Buddy Elias, mit richtigem Namen Bernhard Elias, wurde 1925 in Frankfurt am Main geboren. Er besuchte in jungen Jahren die Schauspielschule am Konservatorium in Basel und nahm Schauspielunterricht bei Ernst Ginsberg in Zürich. Von 1947 bis 1961 war er als Komiker für die Revue ‚Holiday on Ice‘ tätig. Nebst unzähligen Einsätzen für Theater in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und England trat Buddy Elias in rund 80 Film- und Fernsehproduktionen auf. Er arbeitete mit Regisseuren wie Peter Zadek, Peter Lilienthal und Michael Verhoeven. Seine Herkunft und familiären Verbindungen – Buddy Elias ist der letzte lebende Cousin und direkte Verwandte von Anne Frank – haben sein Leben tief geprägt. Seit 1996 ist er Präsident des Anne Frank-Fonds in Basel und verwaltet die Urheberrechte an Anne Franks Tagebuchtexten. Im Gespräch mit Christian Dueblin erzählt Buddy Elias von seiner Schauspielkarriere, seinen Erfahrungen mit Hollywood, seiner Familie, über die Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg und von seinen Träumen für die Zukunft.
Dueblin: Herr Elias, auf dem Bücherregal meiner Eltern standen Bücher über den zweiten Weltkrieg. Darin ging es um die Aufdeckung von enormen Gäueltaten an Juden und vielen anderen Menschen und um die Bewältigung dieser düsteren Vergangenheit. Auf demselben Regal lag auch ein jüdisches Buch mit jüdischen Witzen. Ich habe diese Bücher als Kind angeschaut und diesen Widerspruch nicht verstanden. Menschen jüdischen Glaubens mussten in den letzten Jahrhunderten vieles über sich ergehen lassen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen gibt es viele jüdische Witze, und die jüdische Kletzmer-Musik explodiert oft vor Lebensfreude. Wie beurteilen Sie als Komiker und Schauspieler diese Gegensätze?
Buddy Elias: Der jüdische Humor ist tatsächlich einzigartig und steht, wie Sie richtigerweise selber festgestellt haben, in einer besonderen Beziehung zur Geschichte der Juden. Man muss zuerst zwei ganz wesentliche Dinge unterscheiden: Es gibt Judenwitze. Diese Witze sind entsetzlich und in Anbetracht der Vorkommnisse in der Vergangenheit verwerflich und geschmacklos. Dann gibt es den jüdischen Witz, d.h. den jüdischen Humor. Dieser ist wunderbar und einzigartig in seiner Art. Er hat den Juden geholfen, die vielen entsetzlichen Situationen in den letzten Jahrhunderten zu überstehen. Er steht tatsächlich in einem gewissen Widerspruch zum Schicksal der Juden. Der jüdische Witz spiegelt die ganze Tragik, die dem jüdischen Volk widerfahren ist. Er geht sehr tief und ist überaus selbstkritisch. Ich erzähle Ihnen einen Witz, der das sehr gut aufzeigt: Ein SS-Mann sagt in einem KZ zu einem jüdischen Inhaftierten: ‚Wenn du mir sagen kannst, welches meiner Augen das Glasauge ist, dann bist du ein freier Mann und darfst das KZ verlassen.‘ Der jüdische Häftling sagt ohne zu zögern: ‚Das linke Auge ist das Glasauge.‘ Darauf der SS-Mann etwas irritiert: ‚Wie hast du das so schnell herausgefunden?‘ Darauf der Jude: ‚Es schaut so menschlich.‘ Sie sehen, das ist nicht ein Witz, bei dem man laut lachen muss. Man schmunzelt einerseits und erkennt andererseits die Tiefe und die Tragik, die hinter diesem Witz stecken.
Dueblin: Sie haben den zweiten Weltkrieg selber miterlebt und einen wichtigen Teil Ihrer Familie verloren. Was haben Sie für ein Bild der Schweiz in Bezug auf den Krieg und den Umgang mit der Vergangenheit?
Buddy Elias: Es gibt zwei Extreme. Auf der einen Seite gab es in der Schweiz Menschen, die sich selbstlos für das Gute eingesetzt haben. Das werde ich nie vergessen, und ich bin allen diesen Menschen gegenüber sehr dankbar. Ich denke dabei an Menschen wie Paul Grüninger oder Gertrud Kurz, die viele Menschenleben, nicht nur jüdische, gerettet haben. Auf der anderen Seite gab es Leute, die sich meines Erachtens nicht richtig verhielten. Die Politik von einflussreichen Menschen wie Heinrich Rothmund oder Eduard von Steiger hat mir sehr missfallen. Laut diesen Personen bestand eine Gefahr, die sie ‚Verjudung‘ nannten. Diese Meinung haben viele Menschen geteilt, und sie hat, wie wir wissen, zu viel Elend geführt.
Dueblin: Die NZZ berichtet in ihrer Ausgabe vom 27. Dezember 2007 über neues Zahlenmaterial, das vorliege und bestätige, dass die Schweiz in den letzten Kriegstagen wohl viel mehr verfolgten Personen Zutritt gewährt habe, als man gemeinhin, vor allem aufgrund der Erhebungen von Carl Ludwig, angenommen habe. Was sagen Sie zu diesen Zahlen und was lösen solche Debatten bei Ihnen aus?
Buddy Elias: Ich kann diese Zahlen nicht beurteilen. Es wurden viele Menschen ins Land hinein gelassen. Viele wurden aber auch wieder ausgeliefert und später ermordet. Der grösste Teil der Menschen, die vor der Grenze standen und keinen Einlass fanden, ist später ermordet worden. Meine Ansicht ist, dass das Boot in der Schweiz nie voll war, zu keinem Zeitpunkt. Es war aber eine Zeit der Verunsicherung. Wir Juden in der Schweiz hatten ebenfalls sehr grosse Angst, denn wir wussten, dass ein Einmarsch der Deutschen unseren sicheren Tod bedeutet hätte.
Dueblin: Sie haben sich Ihr ganzes Leben Gedanken über das jüdische Volk und dessen Geschichte gemacht. Sie selber sind kein praktizierender Jude. Sie setzen sich öffentlich für Toleranz und religiöse Meinungsfreiheit ein. Wie erklären Sie sich selber den konstant ‚aufflackernden‘ Antisemitismus auf dieser Welt?
Buddy Elias: Das fängt bei der Ermordung von Jesus Christus an. Antisemitismus ist schon viele Jahrhunderte alt und in vielen Völkern eine sehr starke und treibende Kraft. Man hat immer wieder Sündenböcke für etwas gesucht und mehrfach die Juden zu solchen gemacht. Die meisten Antisemiten sind interessanterweise nie einem Juden begegnet. Ich selber bin kein typischer Jude und bin in meinem Leben nie diskriminiert worden. Manchmal, wenn ich im Tram fahre, sehe ich jedoch orthodoxe Juden und beobachte, wie andere Menschen auf sie reagieren. Ich sehe dann oft eine gewisse Ablehnung, aber auch Angst in den Augen der Menschen. In den Menschen ist eine tiefe Angst vor dem Unbekannten verwurzelt. Heute stelle ich dieselben Reaktionsmuster in Bezug auf muslimische Menschen fest.
Dueblin: Als Präsident des Anne Frank-Fonds verwalten Sie die Urheberrechte an den Tagebuchtexten Ihrer 1945 im Konzen-trationslager Bergen-Belsen ermordeten Cousine Anne Frank. Sie halten in dieser Funktion seit vielen Jahren regelmässig Vorträge an Schulen und sprechen mit jungen Menschen über das Schicksal der Juden. Wie erklären Sie sich das auch heutzutage immer noch sehr grosse Interesse an diesem Buch bei jungen Menschen?
Buddy Elias: Gerade heute habe ich Post von einer kanadischen Schulklasse erhalten (zeigt einen dicken Stapel mit Aufsätzen, Gedichten und Briefen an und für Anne Frank). Die Klasse hat das Tagebuch von Anne Frank gelesen und einen Dokumentarfilm über ihr Leben gesehen. Die Schülerinnen und Schüler haben Gedichte und Texte über das Buch und für Anne Frank geschrieben. Ich habe noch gar nicht die Zeit gehabt, alles zu lesen. Aber es berührt mich und freut mich sehr, dass sich junge Menschen mit dem Leben von Anne Frank und damit auch mit der Geschichte auseinandersetzen. Das Interesse an Anne Frank und ihrem Leben ist wirklich sehr gross. Das Buch wurde bis heute rund 40 Millionen Mal verkauft. In Japan wird Anne Frank schon fast als Heilige betrachtet. Das Buch ist ein Zeitdokument, das anrührt. Es ist ein sehr humanes Buch. Im zweiten Weltkrieg sind sechs Millionen Menschen ermordet worden. Eine solche Zahl richtig zu erfassen ist jedoch schwierig. Das Buch hingegen beschreibt das Schicksal eines einzelnen Mädchens. Anne hatte das Tagebuch zu ihrem 13. Geburtstag erhalten. Schon einen Monat später musste sie sich verstecken. In diesem Versteck hat sie dann angefangen, ihr Tagebuch zu führen. Das Tagebuch endet am 1. August 1944. Im März 1945 wurde sie dann ermordet. Mit den finanziellen Mitteln, die das Buch einbringt, unterstützen wir seit vielen Jahren Menschen auf der ganzen Welt, auch in der Schweiz. Wir unterstützen friedensfördernde und völkerverbindende Organisationen sowie Projekte für notleidende Kinder. In Israel werden nur solche Organisationen berücksichtigt, die mit den Palästinensern zusammen arbeiten.
Dueblin: Herr Elias, gerne möchte ich mich mit Ihnen auch noch über Ihre Schauspielerkarriere unterhalten, die Ihr Leben ebenfalls sehr geprägt und auch ausgefüllt hat. Sie haben sich als Schauspieler einen grossen Namen gemacht. Ihre Filmographie und die Liste der Theaterstücke, in denen Sie mitgespielt haben, sind schier unendlich. Welche Produktionen haben Sie besonders geprägt oder woran denken Sie besonders gerne zurück?
Buddy Elias: Das ist schwer zu sagen. Ich habe sehr viel für das Fernsehen gedreht. Kinofilme habe ich nicht viele gemacht. Eine sehr schöne Zeit waren die Dreharbeiten für die Serie ‚Mit Leib und Seele‘, in der ich an der Seite von Günther Strack gespielt habe. Günther Strack und ich waren eng befreundet. Er war ein ausgezeichneter Schauspieler, ein grossartiger Mensch, den ich sehr geschätzt habe und den ich heute sehr vermisse.
Dueblin: Sind Sie in Ihrem Leben auch mit ‚Hollywood‘ in Kontakt gekommen?
Buddy Elias: (Lacht) Ja, auch Hollywood hat mich gestreift. Ich hatte Kontakt mit Steven Spielberg. In ‚The Magician of Lublin‘, einem Film mit Shelley Winters und Alan Arkin, spielte ich eine Nebenrolle. Aufgrund einer kleinen Rolle im Film ‚Sunshine‘ hatte ich das Vergnügen, Ralph Fiennes und Rachel Weisz kennen zu lernen. Das waren sehr spannende Momente.
Dueblin: Welches ist Ihre Traumrolle, die Sie noch spielen möchten?
Buddy Elias: Eine Traumrolle, die ich noch spielen möchte, habe ich heute nicht mehr. Mir ist vor vielen Jahren eine Traumrolle angeboten worden. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, Cyrano de Bergerac in Berlin am Theater zu spielen. Leider war ich aber zur selben Zeit bereits in Mannheim verpflichtet und konnte diese Rolle nicht annehmen. Cyrano de Bergerac hätte ich schon sehr gerne verkörpert. Eine persönliche Traumrolle hatte ich als Schauspieler in den ‚Canterbury Tales‘ in London. Das war mein schauspielerischer Höhepunkt. Zurzeit spiele ich am Fauteuil Theater in Basel im Stück ‚Darfs e bitzeli meh si?‘. Auch das ist eine Rolle, die mich sehr glücklich macht. Es geht um eine irrwitzige Geschichte eines Herrn, der in verschiedenen Rollen Sozialbezüge einstreicht und irgendwann mit seinen Rollen völlig überfordert ist. Das Stück läuft aufgrund seines grossen Erfolges im März 2008 noch ein paar Mal.
Dueblin: Herr Elias, Sie sind zweifelsohne ein Basler, wie er ‚leibt und lebt‘. Vor kurzem hat man Ihnen für Ihr Lebenswerk den 13. Basler-Stern verliehen, wozu Xecutives und ich Ihnen ganz herzlich gratulieren. Sie reihen sich damit in eine illustre Gesellschaft von Persönlichkeiten ein, zu denen beispielsweise Christian Gross, Vera Oeri und das Ehepaar Beyeler gehören.
Buddy Elias: Der Basler-Stern hat mich sehr geehrt. Es freut mich zu wissen, dass viele Menschen meine Arbeit schätzen und mich mögen. Ich bin in Basel aufgewachsen und bin sehr stolz auf meine Stadt.
Dueblin: Was wünschen Sie sich als Basler und Schweizer für die Zukunft?
Buddy Elias: (Denkt lange nach) Frieden, natürlich Frieden und Humanismus! Das ist das Wichtigste auf der Welt. Die Fremdenfeindlichkeit muss aufhören! Dagegen müssen wir immer wieder von neuem kämpfen. Ich wünsche mir auch Gesundheit und weitere schöne Jahre mit meiner Frau. Sie ist mein Leben! Wir sind seit 43 Jahren verheiratet. Es gab in meinem Leben wohl kein grösseres Glück als meine Frau und meine Rolle als Ehemann. Vielleicht werde ich noch die eine oder andere Rolle fürs Fernsehen annehmen. Ausserdem möchte ich meine Söhne weiterhin bei Ihren Tätigkeiten unterstützen und beraten. Beide sind Schauspieler und mein Sohn Patrick unterstützt und begleitet auf eine ganz spezielle Weise Menschen in besonderen Lebenslagen. Das sind meine Wünsche für die Zukunft.
Dueblin: Herr Elias, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen auch im Namen von Xecutives weiterhin viel Glück und Erfolg bei Ihren Projekten!
(C) 2008 by Christian Dueblin. Alle Rechte vorbehalten. Anderweitige Publikationen sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.
_________________________
Links:
– Wikipedia
– ANNE FRANK-Fonds, Anne Frank.org, Wikipedia: Biographie von Anne Frank
– Portrait Patrick Elias