Dr. iur. Hans Bollmann Xecutives.net-Interview
Dr. iur. Hans Bollmann Xecutives.net-Interview

Dr. iur. Hans Bollmann studierte in Zürich Rechtswissenschaften und dissertierte im Jahr 1970 zum Thema „Das Ausscheiden aus Personengesellschaften“ bei Prof. Dr. Arthur Meier-Hayoz. Dr. iur. Hans Bollmann war lange Jahre Partner bei der Anwaltskanzlei Pestalozzi in Zürich (vormals Pestalozzi & Gmür), davon 6 Jahre als Managing Partner. In den Jahren 1972 und 1973 war er für die amerikanische Anwaltssozietät Pillsbury (vormals Winthrop Stimson Putnam & Roberts) in New York tätig, wo er sich eingehend mit amerikanischem Wirtschaftsrecht befasste, was ihn seine ganze berufliche Zeit hinweg beschäftigte. 2013 erschien sein Buch „Es kommt drauf an! Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen“ im Stämpfli Verlag. Im über 600 Seiten umfassenden Werk beschäftigt sich Dr. iur. Hans Bollmann eingehend mit dem Anwaltsberuf und den anwaltlichen Tätigkeiten. Er tut das auf seine eigene erfrischende Art und Weise, mit Sachverstand und Ironie.

Im Interview mit Xecutives.net beantwortet Hans Bollmann Fragen zum Anwaltsberuf, zur äusseren Wahrnehmung von Anwältinnen und Anwälten, wie sich der Beruf des Anwalts verändert (hat), vom „Solo- oder Clubbetrieb zum wirtschaftenden Unternehmen“, und wie er sich weiter verändern wird. Er zeigt Unterschiede auf bei der anwaltlichen Tätigkeit in der Schweiz und in den USA, deren Dominanz des Rechts sich formell und materiell auf die ganze Welt auswirkt. Auf die Frage nach Standesdünkel im Anwaltsberuf betont Hans Bollmann, dass seiner Meinung nach freie Anwälte Voraussetzung sind für einen ordentlichen Rechtsstaat und dieser wiederum eine Voraussetzung jeder Demokratie ist.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Dr. Bollmann, Sie haben Jahrzehntelang als Wirtschaftsanwalt in Zürich, aber auch in den USA, gearbeitet. Im letzten Teil Ihrer beruflichen Karriere haben Sie ein Buch über den Anwaltsberuf geschrieben, mit dem Titel „Es kommt drauf an! Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen“, erschienen im Stämpfli Verlag, 2013, über 600 Seiten dick! Was hat Sie veranlasst, sich auf diese umfassende Weise mit dem Anwaltsberuf auseinanderzusetzen.

Hans Bollmann: Ja, ich war wirklich selbst überrascht, dass es dann am Schluss 600 Seiten waren. Wobei es noch eine Seite mehr hätte sein sollen. Eine für mich sehr wichtige Seite ging leider bei der Drucklegung verloren, eine Seite mit der Widmung des Buches an alle meine Kolleginnen und Kollegen. Diesen habe ich es zum grossen Teil zu verdanken, dass ich ein derart erfüllendes, nie langweiliges und im wahrsten Sinne beglückendes Berufsleben haben durfte. Letzterem wiederum verdanke ich die Tatsache, dass mir das Buch dann relativ leicht aus der Feder floss, wie man so sagt. Geschrieben habe ich das Buch in der Absicht, anderen Anwältinnen und Anwälten Anregungen zu geben – so wie ich selber auch immer gerne von anderen lerne, auch heute noch.

Ich freute und freue mich natürlich über die vielen Komplimente, die ich bekam und immer noch bekomme. Natürlich war es auch schön zu sehen, dass das Buch sich gut verkaufte. Aber fast am meisten gefreut haben mich nebst den Rezensionen in der Schweiz (insbesondere NZZ und Schweizerische Juristenzeitung) spontane, sehr freundliche Rezensionen von mir bislang unbekannten Anwälten in Österreich und Deutschland. Diese Reaktionen bestätigten mir auch noch zusätzlich meine Überzeugung, dass die meisten Probleme und Möglichkeiten unseres Berufs nicht regional, sondern fundamental sind. Zu dieser Überzeugung gelangte ich aus meiner sehr langjährigen aktiven Tätigkeit im weltweit grössten internationalen Anwaltsnetzwerk. Dort erlebte ich, was einzelne Anwälte und was die Anwaltskanzleien beschäftigt, sei es in Kalifornien oder in Singapur, in Frankreich, in Argentinien etc.

Xecutives.net: Sie sind in Ihrem Buch kritisch und stellen den Anwalt und seine Tätigkeit auch in Frage. Schon der Titel „Es kommt drauf an!“ und im Untertitel „… was Anwälte so alles unternehmen“ steckt bereits Ironie und auch Kritik. Man könnte schon erste Klischees vermuten, auf die wir noch zu sprechen kommen. Wie kamen Sie dazu, solch ein umfassendes Werk in Angriff zu nehmen?

Xecutives.net-Interview Dr. Hans Bollmann Buchcover Es kommt drauf an

Hans Bollmann: Das Wort „Unternehmen“ habe ich ganz bewusst gewählt, um auf die Transformation im Anwaltsberuf in den letzten, sagen wir einmal, 30 Jahren hinzuweisen. Vom Solo- oder Clubbetrieb zum wirtschaftenden Unternehmen. Als ich als Anwalt begann, gab es in Zürich einen bekannten Anwalt, der aus seiner schönen Wohnung am Zürichberg heraus allein praktizierte, nur noch mit einem immer mal wieder wechselnden Praktikanten. Er wurde beneidet, weil er US Weltkonzerne als Klienten hatte. Das war zwar damals schon für eine Einzelpraxis aussergewöhnlich, aber eben offenbar doch noch möglich, heute aber praktisch unmöglich, ja undenkbar.

Pestalozzi & Gmür, wo ich als Anwalt beginnen und dann Partner werden durfte, war mit nur gerade etwa sechs Partnern eine der bekanntesten und renommiertesten Kanzleien der Schweiz, mit Schweizer und vor allem internationalen Blue Chip Klienten.

Diese Verhältnisse gibt es heute nicht mehr, weder in der Schweiz noch im übrigen deutschsprachigen Raum und ich meine auch weltweit nicht mehr. Mit anderen Worten, die Grössenordnungen haben sich verändert, sowohl bei der Zahl und Qualität rechtlicher Probleme bei den Klienten wie bei der Zahl der Anwälte und notwendigen Spezialisten in den Kanzleien. In der Folge wurden auch die Honorarrechnungen bedeutender, was den ohnehin schon immer zunehmenden Kostendruck bei den Klienten noch vergrösserte. Im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen und auch als weitere Folge davon litt die Vertrauensstellung „des“ Anwalts, früher noch „Hausanwalt“ genannt.

Xecutives.net: Manchmal kann man sich als Jurist, auch in einem Unternehmen, wundern, wenn man die Anwälte und Juristen beobachtet. Ich selber habe immer wieder den Eindruck, dass Anwälte, auch Notare, es in den letzten 200 Jahren hinbekommen haben, ihre Leistungen besonders gut zu verkaufen, was möglicherweise auch tlw. exorbitante Honorare erklärt, die mich als Unternehmensjurist manchmal erschrecken. In Unternehmen fällt des Weiteren auf, dass die Legal Counsels oft nur oberflächlich und mit einer gewissen Zurückhaltung geführt werden. Vielen Rechtsabteilungen werden keine Budgetvorgaben gemacht, keine konkreten Ziele vorgegeben und man hat oft ein bisschen den Eindruck, dass für die Juristen andere Regeln gelten, als für andere Abteilungen im Unternehmen. Sie fragen immerhin im Buch selber „General oder General Counsel?“ Diese Bemerkung ist lustig, hat aber einen durchaus ernsten Hintergrund.

Hans Bollmann: Zuerst mal. Ich glaube nicht, dass Ihre Generalisierung bezüglich der Anwaltshonorare zutrifft. Zudem gab es und gibt es grosse regionale Unterschiede. Nicht überall sind Anwälte gleich notwendig und gesucht, was einen Einfluss auf deren „Preismacht“ hat. Vor allem aber gilt grundsätzlich, und das auch in der Schweiz, dass anwaltliche Arbeit nicht skalierbar ist. Anders ausgedrückt: Wir verkaufen unsere Zeit und diese ist begrenzt. Gewiss, man kann sich durch jüngere Anwälte zudienen lassen und so die Zahl der „billable hours“ vergrössern, aber auch hier gibt es eine Begrenzung. Innerhalb dieser für Anwälte und ähnliche Freiberufler geltenden Begrenzungen gibt es allerdings, das stimmt, grosse Einkommens-, aber wohl auch erhebliche Qualitätsunterschiede. Sicher gibt es auch Unterschiede bei der Effizienz des Anwaltsunternehmens. Aber es gibt auch eine immer noch zunehmende Konkurrenz unter den Anwälten. Und schliesslich müsste man noch definieren, was wir unter Anwaltstätigkeit verstehen und mit anderen Tätigkeiten vergleichen wollen. Ist Anwaltstätigkeit einfach alles, „was Anwälte so unternehmen“, oder ist es „nur“ die klassische Tätigkeit des Prozessvertreters.

Zur teilweisen Ehrenrettung der Notare, denen Sie auch eher überhöhte Honorare vorwerfen, wäre noch zu ergänzen, dass diese bekanntlich teilweise kantonale Beamte sind, wie etwa in Basel oder im Tessin, teilweise Anwälte (etwa in Zug oder Graubünden). Dass die staatlichen Notare wegen ihrer höheren Gebühren gemieden wurden, indem man nicht in Basel, sondern in Zug, oder nicht im Tessin, sondern im Misox verurkundete, ist eine uralte Geschichte, die aber eher für die freien Berufe, auch die freiberuflichen Notare, spricht.

Meine ironische Frage „General“ oder „General Counsel“ bezog sich auf die Tatsache, dass die „Inhouse-Counsels“ über die Jahre ungemein an Bedeutung gewonnen haben. Das zeigt sich ja auch darin, dass heute, im Gegensatz zu früher, der „General Counsel“ häufig in der Geschäftsleitung Einsitz hat. Aber ja, trotz diesem Einsitz und der Bedeutung der rechtlichen Beratung ist diese immer zuerst einmal ein Unkostenfaktor und zudem schwer zu budgetieren. Damit wird es aber auch schwierig, die Juristen mit Zielvorgaben zu führen. Insofern stimmt es wohl schon, dass für die Juristen im Betrieb etwas andere Regeln gelten, insbesondere in Industriebetrieben.

Xecutives.net: Der verstorbene Dr. Arnold Hottinger, seines Zeichens Orientalist und Historiker sowie Journalist für Zeitungen und TV, hatte mir vor vielen Jahren in Madrid über soziale Netzwerke, auch in der Schweiz berichtet. Er war der Ansicht, dass Anwälte und Notare eine letzte Spezies, ein Überbleibsel, der alten Zunftherrschaft und -zeit darstellen würden. Es sei den Juristen über Jahrhunderte gelungen, ihre spezielle Stellung bis in die heutige Zeit hinein zu bewahren, im Gegensatz zu allen anderen Berufsgruppen. Sie kennen Zünfte und viele soziale Netzwerke, und natürlich kennen Sie den Anwaltsberuf und -stand. Mich würde interessieren, ob Sie Herrn Dr. Hottinger mit seiner kritischen Bemerkung beipflichten.

Hans Bollmann: An Arnold Hottinger erinnere ich mich noch gut und an seine Kommentare zum arabischen Raum von einst und heute, auch noch Spanien umfassend. Seine Kommentare waren meistens treffend. Weniger zutreffend finde ich seinen Vergleich der Anwälte mit Zünftern, um damit zu implizieren, dass die Anwälte ihre „Zunft“ endlich auch aufgeben oder eben öffnen sollten, wie die Bäcker und Schneider dies getan haben. Der Vergleich ist deshalb irreführend, weil es ja in jedem Land einen Anwaltsstand gibt, insbesondere auch in den USA, wo es nie Zünfte gegeben hat. Aber um beim Stichwort Zünfte zu bleiben: Diese waren früher Teil der Regierung einer Stadt. Den zünftisch organisierten Staat gibt es nicht mehr, aber es gibt immer noch den Staat – und was für einen!

Xecutives.net-Interview Potrait Dr. iur. Hans Bollmann
Dr. iur. Hans Bollmann

Der heutige Staat – bei uns und fast überall – dekretiert und reguliert, wie dies früher die Zünfte taten, nur noch sehr viel mehr. Für alle möglichen Tätigkeiten, vom Restaurateur über den Bäcker und den Banker bis zur Hebamme und eben auch den Anwalt gibt es Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften, Aufsichtsbehörden und Zeugnisse und Konzessionen. Der Staat sagt, er mache dies alles zum Schutze des Publikums und teilweise stimmt dies ja auch. Wir sind jedenfalls froh, dass überall in der Schweiz – schliesslich auch noch im Kanton Aargau! – die Fahrprüfung eingeführt wurde und sicher auch, dass Piloten strenge staatliche Voraussetzungen erfüllen müssen. Es hilft ebenfalls dem Publikum, wenn der Staat die Vertrauensfähigkeit der Anwälte überwacht. Dieses staatliche Attest freut uns Anwälte natürlich. Es ist auch etwas wert (und kostete auch viel Arbeit). Aber bei der Vielzahl von Anwälten ergibt sich daraus keine Macht, sollte Herr Hottinger das gemeint haben. Respekt vielleicht, aber keine Macht. Auch deshalb nicht, weil jedem Anwalt ja ein Gegenanwalt gegenübersteht. Ich will allerdings den Anwaltsberuf oder -stand, nicht verteidigend herunterspielen. Im Gegenteil. Sonst hätte ich darüber ja nicht freudvoll ein Buch geschrieben. Freie Anwälte sind eine Voraussetzung des Rechtsstaates und dieser eine Voraussetzung der Demokratie.

Xecutives.net: Ich glaube Dr. Hottinger und ich sind damals auf diesen Punkt gestossen, weil wir uns über die Anwälte in Spanien unterhalten haben, von denen es dort sehr viele gibt. In Spanien gibt es an jeder Ecke eine Bar, aber eben auch immer eine Anwaltskanzlei. Ich kann das nun nicht beweisen, das fällt aber auf, wenn man sich in Spanien bewegt. Nun, ich möchte noch fragen, ob es in den Ländern, in denen Sie beruflich tätig waren, Unterschiede in der Wahrnehmung von Juristen und Anwälten gibt und gab, bspw. auch gerade in Bezug auf die USA, wo Sie gearbeitet haben? Gibt es diesbezüglich schweizerische Besonderheiten, oder gar zürcherische Besonderheiten?

Hans Bollmann: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich kann sie aber nicht in der Kürze beantworten. Könnte einfach mit „ja“ antworten, es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen, weil die Anwälte nicht überall die gleiche Bedeutung haben, weil ihre Funktion nicht überall die gleiche Wichtigkeit hat. Ich denke, das hat vor allem, aber nicht nur, mit den Regeln zu tun, welche sich die Menschen lokal für ihr Zusammenleben seit je gegeben haben. Dieses Zusammenleben hatte schon Regeln, bevor diese, zum Beispiel im 13. Jahrhundert im Sachsenspiegel, niedergeschrieben wurden. Dass die Regeln des Zusammenlebens weltweit verschieden und etwa in Afrika nicht gleich sind wie in Amerika oder Europa, wissen wir alle.

Entsprechend gibt es die Unterschiede in den rechtlichen Ordnungen. Diese Unterschiede ebnen sich mit der Globalisierung teilweise ein, vor allem dort, wo es um globale Themen geht. Aber daneben gibt es noch genügend nationale Besonderheiten, die auffallend grosse Zahl von Anwälten in Spanien etwa. In Japan gibt es auffallend wenige Anwälte. In den USA wiederum sehr viele. Das hat rechtsgeschichtliche, aber auch soziologische Gründe, die ich nicht in Kürze abhandeln könnte, auch wenn ich mehr davon wüsste. Ich möchte hier nur auf das Gesetz von Angebot und Nachfrage verweisen. Die Dominanz des US Rechts, sowohl materiell wie formell, hat in den letzten 30 Jahren enorm zugenommen. Wenn es dem Schöpfer des Schweizer Zivilgesetzbuches, Eugen Huber, ein Anliegen war, dass das ZGB auch für Nichtjuristen lesbar und verständlich ist, dann ergibt dies einen ganz anderen, eben kleineren, Bedarf an Juristen als etwa in der US Rechtsordnung, wo die Gründerväter elitär dachten.

Xecutives.net: Was unterscheidet die beiden Kulturen und wo können wir dieses Elitäre erkennen?

Hans Bollmann: Für diese Gründerväter war es von Anfang an klar, dass gebildete Anwälte, wie sie selber es waren, dem Volk das Recht nahebringen würden. In der Schweiz dagegen brauchte es keinen oder wenig Juristen, um dem Durchschnittsbürger das ZGB nahezubringen. Denken Sie beispielsweise an so herrlich kurze Sätze wie „Heirat macht mündig.“ Jeder kann dies lesen und verstehen. Bei „US Legal Documents“ und Gesetzen ist dies nicht so. Es kommt noch dazu, dass in den USA die Gerichtspraxis eine viel grössere Bedeutung hat und diese ist ohnehin nur dem Juristen zugänglich. Klar, dass es in diesem „Environment“ sehr viel mehr Anwälte braucht. Ebenso klar ist aber auch, dass die Abhängigkeit von den Anwälten letztere nicht besonders populär macht. Man höre sich nur die vielen amerikanischen „Lawyers‘ Jokes“ an.

Da kommt mir eine kleine Episode in den Sinn: Ich bin vor vielen Jahren einmal auf einer Guest Ranch in Arizona mit einer Gruppe von vielleicht acht Amerikanern hinter einem Wrangler ausgeritten. Nach einem längeren Galopp hielt der Wrangler an, um Pferd und Mensch verschnaufen zu lassen. Er fragt in die Runde, ob jemand einen Witz wisse. Niemand wusste einen. Dann fragte er, ob denn niemand einen „Lawyers‘ Joke“ wisse. Da sprudelte es nur so heraus.

Dagegen noch eine andere, für mich etwas nostalgische Episode zur Dominanz des US Rechts: Ich musste vor sehr vielen Jahren als junger Anwalt für eine Schweizer Grossbank ein sogenanntes „Loan Agreement“ aufsetzen. Ich setzte dies auf Englisch in Form eines Darlehensvertrags und nach Schweizer Recht auf. Es ergab sich so ein relativ kurzes Dokument von vielleicht gut zwei oder drei Seiten. Die ausländischen Darlehensnehmer (Banken) machten einen vielseitigen Gegenentwurf nach angelsächsischem Muster. Der zuständige Generaldirektor bei meiner Klientin bedeutete diesen Banken kurz und klar, dass sie entweder unseren, meinen, Vertragstext akzeptieren oder dann das Darlehen vergessen sollten. Diese Episode ist heute überhaupt nicht mehr denkbar. Angelsächsische Weitschweifigkeit ist Standard geworden und wird nach bürokratischer Eigengesetzlichkeit immer noch weiter ausgebaut. In einer globalisierten Welt bringt dies den Vorteil einer Art „Weltstandard“.

Natürlich machen nicht alle Anwälte internationale „Loan Agreements“, was die Aussage der Episode beschränkt. Doch gilt: Je mehr das materielle und formelle Recht uniformiert wird (beispielsweise auch im Schiedsgerichtswesen), umso mehr verlieren nationale oder gar lokale Besonderheiten ihre Bedeutung. Im Beispiel meiner Episode würde heute vielleicht ein englischer Anwalt das Loan Agreement „machen“ oder eben, noch wahrscheinlicher, ein Schweizer Anwalt nach US Muster. In der Schweiz wurde die Zivilprozessordnung vereinheitlicht, was kantonale Eigenheiten eliminierte. Trotzdem würde ich auch noch heute bei gewissen Prozessen in anderen Kantonen mit einem lokalen Anwalt zusammenarbeiten, der nicht nur das Recht, sondern auch den Richter kennt.

Xecutives.net: Was wäre denn ein solcher „lawyer’s joke“, die Sie erwähnt haben?

Hans Bollmann: Beispielsweise die Frage „What’s brown & black and looks good on an attorney?“ mit der Antwort „A Doberman …“. Da gefällt mir dieser noch fast besser: „Why do gravediggers bury lawyers an extra two feet down? Because deep down they’re good people …“.

Xecutives.net: Sie haben diese US-amerikanische Dominanz angesprochen, die sich bis auf das Vertragswesen auch in Unternehmen hier in der Schweiz auswirkt. Das ist interessant, hat doch Dr. Dr. h.c. Henri B. Meier, der sich seit Jahrzehnten mit Startups und Venture Capital auseinandersetzt im Vorwort zum Buch Legal Operations Management (Springer, 2017) genau auf diesen Punkt aufmerksam gemacht und erklärt, dass das für viele, gerade junge, UnternehmerInnen schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Unternehmen mit sich bringt. Ein Start-up, das heute weltweit tätig sein will, so auch in den USA, muss von Anfang an mit erheblichen Kosten für Rechtsberatung rechnen, was nicht förderlich ist für das Unternehmen.

Hans Bollmann: Die Frage tönt für mich fast, wie eine Zusammenfassung unseres bisherigen Gesprächs. Es geht um die „costs of doing business“. Als ich meine Anwaltstätigkeit (in der Schweiz) begann, kam es kaum jemandem in den Sinn, Rechtsberatung auch zu diesen Kosten zu zählen (in den USA schon viel eher).

Heute ist dies – auch in der Schweiz – selbstverständlich so. Ich gehöre aber nicht zu denen, welche laut die angebliche oder wirkliche Diskriminierung der Start-ups beklagen. Wenn schon, dann beklage ich die weltweit ständig zunehmende Reglementierung. Und weil Reglemente meist von Juristen geschrieben werden, pflege ich manchmal zu sagen, dass an vielen Übeln in dieser Welt die Juristen schuld sind, im Gegensatz etwa zu den Fortschritten, welche die medizinische Forschung uns bringt. Insofern verstehe ich die besondere Kritik von „HBM“. Aber nicht nur die Start-ups leiden und es geht bei weitem nicht nur um Kosten. Es geht um Initiativen und Entscheidungsfreudigkeit, um Angst vor Verantwortung und Prozessen und vieles mehr. Ein weites, eher trauriges Feld. Klagen will ich aber nicht, weil allgemeines Klagen wenig bis nichts bringt.

Xecutives.net-Interview Recht Anwalt Zukunft

Xecutives.net: Wie verhält es sich mit ALSP, also den Alternative Legal Service Providern? Wo erkennen Sie hier möglicherweise Veränderungen im Anwaltsberuf?

Hans Bollmann: Die schnelle Antwort ist wohl die, dass diese ALSPs keine Gefahr sind, weil sie eben keine „Legal Services“ anbieten, sondern alternative. Die „Alternative Legal Services“ können Dienstleistungen sein, welche Klienten ganz ohne den „Umweg“ über Anwälte beziehen wollen, zum Beispiel die Vertragsadministration oder die Verwaltung von Markenrechten, aber es können dies auch Dienstleistungen sein, welche der Anwalt bei seiner eigenen Tätigkeit benötigt, zum Beispiel „Due Diligence“-Untersuchungen oder „Litigation Support“ bei einem Schiedsverfahren. Richtig verstanden sind diese Gebiete nicht zum Konkurrenzieren, sondern für eine symbiotische Zusammenarbeit im Interesse eines gemeinsamen Klienten.

Richtig verstandene Professionalität, und ich zähle hier die ALSPs auch zu den Professionals (obwohl sie dies im technischen Sinne vielleicht nicht sind), bedeutet gemeinsame Wahrung der Interessen des Klienten und sicher nicht gegenseitiges Ausspielen. In der Realität wird das nicht immer so verstanden und insofern gibt es die Gefahr einer Konkurrenz, aber eben nur in alternativen Gebieten. Dies zum Trost für diejenigen Anwälte, welche nicht in diese Gebiete vorstossen wollen. Und diejenigen, die es tun wollen, setzen sich wie andere auch der Konkurrenz aus. Es gibt eben, wir sagten es, keinen „Zunftschutz“ für Anwälte.

Xecutives.net: Wie und wo wird sich der Anwaltsberuf Ihres Erachtens weiter verändern? Was kommt auf Anwälte und Anwältinnen und ihre Offices zu?

Hans Bollmann: Natürlich wird sich die Anwaltspraxis i.w.S. in Zukunft weiter verändern; jedenfalls würde ich mit dem rechnen. Ich habe immer „gepredigt“, dass die Organisation einer Kanzlei sich aus den Bedürfnissen der Klienten ableiten muss. Diese Bedürfnisse ändern, die Anwaltskanzleien müssen mitgehen und sich anpassen. Auch hier wieder werden die Entwicklungen von den USA via Kanada nach Grossbritannien kommen und zuerst dort einmal ausprobiert werden. Einer namens Richard Susskind schreibt gerade viel darüber.

Wir sind hier wieder bei der Definition des Anwaltsberufes, welcher natürlich schon lange mehr umfasst als die reine Prozessvertretung. Was wird auf die Anwaltskanzleien zukommen? Auch die Anwälte können die Zukunft nicht voraussehen, auch ich nicht. Was wir aber sehen können, sind Entwicklungen, welche insbesondere in den USA schon länger im Gange sind und dann schliesslich zu uns überschwappen, wie ich jeweils sagte, via Kanada, UK, Holland und Deutschland. Am Rhein stoppen wir Schweizer die Entwicklung dann mal vorerst, pflegte ich früher zu deutschen Anwaltsfreunden zu sagen. Heute geht die Entwicklung via die internationalen Kanzleien allerdings rascher voran.

Die Entwicklung des Berufsstandes der Paralegals ist so eine oder auch der Status von „Permanent Associates“ oder „Salaried Partners“. Ich gehe davon aus, dass Compliance-Tätigkeiten weiter zunehmen werden und dies nicht nur im Finanzbereich. Das sind Tätigkeiten, die rechtliches Wissen voraussetzen, aber kein Anwaltspatent. Das könnte bedeuten, dass in Anwaltskanzleien junge Anwälte und Anwältinnen angestellt werden, welche nicht wie sonst üblich den Marschallstab im Tornister tragen, d.h. „Partnermaterial“ sind. Mit ihnen könnte eine Anwaltskanzlei vermehrt in Gebiete vorstossen, die derzeit am Wachsen sind, „Compliance“ insbesondere und auch Untersuchungen in diesem Bereich, wie etwa kürzlich in Sachen CS / Khan. Auch dies ist etwas Neues, was Anwälte „so unternehmen“. Und auch hier stammt die Idee aus den USA.

Die Militärgeschichte lehrt, dass vorhandene Waffen irgendwann auch eingesetzt werden. Weniger martialisch: Neue Techniken werden von Anwälten für ihre Zwecke auch eingesetzt werden. Wobei „Technik“ natürlich das falsche Wort ist, wo alle von Digitalisierung sprechen. So oder so, gerade die Informationstechnologie wird die Anwälte sicher auch in Zukunft herausfordern. Wenn sie die Herausforderungen immer aus Sicht des Klientennutzens aufnehmen, würde ich dem mit „gelassener Spannung“ entgegensehen.

Xecutives.net: Sie selber beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit militärischen Fragen und haben zu diesen Themen auch publiziert. So gehen Sie seit vielen Jahren an Orte, wo Schlachten stattgefunden haben und erkundigen sich nach deren Verlauf. Sie haben sich natürlich auch mit den Schlachten hier in der heutigen Schweiz und den alten Eidgenossen auseinandergesetzt, denen nicht nur Könige und Vögte, sondern eben grad die Juristen und Richter ein grosser Dorn im Auge waren. Was hatten die Eigenossen für ein Problem mit den Juristen und Richtern?

Hans Bollmann: Ich glaube nicht, dass die Eidgenossen ein Problem mit den Juristen hatten. Mit den Richtern hatten sie das gleiche Problem wie die heutigen Eidgenossen es zu haben vorgeben: Man will keine fremden Richter. Generell haben die Eidgenossen nicht gern Weisungen von oben, seien dies Weisungen der Regierung, der Verwaltung oder eben von Richtern (früher meist Laienrichter). Wenn schon ein Richterspruch nötig ist, dann wenigstens von einem Richter, den man kennt und dem man vertrauen kann. Ich muss hier jedoch anfügen, dass je mehr wir immer detailliertere Gesetze erlassen, selbst auf Verfassungsstufe, desto mehr wird der Ermessenspielraum der Richter eingeschränkt. Der Ärger über die Richter in Lausanne, welche dies oder das unpopulär entschieden haben, sollte sich dann oft vielmehr gegen das Parlament oder spiegelbildlich auf die Initianten der neuen Gesetze richten. Statt „Richterbashing“ wäre es heute vielfach fairer, sich als Stimmbürger selber an der Nase zu nehmen.

Apropos: Das Hobby Militärgeschichte passt gut zum Beruf des Prozessanwalts, der ja auch einen „Hosenlupf“ gewinnen will, wie es einmal ein Kollege nannte. Das heisst, man sollte als Prozessanwalt etwas vom Kämpfen und Siegen verstehen, von Strategie und Taktik und von der Analyse des Auftrags. Das gilt heute sogar noch mehr als früher, weil heute vielfach auch noch die Medienfront dazukommt.

Xecutives.net-Interview Recht General Counsel Unternehmen

Xecutives.net: Der französische Maler und Karikaturist Honoré Daumier hat sich oft Juristen-Klischees gewidmet. Viele seiner Bilder und Zeichnungen sind regelrechte Abrechnungen mit den Juristen und Richtern. Sie kommen bei ihm nie gut weg. Was reizt Menschen, auch Karikaturisten, sich kritisch mit den Anwälten auseinanderzusetzen? Oder anders gefragt, was strahlen Juristen aus, das bei anderen zu Reaktionen führt?

Hans Bollmann: Ich darf an das erinnern, was ich zu den amerikanischen „Lawyers‘ Jokes“ gesagt habe. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts waren es vielleicht weniger Witze als eben Karikaturen. Sie hatten letztlich den gleichen Ursprung: Die Abhängigkeit von den Anwälten, wenn man im zentralistischen Frankreich seine Rechte unter dem „Code Civil“ durchsetzen wollte und umgekehrt sicher auch der hin und wieder provozierende Stolz der Anwälte über ihre Rolle. Es ist halt schon so, um auch das noch zu sagen, dass selbst Anwälte auch nur Menschen sind.

Ich denke übrigens, auch bei uns besteht die Gefahr, dass die Klienten manchmal den Eindruck erhalten, Anwälte und Richter würden alle unter einer Decke stecken und hätten sich gegen sie, die Klienten, verschworen. Dem ist zwar nicht so, aber es stimmt, dass Anwälte und Richter sich vielfach kennen und kollegial begrüssen. Daraus kann dann der Eindruck eines Klüngels entstehen. Dem im Prozess obsiegenden Klienten ist dieser Eindruck vermutlich egal. Aber es können eben nicht alle obsiegen. Und das kann dann diese Gefühle fördern.

Xecutives.net: Als Unternehmensjurist ist es von grösster Wichtigkeit, so rasch als möglich mit den vielen Klischees aufzuräumen. Sie sind für eine gute Zusammenarbeit in einem Unternehmen, mit vielen Fachspezialisten aus verschiedenen Bereichen, vielen lästig und gelten beim Abschluss von Geschäften wenig förderlich. Nun, das geht auch aus Ihrem Buch hervor, hat sich die Einstellung des Anwaltes gegenüber seinem Kunden merklich geändert, wohl nicht nur, weil sich die Anwälte ändern wollten, sondern weil die Marktbedingungen und die Ansprüche sich verändert haben.

Hans Bollmann: Welche Klischees meinen Sie? Bei den sogenannten „Private Clients“ hat sich nicht sehr viel verändert. Bei den Unternehmensklienten hat sich, wie schon erwähnt, die Stellung der Hausjuristen verändert und dies vor allem wegen der gesteigerten Bedeutung der rechtlichen Vorgaben in einem zudem zunehmend globalisierten Umfeld. Die Spezialisierungen haben gewaltig zugenommen. Diese Entwicklungen zusammengenommen haben dazu geführt, dass nicht mehr ein Vertrauensanwalt ein Unternehmen durch die rechtlichen Fährnisse geleitet, sondern vielleicht viele Anwälte rund um die Welt. Damit ist aber auch die Vertrauensbeziehung ganz oder zum Teil weggefallen. Ich habe schon vom Verlust des „Hausanwalts“ gesprochen. Jeder Unternehmer hätte wohl in der Theorie immer noch gerne einen solchen. Aber ein Anwalt allein kann diese Aufgabe oftmals nicht mehr bewältigen. Nicht von ungefähr sprechen die Amerikaner wieder vom gesuchten „Trusted Advisor“. Sie meinen damit einen Anwalt, dem sie vertrauen können, dass er die Antworten aus den relevanten Fachgebieten in einen brauchbaren Rat zusammenfassen kann.

Xecutives.net: Die Juristen können in einem Unternehmen viel zur Wertschöpfung beitragen, wenn sie denn unternehmerisch denken können. Auch Anwälte können das. Was muss ein Anwalt, der für eine Problemlösung hinzugezogen wird nebst dem rechtlichen Verständnis mitbringen, um in der heutigen Zeit gute Ergebnisse für ein Unternehmen herbeiführen zu können?

Hans Bollmann: Unternehmerisches Denken heisst auch, dass man mit Risiken umgehen kann, ja sogar will. Anwälte hingegen haben die Tendenz, Risiken auszuschliessen. Sie sind „risk averse“. Diese Einstellung muss der Anwalt nicht ablegen, wenn er ein Unternehmen berät. Das wird von ihm auch nicht erwartet. Von ihm wird erwartet, dem Unternehmen die rechtlichen Risiken und Möglichkeiten aufzuzeigen. Dies kann der Anwalt jedoch nur wirklich, wenn er die Problemstellung des Unternehmens versteht oder möglichst zu verstehen versucht. Nur wenn er das kann, kann er mit dem Unternehmen in einen Dialog treten, aus dem sich dann die für das Unternehmen relevanten rechtlichen Probleme ergeben. Deren Umschreibung ist Voraussetzung ihrer rechtlichen Abhandlung. Der Anwalt der nicht in diesen Dialog mit dem Unternehmen eintritt, weil er das Unternehmen jedwelcher Art nicht recht versteht, kann nur einen ungenügenden Beitrag zum Unternehmenserfolg erbringen.

Ich habe von der Bedeutung der Militärhistorie für den Prozessanwalt gesprochen. Ausserhalb des Prozesses, den der Anwalt ja im eigentlichen Sinne des Wortes führen muss, ist die Stellung des Anwalts eine etwas andere. Ich sehe ihn etwa als Stabsmitarbeiter in einem Unternehmen. Ganz selbstverständlich ist, dass ein Stabsmitarbeiter im Sinne des Unternehmens denken muss. Er muss dessen Zielsetzung kennen. Ärgerlich und wenig hilfreich sind Anwälte, welche den Klienten, das Unternehmen, vorzugsweise mit länglichen Memoranden bedienen, welche so abgefasst sind, dass der Anwalt immer Recht hat. Hin und wieder musste ich mich auch über Anwälte in Verwaltungsräten ärgern, welche, wenn das Wort an ihnen war, nur mögliche rechtliche Bedenken vorbrachten, alle möglichen rechtlichen Risiken aufzählten und sich damit wichtig zu machen versuchten.

Xecutives.net: Sehr geehrter Herr Dr. Bollmann, ich bedanke mich herzlich für dieses Interview und die Zeit, die Sie sich genommen haben. Ich bedanke mich zudem für die stets guten Sparring-Gespräche und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute!

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Das Buch von Dr. Hans Bollmann: „Es kommt drauf an! Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen“ – Stämpfli Verlag, 2013

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