Tim Fehlbaum wurde 1982 in Basel geboren und bewarb sich nach seiner Matura für ein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 2009 schloss er sein Studium als Filmemacher ab. Zu seinen Erstlingswerken gehören u.a. der Kurzfilm wie „Für Julian“ (2004) oder „Am Flaucher“ (2006), wo er als Kameramann mitwirkte. 2011 reüssierte er mit seinem ersten Feature Film „Hell“, der international auf grosses Interesse stiess, nicht zuletzt auch, weil der Film von Roland Emmerich unterstützt und von Thomas Woebke produziert wurde. Der Endzeitfilm mit einer Hannah Herzsprung in der Hauptrolle wurde mehrfach ausgezeichnet und für den Deutschen Filmpreis nominiert. Der Film wurde am Locarno Film Festival erstmals auf der ganz grossen Leinwand präsentiert.
Im Interview gibt Tim Fehlbaum Einblicke in seine Karriere als Filmemacher. Er zeigt auf, wie er selber zum Film gefunden hat und was es braucht, um im Filmgeschäft bestehen zu können. Fehlbaum beschreibt, wie es zur Zusammenarbeit mit Roland Emmerich gekommen ist, der von seinen Kurzfilmen so begeistert war, dass er ihn beim Filmprojekt „Hell“ unterstützte. Zusammen mit Thomas Woebke ist Tim Fehlbaum als Ehrengast des Basler Gässli Film Festivals 2020 eingeladen. Die beiden werden ihre Filmwerke zeigen und setzen sich an Workshops mit filminteressierten Menschen auseinander.
Xecutives.net: Lieber Herr Fehlbaum, Sie sind ein Filmemacher aus Leidenschaft und Thomas Woebke bezeichnet Sie als Ausnahmetalent. Wir werden Ihre Karriere noch zusammen besprechen. Jedoch möchte ich Sie eingangs fragen, wie Sie selber zum Film gekommen sind. Gab es ein Erlebnis in Ihrer Jugend, das Sie geprägt oder ein Film, der Sie besonders beeindruckt hatte?
Tim Fehlbaum: Ich habe sehr früh schon eine Faszination für den Film entwickelt. Mein Vater hat dazu sicher auch seinen Beitrag geleistet. Er hat mich schon als Kind für Filme begeistert, hat gerne Hitchcock Filme angeschaut und diese Filme mit mir besprochen. Ich habe mit ihm somit nicht nur Filme als reine Unterhaltung geschaut und genossen, sondern wir setzten uns auch damit auseinander, was hinter den Kulissen passiert ist. Das hat mich sehr sensibilisiert und hat natürlich meine Beziehung zum Thema Film noch einmal verstärkt. Zudem liebte ich es schon als Kind, ins Kino zu gehen oder zu Hause Videokassetten zu schauen. Auch habe ich mich schon immer für die Technik interessiert, insbesondere für Videokameras und -rekorder. Dafür war ich nicht so oft auf dem Fussballfeld, wie meine Freunde und Kollegen.
Xecutives.net: Sie sind als Ehrengast des Basler Gässli Film Festivals eingeladen worden, zusammen mit dem deutschen Filmproduzenten Thomas Woebke. Dort werden Sie, wie das seit vielen Jahren schon der Fall ist, auf viele junge Menschen treffen, die sich mit dem Thema Film auseinandersetzen oder vielleicht selber ins Filmgeschäft einsteigen möchten. Sie selber haben alles auf eine Karte gesetzt und eine Filmschule besucht. Wie kam es zum Entscheid, das Filmemachen als Beruf zu wählen und wie hat Ihr Umfeld, vor allem auch Ihre Familie, auf diesen Entscheid und Wunsch reagiert?
Tim Fehlbaum: Es gab kein konkretes Ereignis, das ausschlaggebend gewesen wäre. Für mich war es immer klar, dass ich nach der Schule Filme machen wollte. Ich machte mich schlau, was es an Schulen und Institutionen gab, um sich weiterbilden zu können, und ich entschied mich schliesslich für eine Bewerbung in München an der Hochschule für Fernsehen und Film. Dort habe ich mich direkt nach Abschluss meiner Matura beworben und bin von der Schule auch angenommen worden.
Meine Familie hat mich bei meinem Entscheid sehr unterstützt. Meinen Eltern war klar, dass ich es ernst meine mit dem Filmgeschäft. Es war ihnen bewusst, dass das nicht einfach eine Flause oder Marotte war. Meine Eltern haben gut beobachtet, was ich in meiner Freizeit machte und sie haben meine Projekte stets unterstützt. Schliesslich haben sie auch erkannt, dass ich mit anderen Sachen nicht glücklich werden würde.
Bei einem traditionellen Schülertheater-Projekt, welches in vielen Schulen in Basel im Vormatura-Jahr durchgeführt wird, um die anstehende Matura-Reise zu finanzieren, entschied ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Klasse, nicht ein Theater aufzuführen, sondern einen Film zu drehen. Das war für mich der Moment, an dem ich selber gemerkt hatte, dass ich diesen Weg unbedingt weiter gehen wollte. Das Erarbeiten dieses ersten Films zusammen mit meinen Schulkollegen war eine grosse Herausforderung und eine schöne Motivation.
Xecutives.net: Sie werden sich am Filmfestival mit vielen auch sehr jungen Menschen auseinandersetzen, die alle in Sachen Film das eine oder andere machen wollen oder vorhaben. Wo erkennen Sie die Chancen und Risiken, die ein angehender Filmemacher oder eine angehende Filmemacherin vor Augen haben sollte?
Tim Fehlbaum: Ich hatte das Glück, dass ich mich in einer Zeit mit dem Filmemachen befasste, in der die technischen Entwicklungen im Video-Bereich so rasant waren, dass man plötzlich von „zuhause“ aus einen Film herstellen konnte. Spätestens mit dem Aufkommen des Formates Hi8 wurden Videokameras erschwinglich und die Objektive wurden lichtempfindlicher. Man brauchte also nicht mehr grosse Scheinwerfer und es gab beispielsweise erste Schnittsysteme für den Videorekorder, die man von zuhause aus bedienen konnte. Das wäre 20 Jahre vorher, als man, um einen Film herstellen zu können, auf ein Labor und vieles mehr angewiesen war, noch unvorstellbar gewesen. Heute sind die technischen Hürden nochmals geringer geworden; es kann jeder mit seinem iPhone einen Film machen. Es gibt jede Menge Plattformen für den Austausch und die Präsentation von Kurzfilmen. Daher würde ich jedem jungen, angehenden Filmemacher oder jeder Filmemacherin empfehlen, loszuziehen und Kurzfilme zu drehen, oder auch Musikvideos. Das muss nicht auf einem technisch sehr hohen Niveau passieren. Wichtig ist jedoch, dass eine Idee, eine Vision und der Drang zum Erzählen spürbar werden. Das ist der Moment, in dem die Menschen, also die Zuschauer, aufmerksam werden.
Xecutives.net: Es geht, wie Sie sagen, nicht nur um den Film an sich, es geht um viele technische Angelegenheiten und um das Erzählen einer Geschichte, welche die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen vermag. Sie haben das offenbar sehr gut gemacht und haben auch die Aufmerksamkeit von Roland Emmerich auf sich gezogen, der Ihre Kurzfilme bewundert und Sie später beim Film „Hell“ unterstützt hat. Was war es, das Roland Emmerich an Ihren Kurzfilmen so begeisterte, dass er anfing, Sie mit Ihren Filmprojekten zu unterstützen? Was hat er in Ihren Filmen erkannt?
Tim Fehlbaum: Als ich als Filmstudent mit dem Drehbuch und der Konzeption eines postapokalyptischen Filmes anfing, wurde ich von vielen nicht ernst genommen. Also habe ich mit geringem Aufwand einen Kurzfilm gedreht, der auf der visuellen und stilistischen Ebene vermitteln sollte, wie ich mir das vorstelle. Es geht darum, dass man mit einem Kurzfilm zeigt, was man mit dem Langfilm später vorhat. Dafür gibt es heute den Begriff „proof of concept“. Auf diesen Film wurde vorerst Thomas Woebke aufmerksam, und er wollte den Film „Hell“ angehen. Thomas Woebke kannte Roland Emmerich und war überzeugt davon, dass er Interesse an dem Projekt haben würde und uns als Executive Producer zur Seite stehen würde. Also schickte er ihm meine Kurzfilme und das Drehbuch. Aber Roland ist ein vielbeschäftigter Mann und hatte keine Zeit, sich die Sachen anzuschauen. Irgendwann jedoch heiratete seine Schwester in Italien und Roland Emmerich suchte jemanden, der ein Video dieser Hochzeit machen sollte. Das sah Thomas als unsere Chance. Wir haben das Hochzeitsvideo gedreht und mit grossem Aufwand geschnitten und vertont. Als Roland diesen Hochzeitsfilm sah, wollte er die Kurzfilme sehen. So nahmen die Dinge ihren Lauf.
Xecutives.net: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Roland Emmerich beim Film „Hell“ wahrgenommen. Ich gehe davon aus, dass auch ein gewisser Erwartungsdruck auf einem selber lastet, wenn jemand wie Emmerich, der Milliarden mit seinen Filmen eingespielt hat, einem über die Schulter schaut.
Tim Fehlbaum: Roland Emmerich wird gerne als „Master of Disaster“, als Regisseur der grossen Spezialeffekt-Filme bezeichnet. Was mich jedoch in den Gesprächen und der Zusammenarbeit mit ihm immer wieder erstaunt, ist, was für ein feines Verständnis und Gespür für Geschichten und Charaktere er hat. Er hat eine unglaubliche Intuition dafür, wie man es schafft, dass der Zuschauer an der Geschichte und den Charakteren dran bleibt. So war sein Rat beim Entwickeln des Drehbuchs und gerade auch in Bezug auf den Schnitt unersetzlich.
Aber auch bei der Umsetzung der visuellen Effekte hatte er grossen Einfluss. Interessanterweise halfen seine Ideen oft, den Einsatz von Computereffekten zu reduzieren, indem er tolle Ideen für praktische Spezialeffekte hatte, die man mit einfachen Mitteln am Set umsetzen konnte. Roland hat somit als „Executive Producer“ nicht nur mit seinem Namen geholfen, sondern auch einen wesentlichen kreativen Einfluss auf den fertigen Film ausgeübt.
Xecutives.net: Der Film „Hell“ erinnert an die „Backwood Films“ der 70er- und 80er-Jahre, auch an Mel Gibson und Mad Max. Was war der Grund, sich diesem Genre zu widmen, das heute von vielen Studios gerne bedient wird? Warum haben Sie nicht eine andere Geschichte erzählt, etwa eine Komödie gedreht?
Tim Fehlbaum: Viele Autoren und Regisseure ziehen ihre Inspiration aus dem echten Leben. Ich muss aber ehrlich sagen, dass es in erster Linie andere Filme und Genres sind, die mich selber inspirieren. Die Liste von Filmen die als Inspiration für „Hell“ dienten, ist lang. Mich interessiert das Spiel mit den Genres und Film-Konventionen. Ich wollte einen Film machen, der von seinem Thema und Setting her vielleicht an Filme wie „Mad Max“ erinnert, aber die Besetzung und die Art und Weise, wie der Film erzählt werden sollte, sollte einen „European Arthouse“-Touch aufweisen. Ich wollte eine phantastische Prämisse als Grundlage nehmen, die Geschichte aber so realistisch und lebensnah wie möglich erzählen.
Das zweite, was mich beim Filmemachen und meinen Filmprojekten inspiriert, sind visuell spannende Orte. Die Vorstellung, mit einfachen Mitteln einen apokalyptischen Film in den Alpen zu erzählen, reizte mich darum sehr. Und dann kam die Idee mit der Sonne dazu. Auch hier war es in erster Linie der visuelle Aspekt, der mich reizte und forderte; die Bilder einfach überstrahlen zu lassen, schien mir nicht nur eine interessante, ungewohnte Ästhetik, sondern half gleichzeitig, das Budget im Rahmen zu halten. Immer wenn ein Teil des Bildes nicht in die apokalyptische Welt passte, liessen wir dort das Bild überstrahlen. Das half, viele teure Korrekturen durch Computereffekte zu umgehen.
Xecutives.net: Sie haben für den Film Hannah Herzsprung gewinnen können, auch Lisa Vicari. Hannah Herzsprung ist mir unlängst im Film „Traumfrauen“ wieder aufgefallen. Es ist interessant zu sehen, wie Sie diese Schauspielerin in Ihrem Endzeitfilm einsetzen und ich bin immer wieder erstaunt, wie flexibel und anpassungsfähig sie sind. Staunen Sie manchmal selber über die Leistungen der Schauspieler?
Tim Fehlbaum: Ja, absolut. Schauspieler wie Hannah Herzsprung schaffen es, in dem Moment, wo das „und bitte“ fällt, alles rundherum zu vergessen, die Kameras, das Team, die Kulisse, um absolut in dem Moment überzeugend zu sein. Ich hatte das grosse Glück, gleich bei meinem ersten Film mit so hochkarätigen und talentierten Schauspielern und Schauspielerinnen arbeiten zu dürfen, so, dass ich in der Führung nicht mehr viel tun musste und mich umso besser auf den technischen Teil der Umsetzung des Filmwerks konzentrieren konnte. Das ist ein grosses Privileg.
Xecutives.net: Herr Fehlbaum, ich bedanke mich für dieses Interview und wünsche Ihnen zusammen mit Thomas Woebke ein tolles Basler Gässli Film Festival 2020. Auch wünsche ich Ihnen für Ihre weiteren Filmprojekte viel Erfolg!
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