Sprechmaschinen (Edison’s Phonograph) – aus der Zeitschrift «Die Gartenlaube – Illustriertes Familienblatt» N° 10, 1878. Ein «Non plus ultra von Zukunftsspass» – wenn der Redaktor und der Mathematiker Euler nur hätten wissen können, was die Zukunft noch bringen würde!
Um das Heutige zu verstehen, ist es oft nützlich, das Vergangene zu betrachten. Was heute oft als selbstverständlich daherkommt, ist eben nicht selbstverständlich. Das zeigt eine interessante Recherche eines gescheiten Autors aus dem Jahr 1878. Er befasste sich in seinem auch heute noch sehr lesenswerten Artikel mit dem Aufzeichnen der menschlichen Sprache. Ihm schwebte vor, irgendwann technisch so fortgeschritten zu sein, dass man bspw. den Gesang einer Sängerin aufnehmen und später wiedergeben kann. Was der Autor schliesslich als «Zukunftsspass» betrachtet, ist heute Realität und nicht mehr wegzudenken. Auch der Mathematiker Euler hegte diesen Gedanken, die menschliche Stimme aufnehmen zu können. Er war es, der einen Preis ausschrieb, um das technische Problem der Aufnahme der menschlichen Stimme zu lösen. Der Redakteur hat sich 1878 die Mühe gemacht, den technischen Fortschritt zu beleuchten. Es ist die Zeit von Thomas A. Edison, der gerade den Phonographen erfunden hat, was damals einem «Zauberschlag» gleichkam.
Es handle sich um eine vom Physiker Thomas A. Edison erfundene Maschine, «die jeden ihr einmal vorgesagten Redesatz, jedes ihr vorgesungene Lied getreulich in ihrer walzenförmigen Gedächtnisstafel bewahrt und nach Belieben sogleich oder später mit vollkommenster Stimmennachahmung wiederholt. Eine solche Maschine könnte, wie man sieht, der Stimme einer berühmten Sängerin über deren Grab hinaus Dauer verleihen.» Das Sprichwort «Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze» sei nun in Frage zu stellen. Damit würde sich «ein alter Herzenswunsch der Menschheit» erfüllen, meint der Redaktor im Jahr 1878 ganz euphorisch, aber er ist mit seiner Euphorie noch nicht am Ende und er hat zum Thema recherchiert.
Zuerst wagt er einen Blick in die Vergangenheit und berichtet von babylonischen und griechischen Palästen, von denen alte Schriftsteller erzählten, Paläste, die mit singenden Figuren aus Gold ausgestattet gewesen seien. Im 13. Jahrhundert soll ein Albert von Bollstädt, der Bischof von Regensburg, den man auch den Grossen nannte, diese Aufgabe der mechanischen Stimmenbildung mit einer Figur völlig gelöst haben, einer Figur, die Besucher «mit verständlicher Stimme» gegrüsst habe. Der Sage nach habe Thomas von Auquino die Figur bei einem Besuch mit seinem Stock zerschlagen, ging er doch davon aus, dass es sich um ein Teufelswerk handelte.
Der Redaktor fährt fort: Im Juni 1761 habe der berühmte Mathematiker Euler, damals Professor in Berlin, in seinen zur Einführung in die Physik noch heute geschätzten «Briefe an eine deutsche Prinzessin» geschrieben: «Es wäre wohl eine der wichtigsten Entdeckungen, wenn man eine Maschine bauen könnte, welche im Stande wäre, alle Klänge unserer Worte mit allen Articulationen nachzuahmen. Wenn man es je dahin bringen würde, eine solche Maschine auszuführen, und man im Stande wäre, sie durch Tasten, wie bei einer Orgel oder dem Claviere, alle Worte aussprechen zu lassen, dann dürfte wohl alle Welt mit Erstaunen zuhören, wie eine Maschine ganze Sätze oder Reden vorträgt, die man mit dem schönsten Ausdrucke begleiten könnte. Prediger und Redner, deren Stimme nicht gerade angenehm ist, könnten dann ihre Reden auf einer solchen Maschine abspielen, gerade wie ein Organist Musikstücke spielt. Die Sache scheint mir nicht unmöglich.» Euler sei der Ansicht gewesen, dass es durch Gestaltnachahmung des Orgelregisters «Vox humana» gelingen könnte, die menschliche Stimme nachzumachen.
Offenbar sei es den Gebrüdern Le Droz aus Chaux de Fonds (Anm.d.Red.: gemeint ist La Chaux-de-Fonds) schon im 18. Jahrhundert gelungen, für den König Ferdinand den Sechsten von Spanien «Thierfiguren» herzustellen, die Tierlaute von sich geben konnten. Eine Schafsfigur konnte offenbar vollkommen naturgetreu blöken, ein Hund konnte bellen und ein Vogel singen. Diese Techniken würden offenbar von Uhrmachern in Genf und Neuenburg weiterverwendet, meint der Redaktor mit einem Blick auf die damals sehr erfolgreiche Uhrenindustrie auf dem Gebiet der heutigen Schweiz.
1779 sei es nun offenbar zu einer akademischen Preisaufgabe gekommen, gestellt durch die Petersburger Akademie. Es sei darum gegangen, die Vocalbildung zu erforschen und eben eine Maschine herzustellen, die diese Vocale nachahmen konnte. Ein Physiker Kratzenstein (Anm.d.Red.: gemeint ist der 1723 geborene Christian Gottlieb Kratzenstein) habe diesen Preis gewonnen, indem er fünf Zungenpfeifen vorlegte, mit denen sich menschlich klingende Vocale erzeugen liessen. Der Redaktor ist der Meinung, dass diese Preisaufgabe auf Leonhard Euler zurückzuführen gewesen sei, der mittlerweile in Petersburg lehrte, jedoch bereits erblindet gewesen sei.
Ein Wiener Hofrath von Kempelen (Anm.d.Red.: gemeint ist der 1734 geborene Wolfgang von Kempelen) habe Ähnliches versucht und mit seinem Gerät hätten Wörter wie «Mama» und «Papa» erzeugt werden können. Dieser Erfinder habe es später geschafft, Maschinen herzustellen, die immerhin ganze Sätze mit einer Stimme eines zwölfjährigen Mädchens wiedergeben konnten, bspw.: Vous êtes mon ami! Gemäss unserem Redakteur klangen die Stimmen sehr echt und manch einer ging damals von einer Täuschung aus. Der Wiener Hofrath und Erfinder von Kempelen habe sein Unterfangen jedoch irgendwann aufgegeben. In der Folge sei die Idee aber vom Physiker Willis in Cambridge und Bosch (!) in Berlin aufgenommen worden, auch von einem Wheatstone in England. Letzterer habe eine Zungenpfeifen-Maschine erschaffen, die geläufig lateinisch, italienisch und französisch sprach.
Nun sei aber der Physiker Faber aus Wien zum Zuge gekommen. 30 Jahre bevor der Redakteur seinen Artikel schrieb, habe dieser eine Sprechmaschine angefertigt, die in eine menschliche Figur eingebaut worden sei. Sie habe leise flüstern aber auch laut und ausdrucksvoll sprechen, auch singen können. Faber habe das Problem mit einer aus Kautschuk hergestellten Stimmritze gelöst, die der Redakteur beschreibt, die aber schwer zu bedienen gewesen sei.
Die neue Erfindung eines mechanischen Klangschreibers durch Edison bedeutet für den vom Thema begeisterten Redaktor einen «Zauberschlag». Der Redaktor beschreibt in der Folge sehr wissenschaftlich und auf sehr hohem Niveau die Erfindung Edisons und geht noch weiter. Er meint: «Obwohl diese Leistungen der Theorie nach erfolgen müssen, hat man doch Mühe, an das Wunder zu glauben, bei welchem mit den einfachsten Mitteln unendlich mehr erreicht wird, als man jemals auch nur im Traume gehofft hat. Schon die ersten Versuche des Erfinders waren aber so erfolgreich, dass bei dieser Maschine kein in ihr Bereich fallendes Problem unmöglich erscheint…… Was muss man nicht Alles von einer Maschine erwarten, die so anfängt und schon in den ersten Monaten ihres Seins so viel leistet? Gedichte mit der Stimme des Dichters, Testamente mit derjenigen des Erblassers vorlesen zu lassen, wäre eine Kleinigkeit. Wichtige Thron- und Parlamentsreden können als Phonogramme versandt werden, und ein neuer Demosthenes könnte seine sämtlichen Reden in Zinn herausgeben. Euler’s Wunsch ist hier mehr als erfüllt.»
Er schliesst seinen Aufsatz mit der Bemerkung, dass ein Engländer vorgeschlagen habe, die Mimik der sprechenden Menschen zu «photographieren» und die Bilder zu einer sogenannten «stroboskopischen Scheibe» zu verbinden, so dass man die Person in ihrem Mienenspiele vor sich sehen könnte, während man sie reden oder singen hört. Er sagt damit den Tonfilm voraus! Und dann der Abschlusssatz, mit dem er alles übertrifft unser Carus Sterne, der Redaktor, mit richtigem Name Ernst Krause, der diesen Beitrag 1878 verfasste: «…mit diesem Non plus ultra von Zukunftsspass wollen wir für heute diese hoffnungsvolle Perspective schliessen.»
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