Anna Rossinelli, geboren 1987, gehört spätestens seit ihrem Auftritt am Eurovision Song Contest zu den bekanntesten Sängerinnen und Musikerinnen in der Schweiz. Zusammen mit ihren Musikern Manuel Meisel (guitars) und Georg Dillier (bass) qualifizierte sie sich mit ihrem Trio „Anna Rossinelli“ und dem Song „In Love For A While“ für das Finale am Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf, was seit 2006 keinem Schweizer Musiker mehr gelang, und wurde über Nacht eine gefragte Sängerin und Songwriterin. Mit dem Debüt-Album „Bon Voyage“ (Universal Music) legen Anna Rossinelli und ihre Musiker einen Gang zu und überzeugen mit gutem „groovigem“ und vielseitigem Sound. Im Gespräch mit Christian Dueblin spricht Anna Rossinelli über ihre Idole, Mentoren, ihr Verständnis für Musik und zeigt auf, wo die musikalische „Voyage“ auch noch hinführen könnte.
Dueblin: Liebe Frau Rossinelli, bevor wir auf Ihre Erfahrungen und Ihre neue CD „Bon Voyage“ zu sprechen kommen, möchte ich Sie fragen, was Ihre frühsten musikalischen Erinnerungen sind und was Musik ganz generell in Ihrem Leben bisher für eine Bedeutung hatte?
Anna Rossinelli: Schon als kleines Kind habe ich oft Videoclips nachgesungen und nachgespielt. Anfangs habe ich vor allem meiner Mutter und Freunden vorgesungen. Ein wenig später bekam ich dann auch etwas Klavier- und Gesangsunterricht. Meinen ersten richtigen Auftritt hatte ich bei einer Schüleraufführung. Dort habe ich „Joyful, Joyful“ vor etwa 500 Zuhörern gesungen. Ich war wahnsinnig aufgeregt.
Dueblin: Viele bekannte Musikerinnen und Musiker haben Mentoren gehabt, die ihre Karriere begleitet und gefördert haben. Chris Hopkins und Nicki Parrott beispielsweise, zwei geniale Musiktalente, haben das in Gesprächen mit Xecutives.net sehr schön dargestellt. Haben Sie ebenfalls Mentoren aus dem Musikgeschäft, die Ihnen und Ihren beiden Musikpartnern in schwierigen Entscheiden Pate standen und stehen?
Anna Rossinelli: Ich habe im letzten Jahr natürlich viele Menschen kennengelernt, welche ich jetzt auch zu unserem Team zählen darf und die mir in schwierigen Situationen weiterhelfen konnten. In musikalischer Hinsicht habe ich natürlich Vorbilder – wir inspirieren und fördern uns aber auch innerhalb der Band.
Dueblin: Wer sind und waren Ihre musikalischen Vorbilder und Idole? Wer hat Sie in Ihrer musikalischen Laufbahn beeindruckt oder gar inspiriert?
Anna Rossinelli: Natürlich haben mich viele Musiker inspiriert, Aretha Franklin und George Benson waren für mich zum Beispiel sehr wichtig. Rachelle Ferell ist eine äusserst beeindruckende Sängerin und natürlich kann man von Prince in vielerlei Hinsicht etwas lernen.
Dueblin: Sie haben ein Faible für Jazz und unlängst standen Sie am Jazzfestival in St. Moritz mit Othella Dallas auf der Bühne, einer sehr erfahrenen Blues-Sängerin, die seit 50 Jahren in der Schweiz wohnt und die Blues-Szene hier mitgeprägt hat. Wie fühlt es sich an, mit solchen musikalischen „Kalibern“ aufzutreten?
Anna Rossinelli: Es war eine wunderbare Erfahrung und nach dem Gig haben wir sogar noch ein bisschen mit Othella musiziert. Man merkt ihr die Lebenserfahrung und vor allem die Freude am Singen – was nach so langer Zeit nicht selbstverständlich ist – sehr gut an. Ich selber bin aber keine Jazzmusikerin. Ich habe mich zwar mit Jazz beschäftigt, habe aber meinen Fokus schon immer eher auf Soul, Gospel, und Pop im Allgemeinen gelegt.
Dueblin: Viele heute sehr bekannte MusikerInnen mussten oft Jahrzehnte arbeiten, bis sie an der Spitze angelangt waren und existentielle Fragen an Bedeutung verloren, ich denke beispielsweise auch an einen Hazy Osterwald und einen Artur Beul, die später im Leben mit Musik reich geworden sind – und dabei aber auch einiges riskiert haben. Wie hat sich dieses „existentielle“ Moment Ihrer Ansicht nach auf Ihre Musik aber auch auf Ihr Leben ganz generell ausgewirkt?
Anna Rossinelli: In der Schweiz ist es je nach Lebensstandard recht schwierig vom Musikmachen leben zu können. Ich finde es aber sehr wichtig, dass man seine ganze Zeit und Energie auf seine Arbeit – in unserem Fall unsere Musik – konzentrieren kann. Wir geniessen im Moment das Privileg, von unserer Arbeit leben zu können, haben aber auch einen bescheidenen Lebensstil. Glücklich sind wir darüber, dass unsere Arbeit auch gleichzeitig unsere Leidenschaft ist. Das kann nicht jeder sagen.
Dueblin: Mit dem kürzlich erfolgten Entscheid, sich beruflich voll und ganz der Musik zuzuwenden, werden Sie und Ihre Musiker zwangsweise auch zu Unternehmern. Wie gehen Sie die unternehmerischen Herausforderungen an, die sich in den kommenden Monaten ergeben werden?
Anna Rossinelli: Wir haben schon eine recht gute Arbeitsteilung. Es haben sich für jeden von uns bestimmte Aufgaben herauskristallisiert und bis jetzt funktioniert das recht gut so. Natürlich ist für uns vieles noch neu und wir machen hin und wieder einen Fehler, aber glücklicherweise können wir uns auf unser Management verlassen und auch von dieser Seite stets auf Unterstützung zählen.
Dueblin: Ihr Debüt-Album „Bon Voyage“ kommt beschwingt, vielseitig daher und strahlt Lebensfreude aus. Man spürt, dass viel Handarbeit, Leidenschaft und Können darin steckt. Wie verliefen die Aufnahmearbeiten der letzten Monate und wo profitieren Sie und Ihre Mitmusiker von erfahrenen Produzenten wie Fred Herrmann?
Anna Rossinelli: Die Arbeit im Studio war für uns eine weitere aufregende Erfahrung und wir konnten natürlich auch von Fred viel lernen. Wir hatten von Anfang an sehr ähnliche Vorstellungen auf was die Produktion hinauslaufen sollte und haben so eigentlich immer am selben Strang gezogen. Wir haben vor allem anfangs noch viel über Sound und Instrumente gesprochen und uns so dann zum Beispiel auch für das Vibraphon entschieden. Aufgenommen haben wir immer als ganze Band, mit dem Ziel, dem Album ein Flair von Strassenmusik zu vermitteln.
Dueblin: Wie sieht Ihre persönliche Zusammenarbeit mit Songschreibern wie beispielsweise Georg Schlunegger aus, der viele Musiker mit Songs eindeckt und mit drei Songs auf Ihrem Album vertreten ist? Gehen Sie mit konkreten Wünschen und Vorstellungen an diese Personen ran oder lassen Sie sich einfach von Ideen überraschen?
Anna Rossinelli: Mit Georg haben wir zuerst schon ein bisschen gesprochen und er kannte auch unsere Vorstellung und unsere eigenen Songs. Er hat ein gutes Gespür dafür, sich in jemanden hinein zu versetzen. Für unser nächstes Album würden wir gerne wieder und noch enger mit ihm zusammen arbeiten.
Dueblin: Vier der Songs auf Ihrem Debüt-Album sind von Ihnen. Sie passen perfekt zu den restlichen Songs. Wie gehen Sie an solche Songs ran und was sind Ihre persönlichen Ansprüche an die Musik, die Sie machen?
Anna Rossinelli: Vielen Dank, das freut mich. Man könnte aber auch sagen, die restlichen Songs passen perfekt zu unserem Album „Bon Voyage“. Mir fallen Melodien oft beim Gehen ein, ich nehme sie dann auf meinem Handy auf. Meistens arbeiten wir die Songs dann zu dritt aus, suchen gute Akkorde und Rhythmen dazu und komponieren passende Teile. Manchmal singe ich auch zum Klavierspielen und finde so zu einem Lied. Grundsätzlich ist dieser Entstehungsprozess bei uns aber eher intuitiv und oft auch sehr zeitaufwendig. Nicht selten entsteht ein Song zum Beispiel in einer Garderobe vor einem Gig beim Einspielen und nicht unbedingt wenn wir wirklich zum Komponieren abmachen oder am Proben sind. Was meine Ansprüche an unsere Musik ist, ist recht schwierig zu formulieren. Wichtig finde ich aber, dass ein Song immer eine gewisse Originalität hat, aber trotzdem nicht zu weit hergeholt und gut verständlich ist.
Dueblin: Haben Sie musikalische Träume, die Sie begleiten resp. Projekte, die Sie irgendeinmal auf Ihrer musikalischen „Voyage“ angehen möchten? Wollen Sie uns einen solchen Traum oder eine solche Vision preisgeben?
Anna Rossinelli: Es ist natürlich ein Wunsch von uns allen, dass wir weiterhin hauptberuflich Musik machen können und damit auch Menschen erreichen. Unser erstes Album ist für mich ein sehr grosser Schritt und ich möchte diesen Schritt noch viele Male wiederholen. Es reizt mich auch sehr, wieder einmal ein bisschen in Europa umherzufahren und in verschiedenen Ländern Strassenmusik zu machen, es dürfen natürlich auch Clubs sein.
Dueblin: Mit Ihrem Auftritt am Eurovision Song Contest im Jahr 2011 haben Sie grosse mediale Aufmerksamkeit erhalten. Sie wurden von einem auf den anderen Tag bekannt und sehr interessant für die Medien. Was würden Sie heute in Bezug auf den Umgang mit Medien möglicherweise anders machen und anders angehen?
Anna Rossinelli: Das soll jetzt nicht unreflektiert wirken oder so, aber ich bin mit der Medienarbeit, die wir 2011 gemacht haben, sehr zufrieden. Ich denke wir waren immer recht frisch und authentisch und eine gewisse Naivität wollen wir auch in Zukunft versuchen beizubehalten.
Dueblin: Liebe Frau Rossinelli, ich bedanke mich für dieses Interview und wünsche Ihnen und Ihrem Trio weiterhin alles Gute, viel Erfolg und viel Freude an der Musik.
Anna Rossinelli: Herzlichen Dank.
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