Aus Velhagen & Klasings Monatshefte, XIV Jahrgang 1899/1900 Heft 2, Oktober 1899, S. 215 ff.
Redakteur Hanns von Spielberg (mit richtigem Name Hanns Caspar von Zobeltitz, geboren 1853 und gestorben 1918) beschreibt 1899 das Aufkommen des Automobils und macht geradezu prophetische Aussagen, was die Entwicklung von Motorwagen anbelangt. Der Text ist sehr lesenswert und zeigt, dass schon vor über 120 Jahren über die gleichen Themen diskutiert und gehadert wurde wie heute. Die Gegenüberstellung von elektrischen und durch von Benzin angetriebenen «Automobilen» ist schlicht grandios und bedeutet ein Leckerbissen für jeden Autofan, egal ob mit Benzin im Blut oder von Elektrizität überzeugt.
«Ein pferdeloser Wagen mit versteckter Triebkraft», der einen «wunderlichen Eindruck» macht. Das Wort «Automobilismus» hält der Redakteur für «abscheulich» und er schlägt scherzhaft vor, einen Preis für ein besseres Wort zu setzen. Der Redakteur von Spielberg aber räumt ein, dass der Automobilismus unstreitig im Beginn einer kräftigen Entwicklung steht. Wie Recht er doch hat! Auch mit allem, was folgt im Artikel. So auch in Bezug auf das Abwägen zwischen dem Kauf eines «Benziners» oder eines «Elektromobils». Schon 1899 wird die Frage rege diskutiert, mit welcher Triebkraft es sich besser oder auch günstiger fahren lässt. Im Übrigen spielen auch Automobile mit Dampfkraft noch eine Rolle. Hier geht der Redakteur aber davon aus, dass sie für Automobile nicht geeignet sind, weil sie zu schwer sind.
Von Spielberg stellt fest, dass immer mehr Maschinenfabriken sich dem Bau von Automobilen und Motorwagen zuwenden würden. Viele Fahrradfabriken wenden sich offenbar zu seiner Zeit dem Motorwagen zu, da die Nachfrage für Fahrräder in den späten 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts offenbar am «Abflauen» ist. Der Redakteur erkennt, dass der Automobilsport «der Gesamtentwicklung des Automobilismus die allerwesentlichsten Dienste geleistet hat» und geht auf die zahlreichen Vereine ein, die sich der verkehrstechnischen Seite des Automobilismus verschrieben haben oder der sportlichen Seite. Offenbar wurde kurz vor dem Schreiben des Artikels der Deutsche Automobilklub gegründet und in Berlin der Mitteleuropäische Motorwagenverein, in Wien der Österreichische Automobilklub und in Paris der Automobile-Club de France. In England gibt es bereits den Automobile Club of Great Britain und der Redakteur macht darauf aufmerksam, dass sich bereits 20 Zeitschriften ausschliesslich mit dem Thema Automobilismus beschäftigen würden.
Er berichtet in der Folge Geschichtliches und beschreibt, dass man sich schon vor der Dampfmaschine und Stephenson mit der Konstruktion von Dampfstrassenwagen beschäftigt habe. Diese Konstruktion aber von Dampfstrassenwagen habe mit der Erfindung der Lokomotive einen Dämpfer erhalten. Von Spielberg berichtet, dass er den ersten Motorwagen selbst Ende der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts gesehen habe. Es handelte sich um die Bolléesche Dampfdroschke, «ein ziemlich ungefüges Ding, das damals freilich viel Aufsehen machte, aber bald wieder verschwand». Er schliesst mit der Erkenntnis, dass die Dampfkraft «kein geeignetes Triebmittel für Motorwagen, mindestens nicht für leichte Gefährte, die zur Beförderung weniger Personen dienen sollen» sei. Er hält es aber nicht für ausgeschlossen, dass die Technik der Dampfkraft in Zukunft für den Automobilismus doch noch erfolgreich eingesetzt werden könnte. Skeptisch ist der Redakteur, weil es schwerer Dampfkessel bedarf und einer unbequemen Feuerung.
Er berichtet weiter von den Vorzügen des Benzinmotors, der vom Deutschen Ingenieur G. Daimler 1885 erfunden worden sei. Ob es wirklich G. Daimler war, wie der Autor im Artikel schreibt, lassen wir mal dahingestellt. Dieser Benzinmotor sei dann später durch die gespeicherte elektrische Kraft in Akkumulatoren konkurrenziert worden. Er sieht den Fahrradsport als grossen Treiber, da dieser die Menschen mit Leichtigkeit aufs Land führte, «in die freie Natur» und somit sei dieser als «direkter Vorläufer» des Automobilismus als Sport» zu sehen. Die Fahrradfabrikanten wussten, wie man erstaunlich widerstandsfähige Wagengestelle anfertigen konnte.
Der Autor geht dann auf die Gefahren des Benzins ein und sieht sich aufgrund der Angst vor Benzin genötigt, die Funktion des Benziners zu beschreiben. Die Gefahr von Unfällen mit Benzin sei aber in Wirklichkeit «auf ein Mindestmass herabgemindert». «Das Benzin wird nämlich keineswegs, wie der Laie sich wohl vorstellt, direkt entzündet.» Er beschreibt das Benzingas, das mit Luft gemischt in einem Zylinder entzündet wird. Er räumt aber ein, dass eine gewisse Gefahr mit Benzin dann auftritt, wenn ein Motorwagen umkippen und Benzin entweichen sollte.
Der Redakteur will nicht ins Detail gehen, beschreibt nun aber den Zündungsmechanismus folgendermassen: «Ich übergehe daher die technisch sehr interessante Ausgestaltung des heutigen Benzinmotors zum sogenannten «Viertaktmotor», bei dem eine Explosion des Gasgemisches den Kolben im Zylinder viermal hin und herbewegt, und erwähne nur kurz, dass die Entzündung entweder, wie bei den Ottomotoren, durch ein in den Zylinder eingeführtes, von aussen durch ein Flämmchen erhitztes Glührohr erfolgt, oder, wie z.B. bei den Motorwagen von Benz & Co, in Mannheim und den später noch zu erwähnenden Dionmotoren durch eine elektrische Batterie. Über die Vor- und Nachteile gehen die Ansichten noch sehr auseinander.»
Er beschreibt weiter vielerlei Vorteile des Benzinmotors und sieht diesen «dem Pferdbetrieb gegenüber heute schon konkurrenzfähig.» Er legt dar, dass sich diese Motorwagen immer leichter bedienen lassen, aufgrund der steten technischen Verbesserungen, dass aber Vorsicht geboten sei: «Lästig ist auch noch das pfauchende Geräusch, das den Automobilen bei den Franzosen den onomatopoetischen Spitznamen «Teuf-Teuf» eintrug, und der Geruch; letzterer wird allerdings in dem in der Bewegung befindlichen Wagen selbst weit weniger empfunden, als in dessen Nähe.» Hier sieht er beim elektrischen Betrieb grosse Vorteile. Der Betrieb sei eleganter und es gibt kein Fauchen des Motors. Ein Ruck am Hebel genüge, um eine elektrische Automobile in Fahrt zu bringen, wogegen es beim Benziner eines Ingangsetzens von aussen bedürfe, mittels eines Ankurbelns. Die Franzosen nennen es «Accumobil». Ein weiterer Vorteil liegt offenbar darin, dass weniger Betriebsstörungen zu erwarten sind. Zudem fahre das Accumobil problemlos vor- und rückwärts und die Geschwindigkeit liesse sich viel leichter regulieren, so der Automobilen-Liebhaber von Spielberg. Es gebe aber auch Nachteile, so der Autor des Automobil-Beitrages 1899, deren sogar drei: Der Betrieb sei immer noch teurer als der Pferdebetrieb. Das ist offenbar hauptsächlich auf die schnelle Abnutzung der Akkumulatoren zurückzuführen. Auch seien die Wagen sehr schwer und schliesslich meint er noch: «… endlich aber müssen sie nach einer Fahrt von 30 – 50 km immer wieder bei einer elektrischen Centrale als Gast einkehren, um dort neu mit Strom gestärkt, «geladen», zu werden.» Darum seien diese elektrischen Automobilen auf den Verkehr in grösseren Städten und deren Umgebung beschränkt. Und dann stellt der Autor wahrlich prophetisch fest:
«Das alles kann sich freilich in kurzer Frist ändern, sobald nämlich leichtere, dauerhaftere Accumulatoren von grösserer Leistungsfähigkeit erfunden werden, ein Problem, an dessen Lösung seit Jahren von hundert findigen Köpfen gearbeitet wird.» Wenn der Autor nur hätte wissen können, dass dieses Problem die Menschen und die Automobilindustrie auch heute noch im besonderen Masse beschäftigt, rund 125 Jahre nach seinem Aufsatz! Wenn er nur hätte wissen können, dass heute die deutschen Automobilhersteller den chinesischen Produzenten in Sachen Technik und Batterien hinterherrennen müssen! Der Autor aber ist begeistert und erklärt, dass er eben in der Fabrik von Kühlstein in Charlottenburg gewesen sei und das dort selbst gesehene Gefährt für ideal halte. Diese elektrische «Kalesche» sei für Paris bestellt (Anm.d.R.: er meint damit wohl die damals geplante neue Automobil- oder Weltausstellung) und das als Zeichen, «dass man an der Seine, wo der Automobilismus am höchsten entwickelt ist, die Fortschritte der deutschen Industrie mit wachsamen Augen verfolgt und zu schätzen weiss.»
Er führt weiter aus, dass er eben selber in Paris gewesen sei und sich vor Ort einen Eindruck machen konnte und führt aus: «In der Zeit von zwei Stunden, an einem schönen Nachmittage, sah ich Hunderte von Automobilen, von dem schweren massigen Lastwagen in der Nähe des Trocadero, der augenscheinlich bei den Arbeiten für die nächstjährige Weltausstellung beschäftigt war, von den Motordroschken, die ganz gemütlich zwischen den bespannten Kollegen an den Strassenecken hielten, bis zu den flinken, lustigen Dreirädern mit und ohne Anhängewagen.»
Die meisten Wagen waren Motordreiräder. Gemäss dem Autor sind die ersten dieser Motordreiräder in der Fabrik Dion & Bouton in Puteaux gebaut worden. Er stellt beiläufig fest, dass der Besitzer der Fabrik, Graf Dion, nicht nur einer der Führer des ganzen französischen Automobilismus sei, «sondern auch ein bei den gegenwärtigen Machthabern der Republik bös angekreideter Royalist». Der Dion-Motor funktionierte mit elektrischer Zündung und mit ihm konnte, ohne zu tanken, eine Strecke von 70 km zurückgelegt werden. Man liest, dass er mit einer Kraft von «1 ¾ Pferdestärken» funktionierte und das Gefährt lediglich 80 kg auf die Waage brachte. «In Deutschland werden die Dionmotor-Dreiräder» von Cudell & Co. in Aachen gebaut», so der Autor weiter. Er weiss noch nicht, dass diese Firma rund 6 Jahre später in Konkurs geht. Das Dreirad konnte damals offenbar für 1750 Mark erworben werden und er ist sehr erstaunt und erfreut über den tiefen Betriebspreis. Er erzählt von einem Berliner Redakteur, der mit einem Dreirad zusammen mit seiner Frau 2400 km zurücklegte, mit einem Gesamtgewicht von 545 kg (Gepäck und Dreirad) und für die Fahrt lediglich 36 Mark für Benzin habe bezahlen müssen.
Und dann geht es natürlich auch noch um die Geschwindigkeit, schon damals ein grosses Thema: Der Autor beschreibt Folgendes: «Der Sport hat für die Entwicklung des Automobilismus unendlich viel getan, aber er hat auch in der Sucht, schnell zu fahren, eine grosse Gefahr heraufbeschworen. Die französischen Konkurrenten haben diese Sucht geradezu grossgezüchtet.» Und er sagt Bemerkenswertes für seine Zeit: «Wenn eine Automobile in den Strassen der Stadt die Durchschnittsschnelligkeit eines guten Pferdes nicht überschreitet, wenn sie ausserhalb des Wagengewühls auf glatter, ebener Strasse eine Geschwindigkeit von Höchstens 30 Kilometer in der Stunde erreicht, dann genügt sie ihren Zwecken. Dreissig Kilometer Fahrt ist schon eine höchst anständige Geschwindigkeit, bei der der Fahrer grosse Geschicklichkeit und Geistesgegenwart entwickeln muss. Fast alle Unglücksfälle, die der junge Sport verschuldet hat, sind durch unsinnig schnelles Fahren veranlasst worden.» Die bisher schnellste Fahrt, liest man weiter, gelang in einem elektrischen Motorwagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 105 km in der Stunde. Dass Diskussionen um Tempo 30 auch 125 Jahre nach Erscheinen des Artikels eine grosse (politische) Rolle spielen, konnte der Autor nicht voraussehen!
Der Redakteur schliesst seinen liebevollen Aufsatz mit einer weiteren Erkenntnis: «Wir stehen aber erst, ich wiederhole es, im Anfang des Automobilismus. Wenn wir einige Jahre weiter sein werden, und wenn die zahlreichen Konstrukteure, die heute ihren ganzen Scharfsinn für neue Motoren einsetzen, nur einiges von dem erreichen, was sie versprechen, wird die Automobile eine heute ungeahnte Verbreitung erlangen.» Welch prophetische und schöne Aussage eines Automobilismus-Liebhabers und Redakteurs vor über 120 Jahren!
Und ich, der Redakteur dieses Beitrages aus dem Jahr 2024 gebe zu, dass auch ich ein Liebhaber von Automobilen bin, aus beruflichen und persönlichen Gründen, und gerade stelle ich mir vor, wie man in 120 Jahren auf unsere Automobile und Kaleschen blicken wird. Meinen Sportwagen dürfte man dann wohl so betrachten wie wir heute auf ein Dreirad mit Benzinmotor blicken, mit einem sanften und sentimentalen Lächeln im Gesicht…
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