber auch darauf, dass die technischen Aspekte stimmen. Hierauf hat die Rechtsabteilung zwar nur bedingt Einfluss, sie muss es aber dennoch verstehen, die kommerziell besonders wichtigen und die rechtlich kritischen Punkte im Auge zu behalten. An Schulungen und Seminaren geht es daher oft zum Beispiel um das Thema der «Gewährleistung». Dabei geht es um die Frage, wie lange ein Unternehmen für Mängel an einem gelieferten Gewerk oder Produkt den Kopf hinhalten muss. Meine Erfahrung ist, dass die Rechtsabteilung grossen Einfluss auf die Vereinbarung der Gewährleistungsmodalitäten und insbesondere auch auf die Gewährleistungsfrist hat. Je kürzer eine solche beim Kunden ausfällt, desto schneller ist ein Unternehmen aus der Gewährleistung raus. Das heisst, desto schneller kann die Serviceabteilung in lukrative Wartungsverträge einsteigen. Je länger die zugestandene Gewährleistungsfrist an den Kunden ist, desto weniger Umsatz und Gewinn kann erzielt werden.

Viele Unternehmen vernachlässigen diesen Punkt und es herrscht oft keine Kostenwahrheit. Viele Unternehmen können die richtigen Zahlen in Bezug auf die Gewährleistungskosten nicht auf den Tisch legen, weil diese Zahlen nicht erhoben oder Gewährleistungskosten falsch abgebucht werden. Das ist sehr schade, denn daraus liessen sich Rückschlüsse auch auf die Arbeit der Rechtsabteilung ziehen. Sind diese Kosten zu hoch, hat das möglicherweise auch mit der Länge der Gewährleistungsfrist zu tun, auf welche die Rechtsabteilung ein Auge haben sollte. Kurzum, eine Rechtsabteilung muss dazu beitragen, dass Gewährleistungsfristen im Verkauf möglichst kurz sind, im Einkauf hingegen möglichst lang. So banal das tönt, das funktioniert oft nicht oder zu wenig gut.

Produkthaftung_Interview mit Unternehmensjurist Christian Dueblin_Legal Operations Management

Roman P. Falta: Das Thema Gewährleistung beschäftigt uns auch im Rahmen der Ausbildung unterschiedlicher Fachexperten-Lehrgänge, an denen wir beide beteiligt sind. Zusammen mit dem Verzug ist das Thema auch deshalb wichtig, weil es einen massiven EBIT-Fresser darstellt, den viele Unternehmen nicht im Griff haben. Warum ist es so, wenn man doch bedenkt, dass Unternehmen in der Regel finanzwirtschaftlich gut und bezüglich Umsatz- und Gewinn(kenn)zahlen äusserst penibel geführt werden?

Christian Dueblin: (lacht): Wir sind hier im selben Boot. Tatsache ist, dass viele Experten in Unternehmen, selbst die Geschäftsleitung, oft gar nicht wissen, was die Gewährleistung für ihr Unternehmen wirklich bedeutet. Ich habe in den letzten zwei Jahrzehnten, auch als Richter, viele Fälle begleitet, die im Nachhinein betrachtet erstaunlich sind. Sehr viele Kosten, die unter dem Titel «Gewährleistung» oder «Garantie» behandelt werden, sind bei näherer Betrachtung Kosten, die Unternehmen gar nicht tragen müssten, weil das Unternehmen oft nicht weiss, was denn die Ansprüche in Gewährleistungsfällen sind und wie man sich in einem Gewährleistungsfall korrekt verhalten muss. Viele Forderungen von Kunden unter dem Titel «Gewährleistung» stellen sich bei näherer Betrachtung als unberechtigt heraus. Unlängst hatte ich für einen Wirtschaftsverband ein Unternehmen mit über 120’000 Mitarbeitenden geschult, Experten für Verkauf und Projektleitung einer Abteilung. Ich mache den Mitarbeitenden keinen Vorwurf, im Gegenteil, sie waren extrem interessiert, aber interessant war, dass sie viele rechtliche Zusammenhänge erst in diesem Kurs zum ersten Mal verstanden haben.

Das alles heisst nicht, dass man leichthin alles ablehnen sollte, was ein Kunde fordert oder sich wünscht. Aber immerhin sollte man wissen, ob man nun etwas verschenkt oder ob man tatsächlich einen rechtlichen Anspruch erfüllt. Nicht selten passiert es, dass Unternehmen selbst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist noch Leistungen erbringen, die sie rechtlich gesehen nicht mehr erbringen müssten. Der Kunde erhält im Grunde genommen ein Geschenk und ist sich dessen oft nicht einmal bewusst. Das sind absurde Situationen. In Schulungen mache ich auf solche Fälle aufmerksam. Wenn ein Wirt Ihnen am Ende des Essens den Kaffee nicht verrechnet, Sie aber nicht darauf aufmerksam macht, dann hat er Ihnen etwas geschenkt, ohne darauf aufmerksam zu machen. Im dümmsten Fall, weil Sie vielleicht die Rechnung gar nicht detailliert prüfen, erkennen Sie diese Kulanzgeste gar nicht und können sie daher auch nicht gebührend schätzen.

Roman P. Falta: Was muss oder kann eine Rechtsabteilung tun, um hier Abhilfe bzw. Besserung zu schaffen?

Christian Dueblin: Das Thema kann stellvertretend auch für andere «EBIT-Fresser» dienen, so auch für den Verzug. Gerade jetzt befinden sich viele Firmen aufgrund von Covid und vielen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen weltweit sowie wegen Material Shortages in Verzugssituationen. Müssen Pönalen oder Verzugsschäden bezahlt werden, geht das direkt an den EBIT. Dieser kann durch zu hohe Gewährleistungskosten oder durch Kosten aus Verzug vollkommen aufgefressen werden. Man muss den zuständigen Spezialisten darum die nötigen Instruktionen und Erklärungen erteilen. Sie müssen solche Forderungen kritisch betrachten – bspw. auch Servicetechniker/innen, die sehr früh mit solchen Fällen zu tun haben – und wann immer möglich Gegensteuer geben. Das bekommt eine Rechtsabteilung hin, wenn sie die entsprechenden Experten und Expertinnen im Unternehmen regelmässig schult, Checklisten verteilt, die Verantwortlichkeiten regelt und natürlich von Anfang an gute Vertragsgrundlagen zur Verfügung stellt. Wirtschaftsverbände wie procure.ch machen das schon seit vielen Jahren. Auch die Vereinigung Schweizerischer Unternehmen in Deutschland (VSUD) mit Sitz in Basel bietet sehr pragmatische Rechtsauskünfte an. Im Grunde genommen geht es dabei auch um Standardisierung.

Dabei gilt es in Sachen Recht nicht zu übertreiben. Vorgenannte Expertinnen und Experten müssen mit Seminaren nicht zu Juristen und Juristinnen ausgebildet werden, sie müssen aber die richtigen Anknüpfungspunkte und «trigger points» kennen und sich schon von Anfang an selber richtig verhalten, um die wichtigen ersten Weichen selber stellen zu können. Dazu gehört auch im Zweifelsfall einmal die Rechtsabteilung zu konsultieren, bevor schwerwiegende rechtliche Probleme auftreten.

Auf Stufe Gesamtunternehmen ist zudem festzustellen: Vielen Unternehmen, insbesondere solche, die sehr technisch orientiert sind, sind sich der Gewährleistungskosten, um exemplarisch noch mal diesen Punkt zu nennen, schlicht nicht bewusst. Man sieht sie als notweniges Übel. Ob diese nun aber 1,2% oder 1,6% des Umsatzes betragen, ist von aller grösster Wichtigkeit. In den Schulungen zeige ich auf, wie sich in solchen Fällen der EBIT geradezu halbieren kann. Der Impact eines falschen Umgangs mit dem Thema ist enorm. Viele Firmen haben das verstanden und bilden deshalb ihre Experten aus. Ich möchte Rechtsabteilungen ermuntern, das zu tun, denn die Feed-backs sind regelmässig sehr gut und man wird mit solchen Seminaren als Enabler verstanden.

Roman P. Falta: Sie haben Wirtschaftsverbände wie die VSUD und procure.ch erwähnt, aber auch Hochschulen mit ihren Studierenden. Wie vermitteln Sie diese oft schwierigen Punkte an Nichtjuristen?

Christian Dueblin: Rechtliche Punkte wie Gewährleistung und Verzug sind für die Teilnehmenden oft gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man die Zusammenhänge praxisbezogen erklärt, auch anhand von Fällen. Die Fachexperten aus verschiedenen Abteilungen verstehen oft mehr als ich, wenn es um kaufmännische und technische Aspekte geht. Es gilt aus rechtlicher Sicht, die notwendigen Erklärungen in Sachen Recht und Verträge zu erklären resp. zu ergänzen. Das kann man mit ganz einfachen Beispielen tun, mit Eselsbrücken und Beispielen aus der Praxis.

Natürlich müssen die Teilnehmenden auch die mit der Gewährleistung verwandten Themen verstehen, um diese richtig einordnen zu können. Oft wird das Produkthaftpflichtgesetz (PrHG) mit der Gewährleistung verwechselt. Es ist an den Dozenten, oder im Unternehmen eben an den Juristen, diese Themen auseinanderzuhalten. Besonders gravierend, und das ist ein Dauerbrenner in den Industrieunternehmen, die ich vertrete, sind die Fristen. Viele technisch und kaufmännisch orientierte Experten sind der Ansicht, dass ein Unternehmen nach Ablauf der Gewährleistungsfrist noch für weitere versteckte Mängel den Kopf hinhalten müsste. Das ist natürlich nicht richtig. Ist die Gewährleistungsfrist abgelaufen, so können später in aller Regel, d.h. wenn der Kaufvertrag nicht zufällig französischem Recht unterliegt, keine Ansprüche aus versteckten Mängeln mehr durchgesetzt werden. Auch ist vielen Mitarbeitenden in Unternehmen nicht klar, dass die Gewährleistungsfrist per se nur für die versteckten Mängel gilt. Offensichtliche Mängel müssen gemäss Obligationenrecht ja direkt bei der Lieferung bzw. bei der Abnahme eines Gewerkes erkannt und gerügt werden. Auch das kann man sehr bildhaft vermitteln. Liefert etwa ein Subunternehmer ein Gewerk anstatt in Rot in der Farbe Blau und bemängelt ein Kunde später die gelieferte Farbe, bspw. im sechsten Monat der Gewährleistungsfrist, muss der Werkunternehmer rechtlich gesehen nichts mehr tun. Denn diesen Mangel hätte der Kunde bei der Abnahme erkennen und unmittelbar rügen müssen. Mit solchen und anderen Beispielen kann man die Mitarbeitenden sensibilisieren und sie befähigen, diese Zusammenhänge auch für andere und kompliziertere Fälle zu verstehen. Solche und andere Beispiele führen zu interessanten Diskussionen. Seminarteilnehmende bringen dann weitere Fälle aus ihrer Praxis, die man auch besprechen und aus denen man Parallelen ziehen kann. Damit wird ein Seminar auch nicht einfach zu einem Monolog, sondern eben zu einem Dialog.

Gewährleistung_Haftung_Legal Operations Management_Interview Christian Dueblin Unternehmensjurist

Roman P. Falta: Schon beim Erarbeiten des Buchprojektes hatten wir festgestellt, dass wichtige Themen, die Sie hier für die Industrie nennen, oft nicht in juristischen Zeitschriften, aber auch nicht in Management-Formaten erscheinen. Was ist der Grund hierfür?

Christian Dueblin: Ich habe mit sehr vielen Expertinnen und Experten, auch von diversen juristischen Formaten und Formaten für Management gesprochen, aber auch mit vielen Juristinnen und Juristen. Das Problem liegt vor allem darin, dass viele Themen für die juristischen Formate zu wenig juristisch sind und für die Management-Formate zu wenig Managementinhalt mit sich bringen, möglicherweise zu viel Juristisches. So finden sich viele dieser eigentlich sehr interessanten Themenbereiche zwischen Stuhl und Bank. Bei Schulungen für Fachhochschulen, Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ist das aber anders. Dort sind die vorhin besprochenen Themen wichtig und angesagt.

Roman P. Falta: Sie haben Vertragsvorlagen genannt, die von der Rechtsabteilung zur Verfügung gestellt werden müssen. Was gilt es beim Handling solcher Vorlagen zu beachten?

Christian Dueblin: Die Erfahrung zeigt, dass Verträge so formuliert werden sollten, dass sie nicht nur von Juristen verstanden werden. Es ist ein Unding und ich sehe das in der Praxis, dass Mitarbeitenden Verträge zur Verfügung gestellt werden, die nur noch von Juristen verstanden werden können. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden und stets zu standardisieren. Unter den meisten europäischen Rechtsordnungen ist es möglich, relativ schlanke Verträge abzuschliessen, wogegen in den USA Verträge oft enorm kompliziert sind, so dass selbst ich hin und wieder externe Experten beiziehen muss. Der Venture Kapitalist und Unternehmer Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier, ex-CFO von Roche, hat im Vorwort des Praxishandbuchs Legal Operations Management auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Ihm war es ein grosses Anliegen, diesen Punkt zu erörtern. Besonders für kleinere Unternehmen und Start-ups ist der Gang in die USA ein rechtliches Minenfeld. Sehr schnell benötigt man dort teure Experten, die sich manches Unternehmen nicht leisten kann. Man kann in solchen Momenten mit guten Vorlagen etwas entgegenwirken, zum Beispiel mit Haftungsbegrenzungsvorlagen, die man den Verkäufern zur Verfügung stellt. Leider lassen sich hohe Kosten in solchen Fällen jedoch nicht ganz verhindern. Aber auch in den USA gilt es, die Mitarbeitenden in einer Tochtergesellschaft möglichst gut zu schulen und ihnen die richtigen Tools für den Geschäftsalltag zur Verfügung zu stellen.

Roman P. Falta: Nicht alle Unternehmen in der Schweiz haben eine eigene Rechtsabteilung. Viele kleinere und mittlere Unternehmen werden von externen Fachspezialisten wie Anwälten oder Treuhändern rechtlich unterstützt. Was unterscheidet eine interne von einer externen Rechtsberatung in einem Unternehmen?

Christian Dueblin: Ich arbeite mit vielen Anwältinnen und Anwälten auf der ganzen Welt zusammen. Es gibt immer wieder Situationen, in denen man auf die Expertise von Fachpersonen angewiesen ist. Gerade dort, wo es um nur einmalige bzw. äusserst seltene Expertisen geht, für die es im eigenen Unternehmen keinen Sinn macht, entsprechendes Know-how intern vorzuhalten, lohnt es sich, mit externen Fachkräften zu arbeiten. Wenn man bspw. eine Datenschutz-Regulation haben muss, macht es für ein KMU keinen Sinn, sich dieses Wissen selber anzueignen. Viel einfacher ist es, eine solche Regulation im Sinne des eigenen KMUs durch Dritte erstellen zu lassen. Ähnliches sieht man zum Beispiel auch bei Fragen des Wettbewerbs- und Kartellrechts (siehe dazu das Interview mit Dr. Jens Steger) oder bei M&A-Transaktionen (siehe dazu das Interview mit Dr. Steffen Dietz). Nur grössere Unternehmen können sich das ständige Vorhalten eigener Spezialisten für allerlei rechtliche Spezialgebiete erlauben. Es gibt Firmen, die sich solche Fachkräfte auch leisten, um die Politik und Wirtschaft beraten und allenfalls auch beeinflussen zu können. Herr Alfred N. Schindler, seines Zeichens ebenfalls Jurist, hat hierzu im Buch Legal Operations Management interessante Aussagen gemacht, was die Firma Schindler betrifft.

Für die alltäglichen Herausforderungen, wie Contract und Claims Management, muss sich jedes Unternehmen fragen, ob sich eine eigene Rechtsabteilung wirklich lohnt. Dafür bedarf es auch der Kostenwahrheit. Ein Unternehmen muss rechnen, was die externen Experten kosten und was die allfälligen Einsparungen sind, wenn man selbst eine eigene Rechtsabteilung aufbaut.

Roman P. Falta: Gibt es neben den Kosten auch qualitative Aspekte, die bei einer solchen Entscheidung eine massgebende Rolle spielen?

Christian Dueblin: Hier kommt es sehr auf den externen Berater, auf die externe Anwaltskanzlei bzw. deren Mitarbeitende an. Ich arbeite seit Jahren mit externen juristischen Fachspezialisten, die sehr erfahren sind und einen pragmatischen Ansatz verfolgen. Sie wissen von Anfang an, worauf es ankommt und sie werden von mir auch jeweils vollumfänglich instruiert; unter solchen Voraussetzungen ist die Zusammenarbeit mit Dritten produktiv und effizient. Einer der grössten Nachteile beim Einsatz externer Experten ist deren zeitliche Verfügbarkeit und die fehlende Nähe zu den Fachexperten in einem Unternehmen. Sie sind oft nicht innerhalb von wenigen Stunden verfügbar, da ja noch andere Kunden bedient werden müssen, und sie sind nur punktuell an Geschäften beteiligt, was oft nicht reicht, eine Vertrauensbeziehung mit den Mitarbeitenden aufzubauen. Diese Distanz zu Mitarbeitenden im Unternehmen darf nicht unterschätzt werden. Viele Problemfälle lassen sich juristisch nur dann lösen, wenn man sehr nahe an den eigenen Mitarbeitenden im Unternehmen dran ist. Die interne Rechtsabteilung kann in aller Regel schneller reagieren, kennt die Kunden des Unternehmens, die eigenen Produkte, die beteiligten Mitarbeitenden und verfügt oft bereits über Erfahrungen aus ähnlichen Fällen, die sich in der Vergangenheit ereignet haben.

Roman P. Falta: Apropos Aufbau von Rechtsabteilungen: Gibt es kritische Punkte, die man bei der Rekrutierung von juristischem inhouse-Personal frühzeitig prüfen sollte?

Christian Dueblin: Die fachlichen Kompetenzen studierter Juristinnen und Juristen liegen in aller Regel vor. Manchmal fehlt es vielleicht etwas an Erfahrung und an Pragmatismus, was aber eben wieder mit Erfahrung zu tun hat und der Tatsache, dass man Verantwortung übernehmen können muss. All das kann man sich «on the job» aneignen. Prof. Dr. iur. et lic. oec. HSG Heinrich Koller, Fürsprecher und Notar, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Justiz im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), hat dazu im Interview mit Xecutives.net sehr interessante Aussagen gemacht, auch zur Ausbildung von Juristinnen und Juristen.

Bezüglich charakterlicher Eigenschaften ist es so eine Sache. Der Charakter lässt sich nur schwer verändern. Der inhouse-Jurist muss sicher ein Teamplayer sein, er muss Freude haben am Unternehmertum, er muss eine Vertrauensperson darstellen und Verantwortung übernehmen können. Auch muss er der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat gegenüber loyal eingestellt sein. Er funktioniert, so sage ich das manchmal an Vorträgen und Seminare, wie ein Landarzt. Dieser muss von allem eine Ahnung haben. Wenn es um sehr spezielle Diagnosen und medizinische Eingriffe geht, ist der Landarzt auf den Facharzt angewiesen, den Spezialisten.

Alles in allem muss die Rechtsabteilung in der Industrie «hands-on» funktionieren und eine Enablerin sein, auf die sich die Mitarbeitenden verlassen können. Sonst wenden sich die Mitarbeitenden eines Unternehmens von der Rechtsabteilung ab. Das ist schade, passiert aber tatsächlich immer wieder. In solchen Fällen fängt die Rechtsabteilung nicht selten an, sich mit sich selber zu beschäftigen, was mit Wertschöpfung aber nichts mehr zu tun hat. Die Rechtsabteilung findet dann Themen, die juristisch zwar interessant, für den Geschäftsgang aber bedeutungslos sind. Das Management muss solche Vorkommnisse erkennen und möglichst rasch Gegensteuer geben. Hier sind wir wieder bei der ursprünglichen Frage, was man von Seiten Unternehmen von einer Rechtsabteilung erwarten darf. Die Mitarbeitenden dürfen auf alle Fälle erwarten, dass die Rechtsabteilung Zeit hat für ihre Belange. Sie muss schnell und pragmatisch tätig werden, so dass mit den Dienstleistungen die Mitarbeitenden im Unternehmen ihre Projekte abwickeln können. Wenn sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin schon eine Woche zuvor bei der Rechtsabteilung anmelden muss und dann lediglich ein volljuristisches Gutachten erhält, stimmt etwas nicht. Hier gilt wieder meine 24-Stundenregel, die ich in meinen Rechtsabteilungen selber einzuhalten versuche.

Roman P. Falta: Ich bedanke mich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben und freue mich auf weitere Gespräche und auf einen weiteren Austausch in Bezug auf diese spannenden Themen!

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